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Innenaufnahme der Luthernotkirche

70 Jahre Luthernotkirche – eine jugendliche Erfolgsgeschichte

Der 28. Oktober 1944 ist ein verheerendes Datum in der Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein. Bei einem Luftangriff der Alliierten wurden beide Kirchen der Gemeinde, die drei Pfarrhäuser, vier Gemeindehäuser und damit alle Immobilien der Evangelischen in Mülheim in Schutt und Asche gelegt. Hatte man 1944 noch 17.000 Gemeindeglieder gezählt, waren es 1946 noch 10.000. Von der prachtvollen Lutherkirche war nur noch der Turm stehen geblieben. Angesichts der immensen Herausforderungen des Wiederaufbaus nahm die Gemeinde dankend das Angebot des „Hilfswerkes der Evangelischen Kirche in Deutschland“ an, in das damalige Notkirchen-Programm aufgenommen zu werden. Dieses Programm leitete Professor Otto Bartning, der ein entscheidender Mann für die Nachkriegsentwicklung der Mülheimer Gemeinde werden sollte. Die hatte nämlich beim Notkirchenbau finanzielle Probleme. Und deshalb war man sehr dankbar für eine Spende der amerikanischen Lutheraner in Höhe von 10.000 US-Dollar. Spendensammlungen in der Gemeinde, Kredite der Sparkasse und weitere Zahlungen aus dem Hilfswerk dank Bartnings Fürsprache ermöglichten schließlich den Neubau. Bartning hatte eine Serienkirche entwickelt. Das heißt, dass viele Bauteile wie Dachelemente, Emporenteile, Türen und Fenster vorgefertigt waren und von den Gemeindegliedern in Eigenleistung errichtet werden konnten. In Mülheim wurden auch Trümmerziegel der zerstörten Lutherkirche verwendet. Die Ziegel wurden von den Gemeindegliedern aus den Trümmern der Lutherkirche herausgesucht und behauen. Somit ist jeder Ziegel ein Original. Bartning hatte eine frei tragende Holzkonstruktion geschaffen, deren Dach geformt ist wie ein umgekehrtes Schiff. Nach den Plänen des Baumeisters wurden mehrere Notkirchen in Deutschland errichtet.

Die in Mülheim ist die am besten Erhaltene. Schon am 19. Juni 1948 konnte man an der Adamstraße den Grundstein legen. Feierlich eingeweiht wurde die Kirche am 16. Januar 1949 unter anderem vom damaligen rheinischen Präses Heinrich Held. „Schicke Dich an, hier Deinem Gott zu begegnen! In dem neuen Gotteshaus soll das Wunder aller Wunder geschehen. Hier soll Dir der Himmel begegnen. Hier wirst Du hineingestellt in Dein wahres Leben“, gab der Präses der Gemeinde auf den Weg. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre wurde der Turm der ehemaligen Lutherkirche saniert und für die Jugendarbeit der Gemeinde genutzt. Doch aufgrund von baurechtlichen Schwierigkeiten war das später nicht mehr möglich und die Gemeinde entschied, die Luthernotkirche für die Jugendarbeit zu nutzen. „Seit 2007 ist in der Luthernotkirche die ,Jugendkirche geistreich‘ beheimatet“, berichtet der Mülheimer Pfarrer Johannes Vorländer. Damals war der Stammheimer Pfarrer Gerold Vorländer, der Onkel von Johannes, einer der Initiatoren. In der „Jugendkirche geistreich“ bündeln die evangelischen Gemeinden aus Mülheim, Stammheim und Flittard sowie Dünnwald ihre übergemeindliche Jugendarbeit als Ergänzung zur gemeindlichen.

„Es ist nicht einfach, interessante und relevante Angebote für Jugendliche in den Gemeinden zu machen“, weiß Vorländer um die Herausforderung. Aber in der „Jugendkirche geistreich“ gelingt es. Da sind natürlich zunächst die Gottesdienste, die die Jugendlichen häufig in Eigenregie vorbereiten. „Um Gott zu suchen und zu finden, sind wir ja alle ständig unterwegs. Jugendliche sind da oft gute Wegweiser“, weiß der Pfarrer. Auch wenn die Wege für manchen im Presbyterium nicht immer leicht begehbar seien. „Aber letztlich hat man sich doch immer geeinigt“, sagt Vorländer. Vor allem der Billard-Tisch, den die Jugendlichen in der Predigtstätte aufgestellt haben, hätte für Diskussionen in der Leitung der Gemeinde gesorgt. Aber – er steht dort weiterhin. „Die Jugendlichen sollen die Kirche so gestalten, dass es für sie passend ist und sie dort würdig Gottesdienste feiern können“, fasst der Pfarrer seinen Anspruch zusammen. Es gehe nicht zuletzt darum, dass die Jugendlichen ihre eigenen Gaben entdeckten. „Den Spaß daran entdecken, selbst zu renovieren und eigene Ideen zu verwirklichen. Das findet dann auch die wohlwollende Unterstützung unseres Presbyteriums“, weiß Vorländer, der Vorsitzender des gemeindeleitenden Gremiums ist. „Und die Gottesdienste der Jugendlichen in der Luthernotkirche entfalten oft eine ganz eigene Spiritualität“, weiß der Pfarrer, der im Gespräch immer wieder darauf verweist, wie wichtig die Jugendreferenten Tobias Diekmeyer und Hannes Averbeck für den Erfolg von „Jugendkirche geistreich“ sind. Ohne sie wären Angebote wie der mittlerweile legendäre Longboard-Workshop nicht möglich. Zahlreiche Bretter, die die Jugendlichen damals unter Anleitung von Experten gebaut haben, rollen heute noch durch Mülheim. Auch die Ferienfreizeiten wären ohne die Jugendreferenten nicht denkbar. In diesem Jahr geht es nach Kroatien. Und so vieles mehr wie die Konzerte, die Theateraufführungen und das schlichte lässige Chillen, das in dem Alter so wichtig ist. „Ich finde es faszinierend, dass sich in der ,Jugendkirche geistreich‘ die Milieus auf eine fast schon ideale Art mischen“, erzählt Vorländer. Jugendliche aus den sozialen Brennpunkten seien ebenso vertreten wie solche aus bürgerlichen Schichten: „Jeder respektiert jeden, jeder fühlt sich respektiert.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Johannes Vorländer