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Auch eine scheinbar harmlose Collage kann journalistisch „Stimmungen schüren“ – Günter A. Mennes Leserbrief zu einem Beitrag von Susanne Hengesbach im Kölner Stadt-Anzeiger

Der Pressesprecher des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, Günter A. Menne, hat in einem Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger auf einen Beitrag von Susanne Hengesbach im Kölner Stadt-Anzeiger vom 21. September reagiert, der am Morgen des 22. September noch online stand, danach aber offenbar entfernt wurde. Hengesbach hat damit einen Beitrag verfasst, in dem ausschließlich positive Stimmen von Ausstellungsbesucherinnen und -Besuchern zu der Körperwelten-Ausstellung zitiert werden. Das scheint umso seltsamer, als der Stadt-Anzeiger auf seiner Internetseite (hier) mit „Darf man Tote beim Sex ausstellen?“ eine virtuelle Meinungsumfrage gestartet hat, nach der mit 42,08 Prozent am MiIttag des 22. September eine Mehrheit der Teilnehmenden fand, „man sollte die gesamte Ausstellung stoppen – das ist eine Kirmes für Perverse“. 30.23 Prozent sagten zu diesem Zeitpunkt: „Entscheidungen über guten oder schlechten Geschmack sind nicht Sache des Ordnungsamtes.“ Und 27,69 Prozent entschieden sich für: „Cool bleiben – Plastinator von Hagens provoziert diese Skandale nur, um im Gespräch zu bleiben.“

Hier der Leserbrief von Günter A. Menne im Original
Im letzten einer ganzen Reihe von Artikeln des Kölner Stadt-Anzeigers über die laufende Ausstellung „Körperwelten“ werden diesmal von Susanne Hengesbach diverse Anschauungen und Meinungen des Publikums über die Schau zusammengestellt. Die Montage erweckt den Eindruck: Alle Besucher sind – ohne Ausnahme – sehr angetan, von dem, was ihnen geboten wird, das belegt die Autorin mit zahlreichen O-Tönen („Hier ist doch keiner ausgebuddelt und aus dem Grab geholt worden“ – „Es ist wirklich nicht gruselig“ – „Eine Meisterleistung“ – „Ich finde es spannend und ästhetisch“ ). Durch ein Blitzlicht-Interview mit einem Elternpaar aus Düren, das seinen 6jährigen Sohn („Das ist doch etwas ganz Natürliches“) in die „Körperwelten“ einführt, wird dem Leser glaubwürdig vermittelt: Das Ganze ist nicht nur harmlos, sondern vielmehr „Pflicht“ – zumindest „für alle, die im Gesundheitssystem arbeiten“, in jedem Fall aber „faszinierend“ und allemal einen Besuch wert für jedermann. Zum Schluss wird unter den Stimmen des Volkes noch eine 24jährige Besucherin mit der Expertise zitiert: „Die Ausstellung wird einem wissenschaftlichen Anspruch absolut gerecht“. Dem gegenüber empfindet die junge Frau den Protest der Kirche „gegen gewisse Darstellungen“ (von Leichen im plastinierten Sexualakt) „als Hohn“, denn: „Bei sexuellem Missbrauch hält sich die Kirche schön raus. Und der vollzieht sich an den Lebenden.“

Hengesbach hat diese These einer anonymen 24Jährigen, wie alles andere, so stehen lassen: Sex, Missbrauch, Kirche, Doppelmoral! Weiß doch jeder! Und über so was regen die sich jetzt wieder auf… Susanne Hengesbach weiß – so wie die junge Frau, mit der sie gesprochen hat – offenbar nichts von der Arbeit evangelischer Frauenbeauftragter und kirchlicher Beratungsstellen, nichts von Frauenhäusern der Diakonie oder Gemeindekollekten für das Kölner Mädchenhaus. Warum auch? All das gehört ja schließlich auch nicht mit hinein in eine Reportage über die Wunder der menschlichen Anatomie aus dem „Kabinett“ des Gunther von Hagens. Deshalb hat Susanne Hengesbach als neutrale Berichterstatterin auch nur das mitgeschrieben, was eben so gesagt worden ist – und darauf alles ganz einfach nebeneinander gestellt und ins Blatt gehoben. Dazu ein Foto von jenem berühmtesten Exponat, dem bis auf die Sehnen und Muskeln enthäuteten Schachspieler: sehr sachlich auch dieses Arrangement. Voll des Lobes für so viel Objektivität bemerkt der Leser dankbar: In diesem Zeitungsbeitrag geht es mal nicht um Meinung oder Kritik (die hatten wir ja nun schon zu Genüge). Nein, Susanne Hengesbach geht es – wie Gunther von Hagens ! – um Aufklärung. Um das Zeigen von Realität. Um die Darstellung der nackten Wahrheit. Und nicht um Klärung irgendwelcher Behauptungen oder Geschmacksfragen. Man muss schon anerkennen: Das ist ungeschminkter (und offenbar auch unredigierter) „Wissenschaftsjournalismus“, der einem unter die Haut geht – im Klartext: eine höchst fragwürdige PR-Collage, ein verantwortungsloses Ärgernis.

Text: Günter A. Menne
Foto(s): Schulzki