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Erstes Mitsing-Konzert in Köln: Haydns „Schöpfung“ mit 636 Stimmen

Was in der Londoner Royal Albert Hall mit Georg Friedrich Händels „Messias“ möglich ist, das klappt auch im Rheinland. Und zwar richtig gut: 636 Sängerinnen und Sänger fanden sich in der Philharmonie zusammen, um Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ gemeinsam zu singen.

Erfahrene Chöre und spontan Mitsingende
„Nach zwei Proben denke ich, dass das eine schöne Sache wird, alle waren super vorbereitet“ freute sich Andreas Meisner, Kreiskantor im Evangelischen Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch und als Kirchenmusiker am Altenberger Dom mit vielen Projekten und Chören aktiv, vor der Aufführung. Enttäuscht wurde er nicht: 636 Sängerinnen und Sänger aus drei Kölner Chören, (Oratorienchor Köln e.V. im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, Chorgemeinschaft an St. Bernhard in Longerich und Collegium Cantorum Köln), aber auch Singbegeisterte, die sich spontan zum Mitsingen entschlossen hatten, legten eine Vorstellung hin, die sich sehen und hören lassen konnte. Mit Esther Hilsberg, Klaus Mertens und Jörg Nitschke standen drei Profis als Solisten auf der Bühne, aber die Chorpartien sangen musikbegeisterte Laien, die nur eine bis vier Proben hinter sich hatten. „Mitsingen sollten nur die, die das Werk bereits kannten“ betonte Meisner schon im Vorfeld. Wer das komplette Oratorium mitsang, probte vier Mal, wer sich nur an die einfacheren Chorpartien wagte, sang vom Zuschauerraum aus und erschien kurz vor der Aufführung zur Generalprobe.

Chaos ja, aber vom Komponisten geplant
636 Sängerinnen und Sänger aus drei Chören, darunter „Kurzentschlossene“, die nur eine kurze Probe vor der Aufführung absolvieren um gemeinsam Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ erklingen zu lassen – „das könnte ein Chaos geben“, denken musikalische Laien. Ein „Chaos“ gab es tatsächlich, aber lediglich als musikalischer Bestandteil: Wo Opern und Oratorien des 18. Jahrhunderts traditionell mit einer Ouvertüre einsetzten, ließ der Wiener Joseph Haydn das „Chaos“, den regellosen Zustand vor der Schöpfung, musikalisch regieren. „Haydn drückt das Regellose, das noch nicht Geordnete, das vor der Schöpfung herrschte, im Rahmen des klassisch-musikalischen Regelwerks aus“ schreibt Joachim Risch in seiner Einleitung zu dem Werk, das als Vorbild für viele später komponierte Oratorien gilt. „Nie verlässt die Musik den Boden des musikalisch Erlaubten, verweigert aber immer die vom Ohr erwartete Auflösung und geht in eine unvorhersehbare Richtung weiter“.

Geglücktes Experiment – dank ehrenamtlichem Einsatz
Unsicher darüber, wo dieses Experiment hinführen könnte, war auch Hildegard Booms, die als langjähriges Mitglied im Oratorienchor das Werk bereits gut kannte: „Ich war erst skeptisch, weil wir beim Proben Feinheiten eingebaut hatten. Aber man merkt, dass es alles erfahrene Sänger sind“ resümierte sie. Erfahrungen mit dem kurzfristigen Zusammenfügen unterschiedlicher Stimmen und Chöre hatte dabei Karl-Otto-Scholtz, Gründungsmitglied des Oratorienchors. Er gab sich vor dem Konzert gelassen: Ich habe schon in England in der Liverpool-Cathedral das „War Requiem“ gesungen, damals haben englische und deutsche Chöre auch für sich geprobt“. Auf der britischen Insel haben kurzfristig zusammengestellte Oratorienkonzerte Tradition: Als „scratch performance“ oder „Messiah on scratch“ wird es dort bezeichnet, wenn Chöre und Sänger in dieser Größenordnung kurzfristig ein Oratorium einstudieren oder Mitsingende im Zuschauerraum sitzen.Den „Messias“ in der Royal Albert Hall in dieser Form aufzuführen hat dort ebenfalls Tradition. Für Köln war es Neuland, das dank ehrenamtlichen Einsatzes erfolgreich betreten wurde. Andrea Vogel, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, dankte vor allem einer Helferin, die den Konzertabend ehrenamtlich organisiert hatte: Dagmar Deutschmann, Vorstandsmitglied des Oratorienchors. Sie wuchs während des Sommers in ihre Aufgabe hinein: „Ich hatte keinen Begriff davon, was es für Ausmaße annehmen könnte“ erinnerte sie sich, erschöpft und zufrieden, nach der Aufführung. Sie erstellte Infoblatt und Anmeldeformulare für die Interessenten, rührte die Werbetrommel, bearbeitete die Anmeldungen, suchte Proberäume und sorgte dafür, dass alle Mitwirkenden nach Stimmlage im Zuschauerraum platziert wurden. „Erst kamen die Anmeldungen spärlich, dann, wie beim Schneeballsystem, explodierten die Zahlen“ erinnert sie sich. Den Stress hat sie, dank ihres „sonnigen Gemüts“ gut überstanden und erntete, neben Meisner, den Solisten und Sängern, ihren eigenen Applaus.

Kultur ökumenisch
Haydn entstammte als Österreicher einem katholisch geprägten Land, die Inspiration zur „Schöpfung“ dagegen gaben ihm eine Englandreise und der Eindruck von Händels „Messias“, uraufgeführt in einer anglikanischen Kirche. „Das Sujet der Schöpfung wird nicht katholisch interpretiert sondern ist ein Weltkulturgut“ betonte auch Meisner.
Der ökumenische, kulturell konfessionsübergreifende Gedanke stand schließlich auch Pate bei der Veranstaltungsreihe, der auch dieses erste Kölner Mitsing-Konzert sein Entstehen verdankt: Unter dem Titel „KunstKultur-KirchenKöln“ wird noch bis 31. Oktober die vielfältige Kulturarbeit in evangelischen und katholischen Gemeinden präsentiert. „Wir wollten einmal zeigen, was Woche für Woche in den Kirchen und Gemeinden geschieht“ erinnerte Prälat Johannes Bastgen in seiner Begrüßungsrede vor dem Konzert noch einmal an den Ursprungsgedanken. Neben den Gemeinden beider Konfessionen steuerte die RheinEnergie AG ihren Teil bei, indem sie Solisten und Programmhefte finanzierte. Die Stadt Köln überließ den Chören die Philharmonie nebst Garderoben und Technik, die Mitsingenden zahlten ihren Eintritt ebenso wie die Zuschauer, und sorgten für nicht nur für Hörgenuss, sondern auch für ein erschwingliches Konzert.

Weitere Termine der Veranstaltungsreihe sind unter www.kunstkulturkirchenkoeln.de zu finden.

Text: Annette v.Czarnowski
Foto(s): avc