You are currently viewing Diskussion zum Moscheeneubau in Ehrenfeld –  Wie funktioniert die Integration, wie kann sie funktionieren?

Diskussion zum Moscheeneubau in Ehrenfeld – Wie funktioniert die Integration, wie kann sie funktionieren?

Der Titel ließ eine aufgeregt-hitzige Diskussion erwarten. Schließlich waren bei einer ähnlichen Veranstaltung vor einer Woche die Wellen der Empörung hochgeschlagen. „Moscheeneubau in Ehrenfeld – Chance für die Integration?“ lautete die Frage, die sich Moderator Arnd Henze und sieben Expertinnen und Experten auf dem Podium in der evangelischen Friedenskirche von Ehrenfeld stellten. Ob es am Veranstaltungsort lag? Friedlich und zivilisiert ging es, die Moschee spielte in Rede und Gegenrede zwischen Podium und Publikum fast keine Rolle mehr.


„Fragen Sie alles, was Sie wissen wollen“
„Die kommt sowieso“, fasste einer von etwa 100 Gästen die zur Moschee vorherrschende Stimmung zusammen. „Fragen Sie alles, was Sie wissen wollen“, ermunterte Henze das Publikum und fuhr fort: „Aber fragen Sie nur, wenn Sie auch eine Antwort haben wollen.“ Damit wollte er Grundsatz-Statements verhindern. Dass es Henze – „Ich bin nicht so nett, wie ich aussehe“ – damit ernst war, musste eine Endfünfzigerin im Kostüm mit Gucci-Einkaufstasche, vom häufigen Gebrauch schon reichlich verknittert, erfahren. Barsch fiel ihr Henze ins Wort, als sie zu einer Hetzrede gegen Moscheen im Allgemeinen und in Ehrenfeld im Besonderen anhob. Damit war das Thema „Lästige Zwischenrufer“ abgehakt, und das Podium diskutierte über die Integration ausländischer Mitbürger.

Integration, nur „eine Frage der Zeit“
Glaubt man Bekir Alboga, Dialogbeauftragte der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion), der Bauherrin der Moschee und nach eigenem Bekunden Vertreterin von 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime, ist man hier auf einem sehr guten Weg. Und der soll mit der Moschee noch besser werden. „Wir werden dort auch ein Begegnungszentrum einrichten, in dem jeder Ehrenfelder stets willkommen ist.“ Das gelte im Übrigen auch jetzt schon. Wirklich jeder könne in die bestehende Moschee an der Ecke Innere Kanalstraße/Venloer Straße kommen und eine Tasse Tee trinken. „Wir freuen uns auf Sie.“ Integration ist laut Alboga nur „eine Frage der Zeit“.

Manchmal ändert näheres Hinsehen alles
Experte ist auch Ernst Raunig, evangelischer Pfarrer aus Duisburg-Marxloh. Dort gibt es bereits eine Moschee, die allerdings nicht ganz so groß ist wie die geplante in Köln. Er erinnerte daran, dass in seinem Stadtteil Deutsche und türkische Muslime schon lange zusammen leben, weil alle in der gleichen Stahlhütte gearbeitet haben. Aber auch in Marxloh sei der Prozess der Integration längst noch nicht abgeschlossen. Vor allem, so Raunig, müsse man einsehen und wissen, dass man Begegnungen zwischen den Kulturen nicht „von oben“ verordnen könne. Die müssten sich an der Basis wie von selbst ergeben. Beispielhaft für ein gelungenes Miteinander nannte er ein Kunstprojekt, das deutsche und türkische Frauen gemeinsam zusammengeführt habe. Vor allem die Frauen seien es, die sich in Marxloh bei Begegnungen näher kennen lernten. Eine fast blinde 100-Jährige aus der evangelischen Gemeinde in Marxloh habe bei einem solchen Zusammentreffen kürzlich eine junge Muslimin zu sich herangewunken und sie in Augenschein genommen: „Sind Sie Türkin?“ „Ja.“ „Dann muss ich meine Meinung über Türkinnen ändern.“

Den islamischen Glauben „fundiert und reflektiert lehren“
Senez Önel, islamische Theologin, Lehrerin und tätig in der Lehrerausbildung, sah sich zunächst mit der aus ihrer Sicht unnützen Kopftuchdiskussion konfrontiert. Sie trug keins, „weil ich nicht will, dass mein Glaube an solchen Äußerlichkeiten festgemacht wird“. Für sie ist die konkrete Zwiesprache mit Gott wichtiger als jede Kleiderordnung. Sie unterrichtet in Bickendorf und Ostheim, gemeinhin „soziale Brennpunkte“ genannt und hat bei ihren Schülerinnen und Schülern eine verstärkte Hinwendung zum Islam festgestellt. „Da ist es wichtig, den Glauben fundiert und reflektiert zu lehren und auf Irrwege hinzuweisen.“
Alboga wies auf die „Verfassungstreue der muslimischen Türken“ in Deutschland hin, gemeinsame Grundlage für das Handeln aller. Darauf fuße auch der Plan, die Moschee in Ehrenfeld zu bauen. Sie wird die größte in Deutschland sein – nach Mannheim. „Dort haben seit 1995 300.000 Menschen gebetet“, berichtete Alboga. Eine Moschee sei generell ein „offenes Haus“, die Existenz dieses Hauses bereits eine Einladung zu Begegnung und Integration.

Das Sprachproblem und die Chancengleichheit
Senez Önel erinnerte daran, dass an besagter Stelle seit 20 Jahren schon eine Moschee stehe. Die biete jedoch bei weitem nicht genügend Platz für die Gottesdienstbesucher und sei auch nicht präsentabel für jüdische oder christliche Gäste. Dort beten zurzeit vor allem türkische und arabische Muslime. Auf die Frage aus dem Publikum, in welcher Sprache, erklärte Alboga: „In einer Sprache, die man versteht.“ Er ist davon überzeugt, dass in 15 Jahren in der Moschee Deutsch/Türkisch und Deutsch/Arabisch gepredigt wird. Des Sprachproblems nahm sich Wolfgang Gottstein, Rektor der Ehrenfelder Everhardgrundschule, an. „Ketzerisch“ sei sein Statement, meinte der Lehrer zu Beginn, und erkärte: „Wenn ich in der Linie 5 zwischen zwei deutschen Teenagern sitze, verstehe ich die auch nicht mehr.“ An seiner Schule können sich 45 Prozent der türkischen Schülerinnen und Schüler bei ihrer Einschulung auf Deutsch verständigen. In der vierten Klasse ähnelten sich die Aufsätze deutscher und türkischer Kinder vor allem in den grammatikalischen Fehlern. Marlis Bredehorst, Sozialdezrnentin in Köln, hakte hier ein. Mittlerweile wisse man, dass das deutsche Bildungssystem Kinder aus bildungsfernen Schichten nicht ausreichend fördere, Chancengleichheit gebe es nicht.

Kurz in Wallung geriet das Plenum, als eine Frau einwarf, in Ehrenfeld könne man eine Moschee bauen, wenn die Behinderung von christlichen Gottesdiensten in der Türkei aufhöre. „In Istanbul gibt es 75 christliche Kirchen, in denen Gottesdienste gefeiert werden“, beteuerte Alboga. In der gesamten Türkei seien es gar 230.

Gleiche Chancen für alle religiösen Minderheiten
Das Schlusswort blieb Pfarrerin Dorothee Schaper, der Dialogbeauftragten des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, vorbehalten. Sie wies darauf hin, dass die Evangelische Kirche im Rheinland die Situation der Christen in der Türkei sehr genau beobachte. Für Köln lautete ihr Plädoyer: „Wir sollten den Menschen hier die Chancen geben, die wir uns woanders als Minderheiten wünschten.“ Das gelte besonders für die Protestanten, die in Köln ja auch erst seit wenig mehr als 200 Jahren Gotteshäuser besäßen.

    

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): ran