You are currently viewing „Schnittstelle zwischen Lehre, Theologie und Studentenalltag“ – Die ESG hat mit Christiane Neufang eine neue Pfarrerin

„Schnittstelle zwischen Lehre, Theologie und Studentenalltag“ – Die ESG hat mit Christiane Neufang eine neue Pfarrerin

Am 1. Dezember hat Christiane Neufang ihre Stelle als neue Studierendenpfarrerin in der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) angetreten. Aber wie kommt man als Pfarrerin zur ESG, wie unterscheidet sich die Arbeit dort von der klassischen Gemeindearbeit und was wünscht sie sich für ihren Start? Mit Christiane Neufang sprach Annette von Czarnowski:

Frau Neufang, wie war Ihr erster Arbeitstag und was sind Ihre ersten Eindrücke von der ESG?
Neufang: Ich habe den Eindruck, dass es ein ganz spannender und vielseitiger Ort ist. Wegen des Café „Sandspur“ und des Eine-Welt-Ladens steht die Tür immer offen und man spürt das ständige Kommen und Gehen. Die ESG lebt davon, dass Leute auch einfach kommen und sich als Gruppe treffen. Hier ist vielleicht weniger Kontinuität als in der Gemeindearbeit. Das Studium dauert heutzutage häufig nur drei Jahre, dann sind die Leute wieder weg. Man muss sehr flexibel reagieren auf das, was die Leute mitbringen. Ich denke, ich werde dadurch in Bewegung bleiben, aber es wird auch anstrengend sein. Ich wurde hier sehr offen und herzlich willkommen geheißen.

Wie kamen Sie darauf, sich bei der ESG zu bewerben?
Neufang: Die Stelle war im Amtsblatt der Rheinischen Landeskirche ausgeschrieben und ich dachte sofort „das will ich!“ Beworben habe ich mich, weil ich es sehr reizvoll finde, mit jungen Menschen zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn in einer Großstadt wie Köln in einem universitären, nicht typisch kirchlichen Kontext zu arbeiten. Ich möchte sie in ihrem Universitätsalltag seelsorglich begleiten und mein theologisches Wissen weitergeben. Mir ist es ein Anliegen, mit ihnen gemeinsam Gemeinde als Ort der Begegnung, Stärkung und kritischen Auseinandersetzung zu gestalten.
Natürlich hatte ich anfangs auch Bedenken, schließlich ist die Stelle an die Universität „angedockt“. Viele Studierendenpfarrer haben promoviert. Aber dann habe ich sowohl mit der Kollegin Stephanie Schmidt-Eggert als auch mit dem Vorgänger Ulrich Koch-Blunck gesprochen und beide haben mich ermutigt.

Worin, denken Sie, werden die Unterschiede zur klassischen Gemeindearbeit bestehen?
Neufang: Einerseits wird ein großer Teil Beratungsarbeit sein. Die Studierenden haben Sorgen und müssen einen gar nicht immer so leichten Alltag bewältigen. Gar nicht so unsinnig, dass sie gerade wegen der Studiengebühren massiv auf die Straße gehen. Andererseits geht es auch um die Beteiligung an inhaltlichen und wissenschaftlichen Fragen. Ich sehe mich letztlich als Schnittstelle zwischen Lehre, Theologie und Alltag der Studierenden. Ich glaube, dass die ESG ein Ort ist, an dem man vieles ausprobieren und anbieten kann. Zum Beispiel gibt es hier einen Kurs über medizinethische Fragen für angehende Ärzte. Oder ein Gottesdienst, der in der Tradition Dorothee Sölles als politisches Nachtgebet gestaltet ist. Da möchte ich mich engagieren und Glaube und gesellschaftspolitische Fragen zusammen bringen.
Ein interessanter Unterschied ist, dass es in Kirchengemeinden immer eine Kerngemeinde gibt, einen Stamm von Leuten, bei denen man weiß „die kommen immer“. Wenn man hier etwas anbietet, wird es immer spannend sein zu sehen, ob überhaupt jemand kommt. Den Frust muss man dann auch einstecken können.
Aber ich will Gemeindearbeit und die Arbeit in der ESG nicht gegeneinander ausspielen. Ich wurde, als ich mich beworben hatte, schon gefragt „willst Du gar nicht mehr in die Gemeinde?“ Aber ich habe von Herzen gerne Gemeindearbeit gemacht, sowohl in meinem Vikariat in Köln-Pesch als auch bei meiner Tätigkeit als Pfarrerin zur Anstellung und später Pastorin im Sonderdienst in der Kirchengemeinde Bickendorf.

