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Das Nachbarschaftsfest auf der Merowingerstraße hat Tradition

Eine Bühne auf der Straße als Gemeindesaal, Bierzeltgarnituren als Kirchenbänke und ein Zettel mit Liedern und Texten als Gesangbuch: Der besondere Gottesdienst zum Nachbarschaftsfest in der Kölner Südstadt hat Tradition. Lutherkirchen-Pfarrer Hans Mörtter hatte erneut den Kabarettisten Wilfried Schmickler in sein Gotteshaus eingeladen. Christian Greve las das Gleichnis „Die Speisung der 4000“ aus dem Matthäus-Evangelium. Für die musikalische Gestaltung sorgte Kantor Thomas Frerichs mit dem Südstadtchor.

Das Nachbarschaftsfest in der Merowingerstraße ist mittlerweile eine Institution. Mörtter und ein Team aus dem Umfeld der Lutherkirche hatten im Jahr 2012 die Idee für diesen speziellen Gottesdienst: Damals war nicht abzusehen, dass ein evangelischer Gottesdienst mit einem katholischen Co-Prediger eine Straße mit Besuchern füllen könnte.

Begegnung statt Konsum
„Wir nennen das Fest bewusst Nachbarschaftsfest und nicht Straßenfest“, betont Pfarrer Mörtter. Er legt Wert darauf, dass das Fest von Menschen aus der Südstadt für Menschen aus dem Veedel organisiert wird. Angefangen von den Anwohnern und Geschäftsleuten, die Stände betreiben, bis hin zu den Künstlern, die das Kunst- und Kulturprogramm machen.

Gottesdienst mit Rap eröffnet
Bis zum Gottesdienstbeginn unterhielt das „Menschensinfonieorchester“, das Mörtter 2001 zusammen mit dem Musiker Alessandro Palmitessa gründete, die Gäste. Das Ensemble unterschiedlicher, oft benachteiligter Menschen, wird getragen vom Förderverein der Lutherkirche „Südstadt-Leben e.V.“. Das letzte Lied „Bella Ciao“ sang Mörtter mit, bevor er sich eine Stola mit afrikanischem Muster umlegte. Den Gottesdienst eröffnete der Pfarrer ebenso unkonventionell. Kantor Frerichs begleitete seinen Sprechgesang, in dem die Zeile „Am Anfang war das Wort“ wiederkehrte, jazzig auf dem Keyboard.

Angst vor Flüchtlingen? Da hilft manchmal ein bisschen Humor
Wie erwartet, fand der Südstadt-Pfarrer starke Worte zur aktuellen Weltlage. Diese bezogen sich insbesondere auf den Krieg der Religionen und die Angst vor dem Zustrom von Flüchtlingen. Co-Prediger Wilfried Schmickler plauderte mit spöttischem Humor sprachgewaltig von seinen Recherchen zum Thema „Angst vor Flüchtlingen“, als er in der Südstadt Tombola-Preise fürs Nachbarschaftsfest „kötten“ ging. Schäng, der kölsche Ureinwohner mit der asiatischen Katalog-Frau, habe ihn verunsichert, ob die Pegida vielleicht doch Recht hat. „Was ist mit dem Untergang des Abendlandes?“, erkundigte sich Schmickler deshalb im Kiosk von Ümit. „Müsste ich bestellen“, antwortete der. „Haben wir nicht auf der Speisekarte, aber Leipziger Allerlei“, hieß es im griechischen Restaurant. Solch absurden Witze ließen die Zuhörerinnen und Zuhörer aus dem Lachen nicht mehr herauskommen.

„Es ist genug für alle da“
Anknüpfend an die Lesung von der Speisung lobte Mörtter in seiner Predigt die Bewohner eines armen Dorfes auf der griechischen Insel Samos. „Als Flüchtlinge ankamen, kochten sie pausenlos, und das Wenige, das sie hatten, war immer noch genug, um es mit den Menschen zu teilen“, sagte er.
Auf dem Programmzettel zum Gottesdienst abgedruckt war die Antrittsrede von Nelson Mandela, als er Präsident von Südafrika wurde. Wie ein Gebet sprach der Lutherkirchen-Pfarrer diesen Text mit den Gottesdienstbesuchern. „Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht, dass wir den Anforderungen nicht gewachsen sind. Unsere tiefgreifendste Angst ist, dass unsere Kraft jedes Maß übersteigt“, heißt es darin. Vor dem Schlusssegen gab Mörtter allen ermutigende Worte mit auf den Weg: „Es ist genug da, was ihr habt, reicht für alle, ihr werdet nicht verlieren, sondern Leben gewinnen.“

Erlös für Deutschkurse und Kirchenasyl
Der Einnahmeüberschuss vom Nachbarschaftsfest und die Spenden sollen dafür verwendet werden, Flüchtlingen Deutschunterricht zu zahlen und auch dafür, ein drittes Kirchenasyl zu finanzieren. „Das ist eventuell erforderlich, da zurzeit eine Welle der Abschiebungen von Roma rollt“, so der Pfarrer.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert