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Frühjahrsgespräch des Stadtsuperintendenten: Neue Religiosität und Renaissance des Glaubens?

CityKirchenpfarrer Dr. Bertold Höcker ging in die Offensive. „Der Protestantismus, die Religion der Freiheit, hat ihre Zukunft noch vor sich“, lautete seine überraschende These beim „Frühjahrsgespräch mit Stadtsuperintendent Ernst Fey“ im Haus der Evangelischen Kirche. Der Abend stand unter dem Motto „78 Prozent der Jugendlichen glauben an Gott. Deutsche überraschend religiös – eine Renaissance des Glaubens?“ Neben Fey standen den Journalisten noch Christoph Nötzel, Pfarrer in Altenberg/Schildgen, Ralph-Rüdiger Penczek, Pfarrer in Wesseling, und Pfarrer Joachim Lenz, neuer Beauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland für den Deutschen Evangelischen Kirchentag, Rede und Antwort.

 

Kirche bietet Jugendlichen Orientierung 

Fey äußerte sich in seiner Begrüßung sehr vorsichtig, was die neue Religiosität angeht: „Natürlich habe ich auch das große Interesse der Menschen an allem erlebt, was rund um den Tod des alten und die Wahl des neuen Papstes geschah“, erklärte der Stadtsuperintendent. „Aber damit haben wir die Jugendlichen ja noch längst nicht in unseren Kirchen, in unseren Gemeinden. Und die frohe Botschaft haben wir ihnen auch noch nicht näher gebracht.“ Andererseits hat auch Fey festgestellt, dass die „Jugendlichen angesichts des Scheiterns des Machbarkeitswahns, der die Gesellschaft lange gepägt hat, einen Knacks bekommen haben. In diesen Zeiten der Verwirrung bietet die Kirche Orientierung.“

 

Moderne, frei lebende Menschen und alte Sinnfragen

Höcker, Penczek und Nötzel berichteten, wie sie in der Gemeindearbeit vor Ort mit dem „neuen Trend“ zur Religiosität und zum Spirituellen umgehen. Höcker berichtete zunächst von den besonderen Umständen der Seelsorge an der Antoniterkirche. „An dieser Kirche an der Schildergasse laufen täglich pro Stunde 17.000 Menschen vorbei. Da suchen viele zwischen den Einkäufen einen geschützen Raum, in dem sie sich auf sich selbst besinnen können und zur Ruhe kommen.“ Höcker schrieb die Erfolgsgeschichte der Kircheneintrittsstelle fort: „Die Stelle haben wir vor anderthalb Jahren eingerichtet. Seitdem konnten wir 546 Eintritte verzeichnen.“ Bei den Menschen, die sich der protestantischen Kirche zugewandt haben, handelt es sich laut Höcker in der Mehrheit um 30- bis 50-Jährige. Die seien ebenso auf der Suche nach Orientierung wie die Menschen, die die Seminare zur „Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität“ besuchen, die Höcker seit kurzem anbietet. „Die Leute rennen uns die Bude ein“, erklärte der CityKirchenpfarrer. Ziel der Persönlichkeitsentwicklung seien „authentisch lebende Menschen, die klare Ziele verfolgen, getragen von einem Gottesbewusstsein“. In diesen Seminaren stellten „moderne, frei lebende Menschen die ganz alten Sinnfragen, auf die die evangelische Kirche Antworten geben kann“.

 

Gottesdienste, die auf die Menschen zugeschnitten sind

Höcker hat eine „Patchwork-Religiosität“ ausgemacht, die „alte“ Ortsgemeinde habe für manchen ausgedient. „Die Menschen treffen sich als Gruppe und feiern Gottesdienste, die auf sie zugeschnitten sind.“ Die Mobilität in vielen Bereichen, nicht zuletzt in den Jobs, fordere neue Konzepte. Eines davon: Höcker macht Angebote, die nicht mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen, weil viele über diesen Zeitraum nicht hinaus planen könnten. Darüber hinaus feiern Protestanten in der Antoniterkirche Gottesdienste in unterschiedlichen Formen – lutherisch, reformiert und uniert. Auch die seien gut besucht. Höcker fasste die Arbeit in der CityKirche in einem Satz zusammen: „Wir scheitern am Erfolg.“

 

Von der Versorgungs- zur Beteiligungskirche 

Nötzel zeigte sich skeptisch, was die „neue Religiosität“ angeht. „Immerhin kennen zwei Drittel der Konfirmanden Adam und Eva nicht.“ Und jüngst hätten zwei Konfirmandinnen nicht gewusst, welcher Religion die Bibel zuzuordnen sei. Auch Nötzel bietet zielgruppenorientierte Gottesdienste an, manchmal sechs an einem Wochenende. „Zum Gottesdienst für Familien mit Kindern kommen 80 bis 100 Menschen in unsere Andreaskirche, mit dem Kindergottesdienst erreichen wir 60 bis 80. An Heiligabend zählen wir 1800.“ In seiner Gemeinde hat er einen sehr unterschiedlichen Grad von Frömmigkeit ausgemacht. Die „eine“ Gemeinde von früher gebe es nicht mehr. „Aber immerhin reden die Leute miteinander und hören sich zu.“ Nötzel ist überrascht vom Engagement der 25- bis 35-Jährigen in seiner Gemeinde. Der Trend gehe weg von der Versorgungs- zur Beteiligungskirche. Das zeige sich auch im vielfältigen Einsatz der Gemeindeglieder beim Thema Fundraising.

 

Pfarrer ist Trainer und Kommunikator

Penczek erläuterte zunächst einmal die Struktur seiner Gemeinde. Von 37.000 Einwohnern in Wesseling sind 7.000 Protestanten. Der Ort ist stark durch die Chemieindustrie mit ihren Facharbeitern geprägt. Penczek hat in seiner Gemeinde einen „Traditionsabbruch“ festgestellt. „Viele Leute haben ein Klischeebild von Kirche. Wir haben ein verstaubtes Image.“ Der Wesselinger Pfarrer hielt ein Plädoyer fur die Ortsgemeinde: „Sie bietet einen klaren Rahmen von Gemeinschaft vor Ort.“ Er verfolgt in seiner Gemeinde das Konzept der „gabenorientierten Beteiligungskirche“. Ganz praktisch bedeutet dies etwa, dass ein Consulting-Unternehmer, Vater eines Konfirmanden, die Homepage der Gemeinde gestaltet habe. Penczek hat auch mit der klassischen Pfarrerrolle gebrochen und sieht sich unter anderem als „Trainer, Moderator, Ausbilder und Kommunikator“. Furore gemacht hat seine Gemeinde mit den „Go-Special“-Gottesdiensten für Kirchenferne. Hier treffen sich regelmäßig 200 bis 300 Menschen und feiern themenbezogene Gottesdienste. Neu ist, dass Penczek sich nach der Predigt den Fragen der Gemeindeglieder stellt. „Da geht es manchmal hoch her.“ Warum eigentlich nicht?

Tipp
Auch die Online-Redakteurin der Rheinischen Landeskirche, Anna Neumann; war bei dem Frühjahrsgespräch dabei. Sie hat auf den Seiten der EKiR hier darüber berichtet.

Text: Stefan Rahmann
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