Welche Aufgaben werden Sie bevorzugt übernehmen?
Neufang: Natürlich muss ich Vieles erst einmal ganz neu kennenlernen. Das Team der ESG unterstützt mich dabei sehr. Ich finde es wichtig, mit den Professoren ins Gespräch zu kommen und den Dialog mit den Wissenschaften zu fördern. Als Theologen und als Kirche haben wir in einer sich ständig verändernden Situation in Hochschule und Gesellschaft etwas zu sagen. Etwa, wenn es um die Frage nach Werten, nach einem christlichen Menschenbild geht. Vor Gott darf ich erst einmal Mensch sein, ohne etwas zu leisten. Ich kann mir gut vorstellen, mich um die Außenwirkung und Werbe-Veranstaltungen der ESG zu kümmern und würde gerne auch die Musikhochschule, Fachhochschule und Sporthochschule vielleicht noch stärker einbinden. Zum nächsten Semesterbeginn im April 2010 werde ich erst einmal den Empfang der ESG für die Professoren planen und mit gestalten. Ich freue mich aber auch auf die regelmäßigen Gottesdienste und andere spirituelle Angebote in der schönen Sandkapelle der ESG.

Welches wären denn Ihre Wunschprojekte? Was würden Sie gerne in der ESG neu ausprobieren?
Neufang: Nach meinem Studium habe ich ein Jahr lang ein Sondervikariat bei der UCC (United Church of Christ) in den USA gemacht. Das ist die Partnerkirche der Rheinischen Landeskirche und ich habe dort noch intensive Kontakte. Gerne würde ich zu den Universitäten, die die UCC in Amerika unterhält, Kontakt aufnehmen und mit Studierenden einmal dort hinfahren. Austauschprojekte der Uni gibt es natürlich viele, den Focus müsste man da auf kirchliche Projekte legen. Zu meiner Freude habe ich festgestellt, dass auch einige Studenten der Musik-Hochschule hier ihr Zuhause gefunden haben. Ich spiele selber Blockflöte, habe lange im Chor gesungen und höre gerne Konzerte. Gottesdienste mit dem Schwerpunkt auf Musik oder überhaupt Kulturarbeit fände ich schön. Den Saal der ESG könnte man eventuell für eine Kunstausstellung in Kombination mit einer Veranstaltungsreihe nutzen.
Vor allem würde ich gerne meine eigenen, erworbenen Kompetenzen in der Medienarbeit bewahren und habe Lust, an der Radioarbeit dran zu bleiben. Ein Radioprojekt mit Studierenden zu einem Thema, das sie interessiert ,würde ich gerne machen.

Das war das Stichwort. Ich habe gehört, dass Sie einen „Ausflug“ in ein anderes Berufsfeld gemacht haben?
Neufang: Ja, in meinem letzten Jahr als Pastorin im Sonderdienst war ich ein Jahr lang, ab Oktober 2008, beim WDR in der Redaktion für Religion, Theologie und Kirche. Dieses Angebot kam nach einem Gespräch mit Herrn Dr. Gerd Höft, dem Evangelischen Rundfunkbeauftragten beim WDR. Diese Hospitanz in der Redaktion unterhält die Rheinische, Westfälische und Lippische Landeskirche seit vielen Jahren. Ich bin sehr dankbar, diese Chance gehabt zu haben.

Haben Sie vorher schon einmal mit Journalismus zu tun gehabt?
Neufang: Nein, aber ich habe einmal mit einer entsprechenden Weiterbildung geliebäugelt und immer schon gerne Radio – am liebsten WDR5 und WDR3 – gehört.

Wie sah Ihre Arbeit dort aus und was haben Sie von dort mitgenommen?
Neufang: Ich habe dort viel Wort- und Bildrecherche fürs Internet gemacht, war für den Pressespiegel verantwortlich und habe auch selbst Beiträge gestaltet. Eineinhalb Wochen habe ich in der Kindernachrichtenredaktion „Klicker“ bei „Lilipuz“ gearbeitet. Schön war, dass ich bei Themen fürs Radio durch intensive Recherche in die Tiefe gehen konnte, auch wenn es in einer Redaktion immer schnell gehen muss.
Der Redaktion bin ich noch eng verbunden. Ich glaube auch, dass ich durch die Arbeit dort noch einmal neu eine Sensibilität für Themen entwickelt habe. Außerdem habe ich meine Scheu vor Technik verloren und musste noch einmal lernen, meine Sprache anzupassen. Einen Beitrag für „Lilipuz“ habe ich zum Beispiel dreimal umgeschrieben. Als mein „Gesellenstück“ sehe ich einen Beitrag zum Paulusjahr, als „Meisterstück“ betrachte ich mein Feature „Träume, Toast und Tatort oder: Was den Sonntag zum Sonntag macht“ aus der Reihe „Lebenszeichen“. Diesen Beitrag habe ich beim Wettbewerb um den Medien- und Journalistenpreis des Vereins „Andere Zeiten e.V.“ eingereicht, der sich in diesem Jahr auch mit dem Thema „Sonntag“ befasst. Auf das Ergebnis bin ich gespannt.

Aber ein Radioprojekt wartet doch bereits auf Sie?
Neufang: Ja, ich wurde vom Domradio Köln gefragt, ob ich die Morgenandachten in der dritten Adventwoche übernehmen möchte.

Wie kam es dazu, dass Sie als Frau und Protestantin bei einem katholischen Sender wie dem Domradio zu hören sind?
Neufang: Zwei Wochen nach meiner Wahl gab es eine Pressemitteilung und Notiz auf der Hochschulseite des Kölner Stadtanzeigers. Das haben die Redakteure vom Domradio wohl gelesen und fanden es reizvoll, einmal eine Frau, die ausgebildete Pfarrerin ist, dabei zu haben. In der Morgenandacht mache ich mit der Moderatorin gemeinsam eine dialogische Textauslegung und kann dabei auch die Arbeit der ESG vorstellen. Die Texte für die Adventswoche stammen aus dem Matthäus- und Lukasevangelium. Es sind sehr schöne, aber auch sperrige Texte dabei.

Last but not least: Warum haben Sie Theologie studiert?
Neufang: Es ist das Bild und die Erfahrung mit Gott, der die Welt behutsam in seinen Händen hält und sie niemals fallen lässt, die mich schon als Kind begleitet und getragen haben. Ich komme aus einer Pfarrersfamilie und habe in meinem Elternhaus gelebte Frömmigkeit erfahren. Unser Haus war immer offen, wir hatten ständig Gäste aus aller Welt. Die tiefe Gewissheit und das Vertrauen, dass Gott diese Welt – in all ihrer Zerbrochenheit – nicht aufgibt, ist meine Motivation bis heute. Das möchte ich gerne weitergeben. Nach meinem Abitur habe ich dann ein Praktikum im Ökumenischen Institut in Bossey, in der Schweiz, gemacht. Dort hat es mich fasziniert, Christen aus aller Welt zu treffen. Das war auch ein wichtiger Impuls.

Frau Neufang, wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen einen guten Start für Ihre neue Tätigkeit.

Stichwort „ESG“
Die Evangelische Studierendengemeinde Köln (ESG) ist eine Gemeinde der Rheinischen Landeskirche für die Studierenden der Kölner Hochschulen (Universität zu Köln, Fachhochschule, Musikhochschule, Sporthochschule). Die Kölner ESG unterhält an der Bachemer Straße ein Wohnheim, einen Eine-Welt-Laden, das Café „Sandspur“ sowie Veranstaltungsräume und Beratungsangebote. In jedem Semester erscheint ein ausführliches Programm, das über Gottesdienste, Reiseangebote und Kulturveranstaltungen informiert. Es gibt bundesweit 138 ESGen, zur Rheinischen Landeskirche gehören zehn davon.

Text: Annette v. Czarnowski
Foto(s): v. Czarnowski