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„Ausgrenzen oder ausdiskutieren?“

Einem Thema, das derzeit in alle gesellschaftlichen Bereiche ausstrahlt, hat sich Bischof Dr. Markus Dröge beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region gewidmet. „Konsens und Konflikt – ausgrenzen oder ausdiskutieren? Ein Plädoyer für mehr Mut zu kontroversen Diskussionen“ hatte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz seinen Vortrag überschrieben. Doch bevor der profilierte Prediger aus Ostdeutschland das Wort ergriff, begrüßte Stadtsuperintendent Rolf Domning die Gäste in der Kartäuserkirche.

In seiner Begrüßungsrede machte der Stadtsuperintendent gleich deutlich: „Als evangelische Kirche geizen wir nicht mit politischen Stellungnahmen – zur Flüchtlingsdebatte, bei den Themen assistierter Suizid, Abtreibung, Präimplantationsdiagnostik, Mindestlohn, Sonntagsschutz – oder bei der ‚Ehe für alle‘. Und wir werden als informierte und demokratisch geübte Gesprächsteilnehmer gehört und sitzen wie andere gesellschaftliche Großgruppen in Ethik- und Rundfunkräten.“ In Zeiten, in denen in vielen Ländern die Pressefreiheit eingeschränkt werde und der Hass in den sozialen Medien zunehme, müsse es Sache der Kirche sein, auf die Stärkung einer lebendigen demokratischen Kultur zu drängen. Dazu sei es notwendig, auch intern Diskurse zu führen. Offizielle kirchliche Stellungnahmen zeichneten ein einheitliches Bild der Kirche. „Inwieweit hören wir aber die Befindlichkeit der 23 Millionen Kirchenmitglieder?“, fragte Domning. „Wir brauchen hier eine neue Sprachfähigkeit, um solche Diskurse anschlussfähig zu führen. Statt eines ‚oberflächlichen Mainstream-Protestantismus‘ brauchen wir auch innerhalb der Kirche eine Pluralität politischer Meinungen.“ Dabei gebe es natürlich rote Linien „Immer da, wo freiheitliche Demokratie und Menschenrechte gefährdet sind, immer da, wo Akteure destruktive Ziele verfolgen- perfide besonders da, wo demokratische Kultur mit demokratischen Mitteln untergraben wird.“
Bischof Dr. Markus Dröge und Stadtsuperintendent Rolf Domning beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region
Passend zur Adventszeit erklärte Bischof Dröge in seinem Vortrag das Menschenbild der Kirche mit der Weihnachtsbotschaft: „So wie zum Kind in der Krippe Menschen aus fernen Ländern gekommen sind und dazu Hirten aus der Heimat, wie Könige und Arme zusammenkamen bei dem erbärmlichen Flüchtlingskind, das die Liebe Gottes in ihnen geweckt hat. Diese Botschaft prägt unsere Gesellschaft, vielen gar nicht mehr bewusst. Sie ist eine der Quellen unserer Wertordnung: gleiche Würde und die gleichen Rechte für alle Menschen, gleich welcher Religion und Weltanschauung, gleich welcher Kultur und Prägung. Die Weihnachtsbotschaft prägt unser Menschenbild.“

Dröge fragte, ob es einen Grundkonsens gibt, der die Gesellschaft prägt. Etwa den, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Der Bischof hat in den vergangenen Jahren eine Verschiebung der Werte beobachtet: „Rechtspopulistische Funktionäre setzen kleine Nadelstiche, bringen spielerisch provozierende Thesen ein, die, nachdem sie sich genügend verbreitet haben, jonglierend wieder zurückgenommen werden. So verschiebt sich die Werteordnung dessen, was als anständig gilt.“ Es bestehe die Gefahr der Gewaltduldung. Völkisches Gedankengut werde salonfähig. Die deutsche Schuldgeschichte werde als „dämliche Erinnerungskultur“ bezeichnet. Dröge bezog sich ausdrücklich auf die „populistische Rechtspartei, die nun auch in den Bundestag eingezogen ist“. Die Aufgabe und Haltung der christlichen Kirchen müsse klar sein und sei klar: „Wo es um die Menschenwürde und die Menschenrechte aller Menschen, unteilbar und unbegrenzt, geht, da haben katholische und evangelische Kirche mit einer Stimme gesprochen und sehr klar gemacht, dass Hass, menschenverachtende Thesen, Rassismus in jeder Form, mit einer christlichen Grundhaltung nicht zu vereinbaren sind. Die Position der Kirchen ist klar: Wer das Christentum für menschenverachtende Haltungen in Anspruch nehmen will, lästert Gott.“

Kein Pfarrer und keine Pfarrerin, der oder die auf die Barmer Theologische Erklärung ordiniert sei, könne eine völkische Ideologie vertreten, wenn er oder sie das Ordinationsgelübde ernst nehme. Trotzdem gebe es Gemeindeglieder, die dieser Ideologie anhingen. In der Gemeinde vor Ort müsse man unterscheiden zwischen der Person, die man ernst nehme, und den Thesen, die man sachlich zu widerlegen habe. Das sei bisweilen ein „Kunststück“ der Nächstenliebe. Die „Schmerzgrenze“ beginne, wo menschenverachtende Positionen vertreten würden. „Wo es aber darum geht, die Situation von Menschen wahrzunehmen, die reale Ausgrenzungserfahrungen gemacht haben, da ist unsere Gesprächsbereitschaft gefragt, da müssen wir Räume anbieten, in denen das ausgesprochen werden kann, was bedrückend ist“, so Bischof Dröge. Es seien Fehler gemacht worden nach dem Fall der Mauer. Die Menschlichkeit sei oft untergegangen, als westliche Manager und Macher mit Goldgräbermentalität ihren Startvorteil als Westler schamlos ausgenutzt hätten.

Verdrängte Verletzungen der Ostdeutschen träten heute mit Macht an die Oberfläche. Da werde nun gerufen und manchmal geschrieben: „Wer sorgt für mich? Wen kümmert meine Lebensgeschichte? Wo ist der Ort, an dem ich mithalten kann und mich auskenne?“ Für solche Fragen müsse man nach Ansicht des Bischofs Verständnis haben, und die Politik müsse bereit sein, sich auf den Prüfstand stellen zu lassen. Sicher sei aber, dass Nationalismus, Menschenverachtung und Schuldzuweisungen an die Schwächsten keine Lösung sei. Dennoch: Das Erfolgsmodell freiheitliche Demokratie sei bedroht: „Als Systemischer Berater habe ich gelernt, dass bei guten, innovativen Projekten nach einer gewissen, erfolgreichen Startphase, fast zwangsläufig eine Phase kommt, in der die alten Kräfte noch einmal den Aufstand proben: Missmut wird verbreitet, Pessimismus gestreut, Nostalgie wird wach, das Alte wird glorifiziert, um sich nicht den Neuerungen stellen zu müssen, das ganze Projekt wird in Frage gestellt. ,Ambivalenz-Wippe‘ nennt das die Systemische Beratung. Eine kritische Phase, in der sich entscheiden muss, ob das Projekt weitergeführt werden kann oder ob es scheitert. In dieser Phase gilt es, unerschrocken und ruhig die Linie zu halten. Das führt zum Erfolg.“

Gesprächsstoff genug also für die Gäste des Jahresempfangs, die sich in der Kartause bei einem Buffet und Getränken trafen, um die Themen zu diskutieren, die Stadtsuperintendent Rolf Domning und Bischof Dr. Markus Dröge vorgegeben hatten.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann