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Buch-Neuerscheinung: Fotografin Sabine Würich hat ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Köln porträtiert

Die Frauen und Männer schauen, zumeist, direkt in die Kamera von Sabine Würich. Bemerkenswert ist das zurückhaltende, überwiegend freundlich-milde Lächeln der portraitierten Senioren. Bemerkenswert angesichts ihrer Lebensgeschichte, insbesondere ihren Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Sie leben in Polen, Russland, Weißrussland, der Ukraine und Belgien. Entstanden sind die eindrucksvollen Bilder während ihres Kurzaufenthaltes in Köln in den Jahren 2005 bis 2007. Normale Fotografien? Sicherlich nicht. Als die nun Porträtierten das erste Mal mit Köln in Kontakt kamen, waren sie als Zwangsarbeitende hierher verschleppt worden. Einige von ihnen sind sogar hier geboren.


Bildnisse konzentrieren sich auf das Gesicht
Insgesamt umfasst die im Emons-Verlag erschienene Publikation 67 Porträts ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Köln. Herausgeber des Bandes ist das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und die „Projektgruppe Messelager“ im Verein EL-DE-Haus e.V. Sabine Würichs Bildnisse, konzentriert auf das Gesicht, haben etwas Behutsames, zugleich Unergründliches. Und deren Eindringlichkeit vermag sich mit dem Wissen um das Schicksal der Fotografierten weiter zu verstärken.

76-Jährige kehrt an den Ort ihrer Kindheit zurück
Im Zweiten Weltkrieg wurden unzählige Menschen aus Ost- und Westeuropa ins Reichsgebiet verschleppt, um in kleinen Firmen, großen Betrieben, kommunalen Einrichtungen und in der Landwirtschaft Zwangsarbeit zu verrichten. Allein für Köln und die nahe Umgebung wird die Zahl der ausländischen Zwangsarbeiter auf über 100.000 geschätzt. Unter ihnen befand sich auch die Familie von Danuta Stepien, geborene Waclawska. Im Oktober 1941 war die Zehnjährige mit Mutter, Vater, Bruder und Onkel vom elterlichen Hof in der Nähe von Lodz nach Immendorf in der damaligen Gemeinde Rondorf, heute zu Köln gehörend, deportiert worden. Ziel war der Zaunhof. Die Älteren arbeiteten auf dem Feld, Danuta Waclawska half im Haushalt. Als Unterkunft teilte man sich mit einer weiteren Familie eine in den sechziger Jahren abgerissene „Bruchbude“ am Ortseingang. Im Rahmen des Kölner Besuchsprogramms für ehemalige Zwangsarbeitende von den ehrenamtlichen Projekt-Mitarbeitenden Änneke Winckel und Alois Doppler begleitet, kehrte die 76-Jährige im Mai 2007 für wenige Stunden an diesen Ort ihrer Kindheit zurück. Begleitet wurde sie von ihrem jüngeren Bruder Jan Waclawski, der 1942 hier geboren und in der Pfarrkirche St. Servatius getauft wurde. An die damalige Pächterfamilie des Zaunhofes hat Danuta Stepien eine eher gute Erinnerung. „Wir konnten uns relativ frei bewegen“, übersetzte die Dolmetscherin Joanna Ruppert ihre Einschätzung. Man habe hier schon mit anpacken müssen. Aber es sei, verglichen mit den weitgehend fürchterlichen Erfahrungen anderer Zwangsarbeitenden, „nicht so schlecht“ gewesen. Ihr Vater dagegen, dem vor dem Krieg eine Niere entfernt wurde und der deshalb nicht schwer hätte arbeiten dürfen, erkrankte ob der körperlichen Anstrengungen. Daraufhin wurde die Familie über Bonn in die Nähe von Bielefeld verlegt. Nach ihrer Befreiung im Mai 1945 wartete sie ein Jahr lang in einem Übergangslager auf den Rücktransport in die Heimat.

Damals blieb ihnen der Zutritt zum Kölner Dom verwehrt
Danuta Stepien und ihr Bruder Jan Waclawski gehören wie die 65 weiteren von Sabine Würich Portraitierten zu den bislang 469 ehemaligen Zwangsarbeitenden, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen in Köln, die im Rahmen eines Besuchsprogramms in der Domstadt weilten. Begründet wurde dieses auch bundesweit außergewöhnliche Programm von der „Projektgruppe Messelager“ im Verein EL-DE-Haus e.V. Diese hatte 1989 mit städtischer Unterstützung erstmals ehemalige Zwangsarbeitende nach Köln eingeladen. Nach einem Ratsbeschluss wird das Programm seit 1990 von der Projektgruppe gemeinsam mit dem städtischen NS-Dokumentationszentrum durchgeführt. Jeweils inbegriffen sind ein Empfang durch den Oberbürgermeister im Historischen Rathaus, Stadtführungen und Ausflüge. Fester Bestandteil des Programms ist ein Besuch des Kölner Doms. Viele der ehemaligen Zwangsarbeitenden können sich noch an die „große Kirche“ erinnern, deren Türme sie von Weitem erblickten oder die sie aus kürzester Distanz erlebten. Damals aber blieb ihnen, den Arbeitssklaven, der Zutritt verwehrt.

In „vertrauensvoller Atmosphäre“ werden die Lebensgeschichten erzählt
Zu den zentralen Punkten des Programms gehört ebenso, wenn noch existent, der Besuch ihrer ehemaligen Wohn- und Arbeitsstätten in Köln und Umgebung. Schließlich führen die ehemaligen Zwangsarbeitenden Interviews mit Historikern. Darin berichten sie in „vertrauensvoller Atmosphäre“ über ihre Lebensgeschichte vor, während und nach ihrer Verschleppung. Darin teilen sie „individuelle Erinnerungen an Ereignisse und Episoden“ mit, die deutlich machen, „welche Last diesen Menschen durch Nationalsozialismus und den zweiten Weltkrieg aufgebürdet wurde“, so Werner Jung, Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Die gewonnenen Erkenntnisse seien enorm, verweist er auf einen Schatz von Informationen mit derzeit 25.000 Datensätzen.

Ein bewegender Moment, wenn das leidvolle Schicksal ernst genommen wird
Werner Jung hebt das anhaltende ehrenamtliche Engagement von Bürgern, die „quirlige Arbeit“ der „Projektgruppe Messelager“ hervor, ohne die das Programm so nicht möglich sei. „Köln hat eine besondere Position inne“, betont Jung die in Deutschland einmalige Kontinuität und die Vorbildfunktion des hiesigen Besuchsprogramms für andere Städte. „Uns interessiert, was diese Menschen zu sagen haben. Es ist immer ein bewegender Moment für die Gäste, wenn sie spüren, dass ihre Geschichte, ihr leidvolles Schicksal ernst genommen werden. Die meisten der Besuchenden empfinden es als gut, noch einmal zurückgekommen zu sein. Und wir selbst erleben es als unglaubliche Ehrung, dass die Menschen uns dieses Vertrauen schenken. Das ist nicht selbstverständlich. Dafür unseren Dank und Respekt.“

Das Buch verleiht den Gepeinigten ein Gesicht
Die vorliegende Publikation versteht sich auch als Würdigung der ehemaligen Zwangsarbeitenden selbst wie des Programms. Als Bilder- und Lesebuch vermittelt sie ein Bild des schwierigen und ernsten Themas. Vor allem verleiht es den Gepeinigten ein Gesicht. Die 1962 in Bogotá geborene, heute in Köln, Berlin und Moskau lebende Fotografin Sabine Würich macht deutlich: Die Gäste sind die Hauptpersonen. Im Vorfeld der Portraitreihe habe sie viele Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitenden gelesen. „Aber die Personen hinter dem Gesprochenen blieben immer merkwürdig unsichtbar.“ Seine Qualität bezieht das Buch, das im Anhang unter anderem die Namen der bisherigen Gäste des Besuchsprogramms aufführt, nicht zuletzt aus der Ergänzung der Portraits um biographische Skizzen und Interviewauszüge. „Dieser zusätzliche dichte, erzählerische, individuelle Aspekt ist uns wichtig“, erläutert Karola Fings, stellvertretende Leiterin des NS-Dokumentationszentrums und Mitglied der „Projektgruppe Messelager“. Durch diese kleinen Episoden erst werde deutlich, wie vielschichtig und unterschiedlich die Erfahrungen der einst Verschleppten seien.

Das Buch ist zu erhalten bei:
Sabine Würich: Den Dom durften wir nie betreten. Porträts ehemaliger Zwangsarbeiter in Köln; herausgegeben vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und von der „Projektgruppe Messelager“ im Verein EL-DE-Haus e.V., Köln, Emons-Verlag, 156 Seiten mit 67 Abbildungen, 14.90 Euro.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich