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Erfolgsmodell „Mentorenprojekt Bergisch Gladbach“

„Ich hatte schon lange das Gefühl, dass ich gerne helfen würde“, sagt Hannah Thomé zum Thema „Flüchtlinge“. Doch während es andere bei dem Gedanken daran belassen, wurde die Studentin aktiv: Sie schloss sich dem "Mentorenprojekt Bergisch Gladbach" an und stellte sich als Mentorin für zwei junge Syrer, 19 und 20 Jahre alt, zur Verfügung.

Sie half beim Einleben und gab nötige Hilfestellungen. „Mir macht es unheimlich viel Spaß!“, erzählt die junge Frau, die mit ihrer Begeisterung inzwischen auch ihre Eltern und ihre Schwester für das Projekt gewonnen hat.

Zielgruppe: Flüchtlinge, die in eine eigene Wohnung ziehen
Das "Mentorenprojekt Bergisch Gladbach", das im Oktober 2015 startete, ist schon jetzt zum Erfolgsmodell geworden. Rund 90 ehrenamtlich tätige Mentorinnen und Mentoren tragen dazu bei, dass Flüchtlinge sich besser in der Stadt zurechtfinden und integrieren können. Zielgruppe sind solche Flüchtlinge, die aus der Sammelunterkunft bereits ausgezogen sind und jetzt in einer eigenen Wohnung leben. In der Regel haben sie eine gute Bleibeperspektive.

Lotse in die Gesellschaft
Während Neuankömmlinge in den Sammelunterkünften vielfältige Unterstützung erfahren, sind sie nach ihrem Auszug aus den Erstunterkünften, in den eigenen vier Wänden meist auf sich allein gestellt. Genau da setzt das Mentorenprojekt an, dessen Träger die Evangelische Kirchengemeinde Bergisch Gladbach ist. Sie hat Lucrecia Lopéz als Koordinatorin eingestellt. „Nicht allen Flüchtlingen fällt es leicht, aus dem Haus zu gehen und Kontakt zum deutschen Umfeld aufzunehmen“, weiß Lopéz. Auch wer sich nicht isoliere, scheitere dennoch oft bei dem Versuch, amtliche Schreiben oder hiesige Sitten zu verstehen. In solchen Momenten sei es wichtig, eine kundige Vertrauensperson hilfreich an seiner Seite zu haben. Diese Funktion des „Lotsen“ in Bergisch Gladbach übernehmen die Mentorinnen und Mentoren.

„Die Menschen hatten praktisch nichts“
Auch Heike Kochan ist als Mentorin aktiv: „Ich habe mir vorgestellt, wie es für die Menschen sein muss, in ein fremdes Land zu kommen“, begründet sie, warum sie sich engagiert. Sie hat zunächst eine sechsköpfige Familie aus dem Irak betreut, als diese in eine Wohnung verlegt wurde. „Die Menschen hatten praktisch nichts.“ Als Mentorin half sie den Neuankömmlingen, den Alltag zu bewältigen, indem sie diese in organisatorischen und sozialen Fragen unterstützte.

Individuelle, gezielte Hilfe als Erfolgsfaktor
Das Charakteristische des Projekts: Die Mentoren arbeiten im Tandem. So können sie sich die anvisierten zwei Besuche pro Woche bei ihren „Schützlingen“ aufteilen und sich über sie austauschen. Idealerweise besteht ein solches Duo aus einer Frau und einem Mann. „Es ist eine kulturelle Sache, dass manchmal eine Frau mit einem Mann nicht ins Gespräch kommt“, sagt Lucrecia Lopéz. Oder umgekehrt. Dabei sind im Miteinander von Mentoren und Neuankömmlingen drei Dinge wichtig: Die Kommunikation muss auf Augenhöhe stattfinden. Die Hilfe soll an den persönlichen Bedürfnissen ausgerichtet sein und es soll eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Der Erfolg des Mentorenprojekts liegt ganz eindeutig in seiner Individualität: Der Mentor kann gezielt auf die konkreten Fragen und Bedürfnisse des betreffenden Neuankömmlings eingehen. „Man trifft sehr genau den persönlichen Bedarf. Deshalb ist das sehr effektiv.“

Gute Strukturen durch Qualifizierungskurs
Das war einer der Punkte, die Dr. Werner Grosseschallau bei dem Projekt überzeugten. „Ich habe mich für das Mentorenprojekt entschieden, weil mir eine gute Struktur und gute Organisation wichtig sind“, sagt der Ex-Manager. „Und tatsächlich habe ich hier erlebt, dass man auf alle Fragen sehr schnell Antworten bekommt.“ Auf die Kräfte und Wünsche der Mentoren wird Rücksicht genommen. Die Ehrenamtlichen können im Einzelgespräch erklären, zu welchen Zeiten sie tätig werden möchten und ob sie eine Einzelperson oder Familie betreuen wollen. Ein Basisqualifizierungskurs sorgt für das nötige Rüstzeug. In den anschließenden sechs Monaten der Durchführungsphase stehen den Mentoren Online-Plattform, Supervision, Reflexionstreffen und jederzeit der „Handy-Draht“ zu Lucrecia Lopéz zur Verfügung.

Aus Helfern werden Freunde
„Es gibt auf jeden Fall Herausforderungen“, sagt Hannah Thomé und erzählt kurz von ihren unterschiedlichen Schützlingen: Der eine hat das Abitur in der Tasche, spricht bereits sehr gut Deutsch, ist integrationswillig; der andere wurde gegen seinen Willen von der Familie nach Deutschland geschickt, hat Heimweh, hält es kaum in der eigenen Wohnung aus und möchte lieber wieder in die Sammelunterkunft. „Auch die Grenzen im Ehrenamt erkennen zu können und akzeptieren zu müssen, wenn man irgendwann nicht mehr weiterhelfen kann“, gehört für die junge Gladbacherin zu den Herausforderungen. Die Zeit mit „ihren“ Syrern ist für sie sehr wertvoll. „Wir kochen auch zusammen, wir lernen zusammen Deutsch, aber auch Kurdisch. Es entwickeln sich einfach Freundschaften.“ Sebastian Lippert, der sich um eine albanische Familie kümmert, beglückt, dass „sehr viel Dankbarkeit“ zurückkommt. „Vor allem aber sind es die Momente, in denen man zusammen lacht“, die ihn in seinem Ehrenamt beflügeln. Es ist für ihn zugleich ein politisches Signal, das zeige, „dass Deutschland ein offenes Land ist, das für Vielfalt eintritt“.

Neue Mentoren gesucht
„Es ist überwältigend“, sagt Lucrecia Lopéz über das Bürgerengagement. Ihr Ziel ist es, das Mentorenprojekt mit anderen ehrenamtlichen Initiativen vor Ort zu vernetzen, um Synergieeffekte zu schaffen. Außerdem will sie die interne Struktur des Mentorenprojekts erweitern. Vor allem aber werden weitere Mentorinnen und Mentoren gebraucht, da aufgrund der guten Arbeit die Nachfrage täglich steigt. „Wir haben momentan etwa 20 Anfragen und dafür bräuchten wir etwa 40 weitere Mentorinnen und Mentoren.“ Wer Interesse hat, kann sich bei Lucrecia Lopéz unter Telefon 0177/181 76 82 oder E-Mail kontakt(a)mentorenprojekt-gl.de melden. Für viele ist der ehrenamtliche Einsatz so sinnstiftend, dass sie ihn nach sechs Monaten nicht aufgeben möchten, wie Heike Kochan. Nachdem „ihre“ irakische Familie auf eigenen Beinen steht, betreut sie jetzt eine alleinstehende Syrerin, die ein Kind erwartet.

Hintergrund-Info:
Das Mentorenprojekt Bergisch Gladbach wurde vom Sozialen Netzwerk Stadtmitte, getragen von der Gnadenkirche Bergisch Gladbach, zu Beginn des Jahres 2015 initiiert. Im Oktober startete das Projekt, Trägerin ist die Evangelische Kirchengemeinde Bergisch Gladbach.
Viel Unterstützung gibt es von örtlichen Kooperationspartnern: der Katholischen Kirchengemeinde St. Laurentius, dem Kreisdekanat der Katholischen Kirche, dem Fachdienst für Integration und Migration des Caritasverbandes Rhein-Berg, der Stadt Bergisch Gladbach, dem Integrationsrat der Stadt Bergisch Gladbach und der Bürgerstiftung für Bergisch Gladbach.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser