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Chance oder Schande? Das 9. Altenberger Forum diskutierte über die sogenannten Ein-Euro-Jobs

„1-Euro-Job – Chance oder Schande?“ Das war das Thema beim 9. Altenberger Forum. Als Moderatorin Ute Glaser diese Frage ans Publikum richtete, antwortete dieses mit einem gespaltenen Votum. Etwa jeweils die gleiche Zahl an Händen streckte sich in die Höhe, als „1-Euro-Jobs“ erst als Schande und dann als Chance bewertet werden sollten und als kund getan werden sollte, dass man sich noch kein Urteil gebildet habe. Rund 80 Besuchende machten den Saal des Martin-Luther-Hauses in Altenberg „rappelvoll“ (Landrat Rolf Menzel).

Die neuen Jobs dürfen keine reguläre Stelle ersetzen
Geteilter Meinung waren auch die Experten auf dem Podium. Martin Klebe, Leiter der Bergisch Gladbacher Agentur für Arbeit, beurteilte die Zusatzjobs für Arbeitslose positiv – und klärte zunächst über deren Rahmenbedingungen auf: „Ein-Euro-Jobs“ sollten Arbeitslosen die Möglichkeit bieten, etwas dazu zu verdienen. Die mit der Stelle verbundene Arbeit müsse im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sein – das heißt, sie dürfe keine reguläre Stelle ersetzen. Die Jobs seien auf maximal zwölf Monate befristet. Klebe nannte sie „eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt“. Und auf diesem bestehe momentan nun mal ein „enormes Arbeitsplatzdefizit“: In Bergisch Gladbach stünden beispielsweise 8.500 Arbeitslosen exakt 392 offene Stellen gegenüber (Oktober 2004).

„Arbeitslosen Geld wegnehmen“
Zu einer ganz anderen Beurteilung kam Dr. Thomas Münch, Vorsitzender des Sozialethischen Ausschusses des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln und der Leiter des Kölner Arbeitslosenzentrums KALZ. Das Gesetzespaket „Hartz IV“, in dessen Rahmen die „Ein-Euro-Jobs“ eingeführt werden, sei der „bedeutendste Einschnitt ins soziale Netz seit 1945: Wir geben die Idee auf, dass Menschen, die arbeitslos werden, von der Gesellschaft solidarisch aufgefangen werden“, erklärte Münch. Man nehme „einem Großteil der Arbeitslosen das Geld weg und bietet ihnen eine Perspektive, die keine ist. Denn wir müssen das ja realistisch sehen: Wir werden nur einen geringen Teil dieser Leute im ersten Arbeitsmarkt unterbringen können, weil es einfach zu wenig Stellen gibt.“ Um Arbeitslosen zu helfen, müsse stattdessen mehr Geld in Weiterbildung und Qualifikation investiert werden, forderte Münch, dessen Redebeiträge an diesem Abend den meisten Applaus ernteten.

Gemischte Gefühle
Wie im Publikum, gab es auch unter den Diskutanten solche, deren Urteil zwiespältig ausfiel. Thomas Hartung, Projektleiter der Erwachsenenbildung Nordrhein, erklärte, „es schlagen im Prinzip zwei Herzen in meiner Brust: Einerseits beschäftigen wir Arbeitslose mit diesen Jobs ein Jahr lang sinnvoll. Andererseits kann man diese Beschäftigung eigentlich nicht als Job bezeichnen.“ Die Bezahlung sei zu gering und es werde ja nicht mal ein Arbeitsvertrag geschlossen.
Mit gemischten Gefühlen sieht auch Hans-Peter Bolz die „Ein-Euro-Jobs“. Die Caritas Rhein-Berg, deren Geschäftsführer Bolz ist, hat bereits 30 solcher Zusatzjobs eingerichtet. Seit Mitte November gehen die ersten „Ein-Euro-Jobber“ bei dem Wohlfahrtsverband ihrer Arbeit nach. Doch Bolz weiß auch: „Die Arbeitslosen verbinden mit diesen Jobs große Hoffnungen. Doch den meisten von ihnen können wir keine mittel- oder langfristige Perspektive bieten.“ Er könne sich aber vorstellen, den ein oder anderen in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zu übernehmen.

Doch bei allen Meinungsverschiedenheiten in der Bewertung von „Ein-Euro-Jobs“: Einig war man sich auf dem Podium darüber, dass „wir Alternativen entwickeln müssen zu Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt“, wie Agentur-Chef Klebe es formulierte. Denn die Zahl der Arbeitslosen werde über einen längeren Zeitraum ihr gegenwärtig hohes Niveau wahren. „Wir müssen darüber nachdenken, was wir demnächst als Arbeit ansehen“, sagte Hartung dazu.

Weitere Informationen
Noch einen Text über das 9. Altenberger Forum finden Sie – neben weiteren Fotos – hier.

Die Evangelische Kirchengemeinde Bergisch Gladbach hat – gemeinsam mit der Agentur für Arbeit – bereits 60 „Ein-Euro-Jobs“ geschaffen. Erfahrungen, Perspektiven und Kontroversen hier.

Das Thema wurde auch von den großen Wohlfahrtsverbänden – darunter das Kölner Amt für Diakonie – diskutiert. Sie haben in einem Positionspapier dargelegt, unter welchen Bedingungen ihnen „Ein-Euro-Jobs“ vertretbar erscheinen. Nachzulesen hier.

Text: Ingo Gschwilm
Foto(s): Ingo Gschwilm