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„Die Welt kommt zur Ruhe, obwohl sie weiter tickt“ – meditative Angebote in der „Kapelle der Stille“

Acht helle Stoffmatten, auf denen schwarze Sitzkissen liegen. Hinter einigen dieser Kombinationen stehen zusätzlich Stühle. Ein rotgoldenes Kissen trägt eine Klangschale. Und im Zentrum dieser Anordnung befindet sich eine Kerze in einem mit Sand befüllten flachen Behältnis. Auf diese Ausstattung treffen Besuchende der „Kapelle der Stille“ in Köln-Poll. Zumindest im hinteren Bereich. Den muss passieren, wer zu den Stühlen möchte, die zwischen diesem und dem Altarraum aufgereiht sind.

„Kapelle der Stille“ – diesen Namen trägt die 1936 eingeweihte evangelische Kapelle seit Sommer 2013. Sie ist neben der Johanneskirche in Köln-Deutz unverändert eine Predigtstätte der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Deutz/Poll. Aber mit der vom Presbyterium beschlossenen Umbenennung ist sie auch und insbesondere „ein Ort für Besinnung und eine Gelegenheit, meditative Angebote auszuprobieren. Eine Möglichkeit, in verschiedenen spirituellen Traditionen zu üben“, erläutert Roger Schwind. Seit rund 20 Jahren amtiert der Pfarrer in der rechtsrheinischen Gemeinde. Und wartet dort mit Kontemplations- und Meditationsangeboten auf. Er hat die Namensänderung der Kapelle initiiert. Eine Änderung, „mit der ein Tun, ein Programm verbunden sein muss“, so die Vorgabe der Gemeinde. Tatsächlich dient die Kapelle als ein (kleines) Zentrum für kontemplative Formate, was den spannenden Eingriff in die Innengestaltung unter anderem mit der Einbringung von Sitzkissen erklärt.

Sich mit Gott und seiner Begegnung auseinandersetzen
„Wir haben verschiedene Gruppen und Angebote in unsere Kapelle aufgenommen, die einladen, sich auf die ein oder andere Weise mit Gott und seiner Begegnung auseinanderzusetzen“, so Roger Schwind. Dazu zählen aktuell das meditative Gesprächsangebot „Texte der Spiritualität“, die „Offene Kapelle“, das Angebot „Ruhe und Stille – während des Poller Marktes“, regelmäßige Taizé-Andachten sowie „Sitzen in der Stille“. Zu der Projektgruppe, die das Programm entwickelt und die Kapelle bespielt, gehört neben Schwind unter anderem das Ehepaar Marianne und Karsten Leverenz.

Das Sitzen in der Stille und die Achtsamkeit des Augenblicks
Die beiden Theologen stießen im Herbst 2013 dazu. Seit Anfang 2014 laden sie montags zum „Sitzen in der Stille“ ein. „In Meditationen im Sitzen und Gehen üben wir die Achtsamkeit des Augenblicks, wie sie in der Tradition des Zen sowie in der christlichen Kontemplation vermittelt wird“, erklärt Marianne Leverenz, Pastorin im Ehrenamt, Paar-, Lebens- und Erziehungsberaterin. „Der Weg dieser Übung ist ein Angebot an alle, die die spirituelle Erfahrung suchen und sich auf einen eigenen inneren Weg einlassen möchten. Unsere Gruppe versteht sich nicht als reine Zen-Gruppe, sondern ist offen für alle, die das Sitzen in der Stille üben wollen, in der Kontemplation oder in der Übung des Herzensgebetes – es ist eine Art Übungsplattform“, informiert Krankenhausseelsorger Karsten Leverenz, der ebenfalls als Paar- und Lebens-Berater sowie Supervisor fungiert.

An jedem Montag wird zum

„Den roten Faden haben wir beibehalten“
Karsten und Marianne Leverenz sind vor rund 40 Jahren als Jugendliche durch vom Pfarrer ihrer Gemeinde in Leverkusen vermittelte Angebote zur Meditation in der Stille gekommen. „Den roten Faden haben wir beibehalten“, sagt Leverenz. Das in die Erfahrung-Kommen hat bei beiden also eine lange Tradition. Durch die verschiedenen Lebensphasen hindurch haben sie Meditation in der Tradition des Zen geübt, begleitet durchweg von erfahrenen Lehrerinnen und Lehrern.

Man lernt eine „Technologie“ und bekommt einen „tieferen Blick“
Die Sitzkissen in der Kapelle würden schon mal kritisch gesehen, weiß Roger Schwind. „Sie werden mit einer anderen Religion identifiziert.“ Jedoch sei etwa Zen keine Religion, sondern ein spiritueller Weg. Er vermittle ideologiefrei Methoden und Übungen. Man lerne eine „Technologie“, die auch von Christen nutzbar gemacht werden könne. „In der Wahrnehmung der Erfahrung durch Methoden des Zen bekomme ich einen tieferen Blick, mir wird ein erweitertes Verständnis meiner christlichen Religion ermöglicht“, so Schwind. „Die Wahrnehmung der Erfahrung wirft einen neuen Blick auf Jesus, auf die Gegenwart Gottes. Es gibt eine Unterstützung.“

Die Körperlichkeit hilft den Worten auf eine andere Ebene
Meditation, ob in der Tradition des östlichen Zen oder in der Gestalt christlicher Spiritualität und Mystik als Kontemplation oder als Übung des Herzensgebets, sei „im evangelischen Raum kein so großes Thema“, meint Karsten Leverenz. „Vor 20, 30 Jahren war das noch völlig fremd.“ Inzwischen aber seien evangelische Gemeinden auf dem Weg, solche Angebote zu machen, als eine Variante für Menschen, die nicht nur etwas hören und sehen, sondern „die etwas schmecken wollen“. Von neuem her etwas zu „schmecken“, das habe etwas mit Körperlichkeit zu tun, verweist Leverenz auf das Meditieren im Sitzen und Gehen. „Die Körperlichkeit hilft Worten, auf eine andere Ebene zu kommen“, berichtet er von seinen eigenen Erfahrungen. „Durch die Übung still zu sitzen fährt man sein eigenes Ich zurück“, weiß Marianne Leverenz. „Das eröffnet einen Weg, etwas zu erfahren, was darüber hinausgeht. Und wenn es geschenkt wird, habe ich das Glück der Erfahrung.“ Auch Christinnen und Christen tue es gut, „zu sitzen“. Dabei sei die Berührung des Bodens wichtig, ergänzt Karsten Leverenz. Entscheidend sei, in entspannter Position auf dem Kissen zu sitzen, mit gestreckter Wirbelsäule, „so dass alles fließen kann“. Eine damit angestrebte „gute Erdung“ könne ebenfalls durch das Sitzen auf einem Stuhl erreicht werden, so Leverenz. Menschen, die den Lotossitz nicht einnehmen könnten, seien also nicht ausgeschlossen.

In entspannter Position kann man auf einem Kissen sitzen, mit gestreckter Wirbelsäule,


Ein Geräusch geht vorbei, es wird nicht zum Thema
Und wenn in der Meditation der Gedankenstrom plappert? Es gelte, „zu merken, was passiert, zu hören, was zu hören ist. Es geschieht eine Art Beobachtung dessen, was geschieht“, beschreibt Roger Schwind: „Bewertung hört auf. Etwas ist einfach so wie es ist, da gibt es kein ‚Sollen’ mehr.“ In der Kapelle unweit des Poller Marktplatzes „hören wir die Straßenbahn, Gespräche der Leute, den Wind, das Knacken der Bänke, all das hören wir“, schildert Karsten Leverenz seine Sicht. „Aber wir denken darüber nicht nach. Ich höre, aber das Geräusch geht vorbei, es wird nicht zum Thema. Die Welt kommt zur Ruhe, obwohl sie weiter tickt.“ Das sei vielleicht eine Ahnung dessen, „was wir Christen Frieden nennen“. Und seine Ehefrau meint: „Wenn ich so da bin, bin ich einfach da, darf die Wirklichkeit Gottes in diesem Moment spüren. Ich muss nicht anders sein als ich bin. Ich bin ein Kind Gottes, bin so angenommen, wie ich bin.“

„Gott ereignet sich auch dort, wo volle Gedanken sind“
Für die Gotteserfahrung bedürfe es nicht zwingend eines durch spirituelle Übung erzielten „Leerraumes“, ordnet Karsten Leverenz ein. „Gott ereignet sich auch dort, wo volle Gedanken sind. Er ist immer da, aber wir nehmen ihn häufig nicht wahr.“ Die Meditation öffne den Menschen für das, „was immer schon da ist“. Roger Schwind hat erfahren, dass durch Meditation das Bewusstsein wahrnehmungsfähiger wird.

… bis dass der Betende Gott hört
Für Roger Schwind, Karsten und Marianne Leverenz sind Gebet und Meditation mitnichten gegensätzlich. Einmütig beziehen sie sich auf den dänischen Philosophen und Theologen Søren Kierkegaard (1813-1855), der einst schrieb: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören, Beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“

Auf der Spur des eigenen Sehnens
Hinter den Angeboten in der Deutz-Poller „Kapelle der Stille“ – und inzwischen auch in anderen Gemeinden – stehe nicht das Konzept, volle Kirchen zu bekommen, betont Klinikpfarrer Karsten Leverenz. „Es gibt Menschen auf der Suche, deren Suchen und Sehnen in ihrer konkreten Gemeinde manchmal nicht beantwortet wird.“ In einer Meditationsgruppe könne jemand sich auf die Spur seines Sehnens begeben und Nahrung finden. Allerdings sei eine individuelle Einführung sinnvoll für Menschen, die bisher noch nicht in dieser Weise meditiert hätten. Gerne werde Interessierten gezeigt, „wie man auf seinen Atem achtet, wie man entspannt sitzen kann“. Gleichfalls stehe man zur Klärung von Fragen zur Verfügung, könne beratend tätig werden.

„Unsere Gesellschaft benötigt solche Angebote“
Laut Roger Schwind nehmen derzeit monatlich insgesamt rund 50 Menschen die Angebote in der „Kapelle der Stille“ wahr. „Solche Dinge wachsen langsam“, meint Karsten Leverenz. Es sei wichtig, sie ein Stück zu transportieren, damit sie sich herumsprechen. Häufig wüssten Interessierte nicht, was in der benachbarten Gemeinde angeboten werde. Unsere Gesellschaft benötige solche Angebote und entsprechende Räume, gerade auch in der Stadt, sind die drei Theologen überzeugt. Die Veranstaltungen in der „Kapelle der Stille“, gelegen in der Stadt, „mitten im Alltag“, böten eine gute Möglichkeit, die Suche nach Sinn und Erfahrung einzuüben.

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Aktuell bieten sechs Gemeinden im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region regelmäßig Meditations- und Kontemplationsgruppen an. Eine Übersicht inklusive der Kontaktdaten finden Sie hier.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich