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„Gollwitzer war ein Mann, der das Gespräch mit jedem suchte“: Gefangene setzten sich mit Hilfe evangelischer Einrichtungen künstlerisch mit dem Theologen auseinander

Das ständige Klacken von Schlössern, die auf- und zugesperrt werden, ist das Hintergrundgeräusch, das einen unentrinnbar begleitet in den langen Korridoren der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ossendorf. Kahle Wände, Gitterstäbe, fensterlose Türen – nicht gerade eine inspirierende Umgebung für kreative Entfaltung. Und doch haben elf Gefangene in dieser Atmosphäre ganz eigene Kunstwerke geschaffen. Werke, die viel über die eigene Persönlichkeit aussagen und gleichzeitig das Leben im Knast widerspiegeln.



Theologische Texte von Helmut Gollwitzer
Mit Texten des Berliner Theologen Helmut Gollwitzer im Gepäck besuchte Pfarrer Dr. Martin Bock, Leiter der evangelischen Melanchthon-Akademie, die JVA. Die Aktion hatte er gemeinsam mit den evangelischen Gefängnisseelsorgern Claudia Malzahn und Heinz-Dieter Bethkowsky-Spinner vorbereitet. „Zunächst war ich mir nicht sicher, ob das bei den Gefangenen ankommt, ob das vielleicht nicht ein ganz anderer Film für sie ist, sagt Bock. Doch weit gefehlt: Das Thema fiel bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf fruchtbaren Boden, das Interresse bei denMitgliedern der evangelischen Gottesdienstgruppe war groß. Vielleicht, so vermutet Bock, weil es doch einige verbindende Punkte gibt: Gollwitzer war in russischer Kriegsgefangenschaft und besuchte die Terroristin Ulrike Meinhof in der Kölner JVA. „Gollwitzer war ein Mann, der das Gespräch mit jedem suchte“, beschreibt Bock, warum die Schriften des Theologen ein passender Gesprächsgegenstand im Gefängnis waren.

Kunst drückt oft mehr aus als Sprache
Im Mittelpunkt der Diskussionen stand Gollwitzers Buch „Krummes Holz – aufrechter Gang“, das mit den so genannten „16 Thesen“ endet. Von diesen Thesen suchten sich die Gefangenen diejenigen aus, mit denen sie sich identifizieren konnten. Die wurden dann in einem Kunstprojekt auf Papier gebracht. Dafür holten sich Bock und die Gefängnisseelsorger Unterstützung: Uta Walger, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Bickendorf und Kunsttherapeutin. „Worte ziehen nicht immer. Mit Kunst kann man vieles zum Ausdruck bringen, was mit der Sprache vielleicht nicht möglich ist“, erzählt sie. Sie wählte die Zuckerkreide-Technik für das Projekt, „damit kann man schön großflächig malen“. Auf schwarzem Papier machten sich dann die Gefangenen daran, „ihre“ Thesen künstlerisch umzusetzen: „Wir werden an unvernünftig hohen Ansprüchen gemessen“, „Wir kommen aus Licht und gehen in Licht“, „Wir sind nicht allein“, „Wir sind geliebter als wir wissen“, Es lohnt sich zu leben“, „Die Welt ist herrlich, die Welt ist schrecklich“ oder: „Es kann mir nichts geschehen, bin ich in größter Gefahr“ – das waren nur einige der Leitworte, die umgesetzt worden sind.

Spannende Auseinandersetzung
„Vieles kam aus dem Inneren heraus, es hat mir sehr viel Spaß gemacht“, sagt Jeanette (Namen der Gefangenen geändert), die beim Malen auch an ihre Tochter gedacht hat. „Es gibt schöne und schreckliche Zeiten. Und wenn wir hier gut leben, dann kann sich das auch schnell ändern“, beschreibt Manuel sein Werk, bei dem Menschen in einem sicheren Haus zu sehen sind, während sich von außen Panzer und Raketen nähern. „Ich wusste nicht, was das für ein Typ war, aber es war sehr spannend, etwas über ihn zu erfahren“, sagt Ralf über Gollwitzer. Für Rolf war der wichtigste Aspekt bei dem Projekt, „dass man sich nicht mehr wie im Knast gefühlt hat“.

„Schnörkelloses Verhalten“
Pfarrer Bethkowsky-Spinner war vor allem von der Motivation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beeindruckt. „Alle hatten einen langen Atem“, erzählt er. Es ist nämlich nicht üblich, dass die Gefangenen vier, fünf Stunden lang in Gruppen verbringen. „Die meiste Zeit verbringen sie alleine in ihren Zellen. Nur ein bis zwei Stunden am Tag haben sie Kontakt zu anderen Menschen“, erläutert Pfarrerin Malzahn den Alltag im Knast. Die entstandenen Kunstwerke wurden anschließend auf einem großen Plakat zusammengefügt und bildeten die Grundlage für einen Gottesdienst, an dem die Gefangenen ebenfalls mitarbeiteten. „Es war eine Bereicherung“, stellt auch Gefängnispfarrerin Eva Schaaf fest. Sie leitete einen der Gottesdienste. Aus Sicherheitsgründen kommen immer nur kleine Gruppen in der Gefängniskirche zusammen, so dass Gottesdienste in der JVA mehrmals abgehalten werden. „Mit ihnen war man sofort bei der Sache“, lobte Dr. Bock das „schnörkellose“ Verhalten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer