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Buchvorstellung: Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im „Dritten Reich“, herausgegeben von Günther van Norden und Klaus Schmidt

Auch in der Evangelischen Kirche im Rheinland sei im letzten Vierteljahrhundert die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus intensiviert worden, schreibt Präses Nikolaus Schneider im Vorwort der Veröffentlichung „Sie schwammen gegen den Strom. Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im ´Dritten Reich´“. Für das Fortschreiten dieses Prozesses ist der jüngst im Kölner Greven Verlag erschienene Titel selbst ein Beleg. Insgesamt 17 Autorinnen und -autoren portraitieren darin 65 rheinische Protestantinnen und Protestanten.



Gegen den „braunen Strom“
„Sie hatten es gewagt, an dieser oder jener Stelle mit unterschiedlichen Mitteln gegen den ´braunen Strom´ zu schwimmen, die einen durch ein offenes Wort, die anderen durch eine helfende Tat, die einen mit mutiger, die anderen mit ängstlicher Widersetzlichkeit“, erläutert einleitend der Initiator und Mitherausgeber der Schrift, Prof. em. Dr. Günther van Norden. Der renommierte (Kirchen)Historiker und Verfasser ungezählter Publikationen zur kirchlichen Zeitgeschichte, Jahrgang 1928, lehrte bis 1993 als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wuppertal. Außerdem saß er lange Jahre dem Ausschuss für kirchliche Zeitgeschichte der EKiR vor.

Mit-Herausgeber  Klaus Schmidt
Als Mit-Herausgeber gewann van Norden den 1935 im niederrheinischen Rheydt geborenen und in Köln ansässigen Theologen und Historiker Klaus Schmidt. Der evangelische Pfarrer i.R. hat ebenfalls diverse Abhandlungen zur rheinischen Kirchengeschichte, insbesondere des 19. Jahrhunderts, verfasst, darunter etliche Biographien. Wegen seiner Verdienste um das multinationale Zusammenleben und die landschaftliche Kulturpflege wurde Schmidt vom Landschaftsverband Rheinland im April 2006 der „Rheinlandtaler“ verliehen.

Frauen und Männer – beispielhafte Porträts
Die Veröffentlichung stellt beispielhaft Frauen und Männer vor, „die in der Zeit des Nationalsozialismus unter der Herrschaft von Partei und Staat, aber auch unter der Herrschaft der nazifizierten Kirche gelitten haben“. Sie nennt Protestanten aus der rheinischen Kirche, „die Bedrückung und Verfolgung ausgesetzt waren, nicht um sie zu Widerstandskämpfern, Märtyrern und Heroen zu stilisieren“, betont van Norden in seiner Einleitung, „sondern um an sie zu erinnern und sie zu ehren“.

Der Vergessenheit entrissen
Das Leben und Wirken zahlreicher dieser Menschen, darunter Gustav. W. Heinemann und Kurt Gerstein, ist bereits in Lexika, Einzel- und Gesamtdarstellungen gewürdigt worden. Dies belegen die angefügten Literatur- und Quellenhinweise. Viele der Portraitierten werden aber erst jetzt für eine breitere Öffentlichkeit der Vergessenheit entrissen. Dabei behandeln die Autorinnen und Autoren oft nicht nur die Zeit bis 1945. Sie gehen, so weit der knappe Umfang es zulässt, auch auf die Lebenswege nach dem Krieg ein.
Die unterschiedlich langen Beiträge umfassen in der Regel drei, vier Seiten. Die Publikation, die keine Abbildungen aufweist, dafür ein kurzes Verzeichnis wichtiger Begriffe und Namen, liefert zu jedem Portrait weiterführende Literatur. Zudem werden aussagekräftige Passagen aus verschiedenen Dokumenten und Originalzitate eingeflochten.
Die Herausgeber gliedern die Kurzportraits in vier Gruppen: Christen und Christinnen jüdischer Herkunft, „illegale“ Theologen und Theologinnen, engagierte Gemeindeglieder sowie „legale“ Pfarrer. Jeder dieser vier Abschnitte wird separat eingeleitet. Dies erleichtert, neben der allgemeinen Einführung von van Norden und dem Nachwort von Schmidt, den jeweiligen Einstieg.

Von Elisabeth von Aschoff bis Moritz Weisenstein
Selbstverständlich finden auch Menschen, die in Köln gelebt und gearbeitet haben, Erwähnung. Unter den „Christen und Christinnen jüdischer Herkunft“ sind dies der Pfarrer und Krankenhausseelsorger Ernst Flatow (1887-1942), der Musikdirektor Julio Goslar (1883-1976), Organist und Chorleiter an der Lutherkirche in Köln-Nippes, und der Diakon Moritz Weisenstein (1876-1944), Vertrauensmann des „Büros Grüber“ in Köln, das evangelisch getaufte und andere Rasseverfolgte beriet und ihnen auch Ausreise- oder Arbeitsgelegenheiten vermittelte.
In der Rubrik der vom Konsistorium („staatlich kontrollierte Behörde für die Verwaltung kirchlicher Angelegenheiten“) wie von den politischen Stellen als „illegal“ angesehenen Theologinnen und Theologen sind mit Blick auf Köln die vier Vikarinnen und SPD-Mitglieder Ina Gschlössl (1898-1989), Annemarie Rübens (1900-1991), Aenne Schümer (1904-1982) und Elisabeth von Aschoff (1904-2004) sowie der Hilfsprediger Udo Röhrig (1911-1979) zu nennen.
In der Reihe der „legalen“ Pfarrer werden aus lokaler Sicht der standhafte „rote Pfarrer“, der Sozialdemokrat und NS-Gegner Georg Fritze (1874-1939) portraitiert, dessen Wirkungsort Köln seltsamerweise nur in der Überschrift Erwähnung findet; außerdem der in Köln konfirmierte und ordinierte, als Hilfsprediger in Wesseling tätige und 1930 nach Essen berufene Heinrich Held (1897-1957), Mitbegründer der Bekennenden Kirche und 1948 erster Präses der EKiR.

Deutlich artikuliert: die MIt-Schuld der evangelischen Kirche
Festzustellen ist, dass, wie von Präses Schneider im Vorwort hervorgehoben, in den Portraits die Schuld der offiziellen, „nazifizierten“ evangelischen Kirche, insbesondere der Mehrheit ihrer Leitung, aber auch von zahlreichen Presbyterien tatsächlich deutlich artikuliert wird. Eben so „das teilweise Versagen der Bekennenden Kirche“. Eindringlich verweist Schmidt in seinem Nachwort, das aber ergänzend zur Einleitung empfohlen sei, auf die bis in die Bekennende Kirche hinein geächteten, tabuisierten „sozialdemokratische Zielvorstellungen“, von denen Theologen wie Karl Barth und Georg Fritze oder die Kölner Vikarinnen geprägt waren.

Bibliographie
Sie schwammen gegen den Strom. Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im „Dritten Reich“, hrsg. von Günther van Norden und Klaus Schmidt, Köln 2006, 253 Seiten, geb., Greven Verlag, 14,90 Euro, ISBN 3-7743-0382-7.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich