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Auch das ist Kirchentag: Die andere Seite… Kunst unter verschiedenen räumlichen Bedingungen kann die Wahrnehmung verändern

Unter den vom Kulturbeirat der rheinischen Landeskirche initiierten Kunstausstellungen und -projekten nimmt „die andere seite“ eine zentrale Rolle ein. Das Projekt versammelt Skulpturen und Installationen, Fotografien, Bilder und Performances von rund zwanzig Kunstschaffenden. Auf beiden Seiten des Rheins, in Innen- wie Außenräumen.

Nicht nur Worte beim Kirchentag: Die „andere seite“, das ist die Kunst
„Die andere seite“ zeigt unterschiedliche künstlerische Standpunkte und Herangehensweisen. Der Titel soll neben dem lokalgeographischen Aspekt die Bedeutung der Kunst als Pendant zu den verbalen Debatten des Kirchentages verdeutlichen, erläuterte der federführende Kurator Erich Witschke beim rechtsrheinischen Rundgang. „Wenn wir von der ´andere Seite´ sprechen, schwingt auch immer eine andere, transzendente Dimension mit“, so der Kunstbeauftragte des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.

Im eigentlichen Sinn religiöse Kunst ist erwartungsgemäß nicht zu finden. Statt dessen werden die Besuchenden mit elementaren und sehr individuellen Fragen und Kommentaren zur Gesellschaft konfrontiert. Mit Aspekten, die natürlich auch das Christ-Sein heute betreffen. Mit Äußerungen, die allgemein Leben und Tod behandeln. Gemeinsam ist allen Arbeiten, hüben wir drüben: Sie befinden sich entlang der Laufwege der Kirchentags-Gäste. Wie auf dem Messegelände, wo Witschkes Rundgang startete. Im Zentrum des Kirchentages sind in Hallen und Boulevards Stationen der „anderen seite“ eingerichtet. Ralf Kaspers etwa konfrontiert in „Dekalog – die zehn Gebote“, einem großformatigen Fotografie-Zyklus, „die alttestamentlichen Gebote mit aktuellen Bildwelten“. Deutlich provokanter ist Ivo Webers Vorschlag einer „Taufmaschine“, mit der er das elementare christliche Ritual „automatisiert“.

Wie sich beim Wechsel von der geschlossenen Messe in die besonnte Natur des Rheinparks zeigte, ist der Titel „die andere seite“ auch auf räumliche Veränderungen zu münzen. „Genau das war unsere Absicht“, so Witschke. „Wir wollten Kunst unter verschiedenen Bedingungen zeigen, dadurch auch unterschiedliche Wahrnehmungen ermöglichen.“

„Wo Kirchen standen, werden heute Schlacketürme gebaut.“
Deva Wolfram hat einen literarisch-botanisch-künstlerischen Wanderweg eingerichtet. Ihre „Segnaletica“, Signale und Zeichen stehen nahe dem Pavillon-Café. Wolframs hüfthohe Schaukästen enthalten Kurztexte zur Kölner Flora und zur Stadtökologie. Ebenso mit Bild und Fotomaterial unterlegte Zitate aus Literatur und Philosophie. Unmittelbar an der Rheinpromenade steht „Cinderella – Golden Platform“ von Tina Hauser. Die hohe, turmartige Außenskulptur scheint eine alte Aussichtsbühne im Park zu durchbrechen. Hauser hat rund siebzig Müllschlacken-Platten gestapelt. Oben drauf steht eine goldglasierte Tonarchitektur mit einem krönenden Licht. Hauser liefert uns einen konstruktiv-ironischen Entwurf, wie wir produktiv mit belastetem Entsorgungsgut umgehen könnten. Als Endprodukt aus der „Ersatzreligion“ Konsum könnte die Schlacke im Zentrum von Siedlungen gestapelt werden. „Wo Kirchen standen, werden heute Schlacketürme gebaut.“

Auffallend ist, und dies setzt sich auf der linken Rheinseite fort, dass die Außenskulpturen ausschließlich von Frauen stammen. „Das hat sich so ergeben“, begründet Witschke. Zufall oder nicht, angesichts einer verbreiteten Vernachlässigung von Bildhauerinnen und weiblichen Installationskünstlerinnen bildet „die andere seite“ eine schöne Ausnahme.

Ausblick
Am Samstag, 9. Juni, 11 bis 13 Uhr, führt Erich Witsche „Für die Kunst in der Altstadt“. Treffpunkt ist der Heinrich-Böll-Platz, Innenstadtseite.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich