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Zur Diskussion: Die Novellierung des Gemeindezuweisungssystems im Rahmen der Prioritätendebatte


Der Sozialethische Ausschuss hat auf seiner letzten Sitzung eine kleinen Arbeitsgruppe beauftragt, eine Stellungnahme zu der anstehenden Novellierung des Gemeindezuweisungssystems und der Prioritätendebatte zu formulieren. Nach einmütiger Abstimmung des Entwurfs in der Arbeitsgruppe ist der unten stehende Text entstanden. Der Ausschuss bittet nun die Gemeinden, zu prüfen, ob sie ihn in ihren Presbyterien mit Blick auf das Hearing am 22.3. zur Diskussion stellen können. Der Sozialethische Ausschuss hofft, damit einen Beitrag zu einer sachgerechten Debatte leisten zu können und freut sich über jede Resonanz. Bitten wenden Sie sich an Pfarrer Uwe Becker, Sozialwerk, Telefon 0221/3382-242, Mail: beckeru-sozialwerk@kirche-koeln.de

Stellungnahme des Sozialethischen Ausschusses des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln zur Vorlage über die Novellierung des Gemeindezuweisungssystems auf der Verbandsvertretungssitzung vom 23.11.2002:


Die Vorlage – zum Sachstand
Nach intensiver Beratung der „Projektgruppe Zuweisung“ und intensiver Diskussion im Vorstand des Evangelischen Stadtkirchenverbandes hat letzterer auf der Verbandsvertretungssitzung im November 2002 den Mitgliedern der Verbandsvertretung einen Vorschlag zur Änderung des Gemeindezuweisungssystems zur Beratung und Abstimmung vorgelegt. Nach eingehender nichtöffentlicher Diskussion entschied eine knappe Mehrheit die Vertagung der endgültigen Beschlussfassung auf die Verbandsvertretungssitzung im Juni 2003. Ein am 22. März 2003 stattfindendes Hearing soll die Möglichkeit eröffnen, die Diskussion über die Vorlage nochmals zu vertiefen. Der Sozialethische Ausschuss bringt sich mit dieser Stellungnahme in diesen Diskussionsprozess ein.
Die Beschlussvorlage des Vorstandes verfolgt das Ziel der „Schaffung finanziell lebensfähiger Kirchengemeinden ohne die Notwendigkeit einer Sonderbezuschussung durch die Solidargemeinschaft.“ Vorgesehen ist dabei konkret:
 Die Abschaffung der verbandsinternen Kindergartenzuweisung
 Die Abschaffung der verbandsinternen Bauunterhaltungszuweisung
 Die Abschaffung der verbandsinternen Ausgleichszuweisung
 Die Aufnahme der Pfarrbesoldungskosten in den Gemeindehaushalt


Der Abbau dieser Sonderbezuschussungen soll in einem langfristig angesetzten Prozess in einem Zeitraum von 10 Jahren erfolgen und mit dem Haushaltsjahr 2004 mit einer 10%igen Kürzung bzw. Mehrzuweisung der Kirchensteuermittel einsetzen. Die Zuweisung der gemeindebezogenen Kirchensteuermittel soll folglich ab dem Jahr 2013 allein auf der Basis der Anzahl der Gemeindemitglieder erfolgen. Als zu erwartende positive Effekte benennt die Vorlage:
 die Verteilung der Mittel nach gleichem Maßstab (z. B. Zahl der Gemeindeglieder),
 die Vereinfachung des Zuweisungssystems,
 die Stärkung der Verantwortung der Leitungsorgane,
 die Einführung des Verursacherprinzips (derjenige trägt die Kosten, der sie verursacht),
 der Druck zur Führung von Prioritätendiskussionen (nur eigen finanzierbare Maßnahmen können in Angriff genommen werden),
 die Optimierung des Controllings (in den gemeindlichen Haushalten sind alle Einnahmen und Ausgaben dargestellt und höhere Transparenz gegeben).


Zu dieser Vorlage nimmt der Sozialethische Ausschuss wie folgt Stellung
1. Grundsätzlich wird das Anliegen des Vorstandes, eine an der Gemeindegliederzahl orientierte Mittelzuweisung anzustreben, als der Versuch begrüßt, mehr interne Verteilungsgerechtigkeit bei der Zuweisung der Kirchensteuermittel zu praktizieren. Die Anzahl der Gemeindeglieder wird dabei als das entscheidende Korrektiv anerkannt, einen Maßstab für die Verhältnismäßigkeit der ausgegebenen Mittel einer Kirchengemeinde zu erheben. Zudem wird damit eine Transparenz erreicht, wodurch die Gemeinden direkt mit den Kosten der von ihnen vorgehaltenen Dienstleistungen konfrontiert werden und – mit Blick auf die sukzessive Umsetzung – auch im Einzelfall notwendige konzeptionelle Anstrengungen der Kostenminderung bspw. durch Zusammenschlüsse mehrerer Gemeinden mit einer gewissen Vorlaufzeit erforderlich gemacht werden.

2. Auf der Basis dieser grundsätzlichen Befürwortung der beabsichtigten Änderung der Gemeindezuweisung sind dennoch einige kritische Anfragen unverzichtbar. Dies betrifft:
 die Kindergartenfinanzierung wie auch
 die Finanzierung von Arbeitsbereichen, die sich aus der spezifischen Quartiersstruktur der Ortsgemeinde ergeben sowie
 von Arbeitsbereichen, die von nachvollziehbar übergemeindlicher und über den jeweiligen Kirchenkreis hinausgehender Relevanz sind.

Dabei ist grundsätzlich in Frage zu stellen, ob das Prinzip „wer bestellt, muss auch bezahlen“ effektiv durchgängig gilt, oder ob nicht die Aufgabe bestimmter Arbeitsbereiche Folgen mit sich bringt (z. B. Kirchenaustritte), die keineswegs nur diejenigen Gemeinden zu tragen haben, die einen Arbeitsbereich aufgeben müssen. Die Ergebnisse der Studien zum Austrittsverhalten belegen zumindest, dass im Bereich der eher kirchendistanzierten Mitglieder, kirchliches Verhalten nicht gemeindebezogen differenziert wird. Was „die Kirche“ tut oder nicht tut, wird zum Anlass genommen, aus der Kirche auszutreten oder liefert die Begründung für weitere Kirchenmitgliedschaft. Wir sind überzeugt davon, dass in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch die soziale, diakonische und gesellschaftspolitische Ausrichtung kirchlicher Arbeit ein unverzichtbarer Faktor für die Rolle der Kirche in unserer Zeit ist.

3. Für den Kindergartenbereich ist zu konstatieren, dass er trotz eines hohen Refinanzierungsanteils mit nicht unerheblicher Aufwendung an Kirchensteuermitteln im Haushalt der Gemeinde zu Buche schlägt. Gerade Gemeinden, die in diesem Bereich erheblich investiert haben und mehrere Einrichtungen vorhalten, müssen in besondere Weise die Schließung von Einrichtungen ins Kalkül ziehen. Gleichzeitig ist diese Arbeit vielfach die lebendige Basis für intensive Elternarbeit und die Heranführung von Kindern und Eltern an christliche Inhalte und kirchliche Lebensäußerungen. Hier plädiert der Sozialethische Ausschuss für eine differenzierte Einzelfallanalyse, in die folgende Kriterien einfließen sollten:
 Lässt die Bedarfsanalyse und zukünftige demografische Entwicklung des gemeindebezogenen Stadtteils erwarten, dass auch in Zukunft die Vorhaltung der evangelischen Kindergärten genutzt wird, oder zeichnet sich bereits eine Entwicklung ab, die eine Unterbelegung der Einrichtung erwarten lässt?
 Hat der oder haben die Einrichtungen eine zentrale Rolle für die Gemeindeaufbaukonzeption, so dass ihr Wegfall einen eklatanten Einbruch in das Zentrum des Gemeindelebens erwarten lässt?
 Sind alle sonstigen Mittel der (Zusammenlegung von Pfarrstellen, Verkauf von Gebäuden, Zusammenlegung mit anderen Gemeinden etc.) ausgeschöpft und steht die Gemeinde alternativlos vor der notwendigen Schließung ihrer Einrichtung?
 Hält die Gemeinde eine sozialpflegerische und sozialdiakonische Arbeit mit ihrem Kindergarten vor, mit der sie einen wesentlichen Beitrag zur interkulturellen Arbeit der Evangelischen Kirche leistet? Bietet sich in diesem Fall die Einbindung in den diakonischen Trägerverbund an?
Im begründeten Einzelfall, für den die Gemeinde die argumentative Beweislast vorzubringen hat, sollte der Vorstand des Stadtkirchenverbands die Möglichkeit haben, der Verbandsvertretung eine Sonderzuweisung für die Erhaltung der Einrichtung zu empfehlen.

4. Jenseits der Möglichkeit, zu einer differenzierten Einzelfallanalyse zu kommen, erscheint es dringend notwendig, alle nur denkbaren Einsparungspotentiale zur Aufrechterhaltung der Kindergartenarbeit auszunutzen. Dazu empfiehlt es sich, einen verbandsinternen Kindergartenverband einzurichten, wie er beispielsweise im Kirchenkreis Barmen mit Erfolg gegründet worden ist. Ein solcher Verband führt durch gemeinsame Anschaffungen im Inventar- und Geschäftsbereich als Großkunde, gemeinsame Nutzung technischer Geräte, Beauftragung gemeinsamer Reinigungsdienste und einer zentralen Verwaltungszuständigkeit zu erheblichen Einsparungseffekten. Zudem kann durch eine interne Personalbewirtschaftung die notwendig gewordene Schließung von Gruppen oder Einrichtungen eher sozialverträglich aufgefangen werden. Hierzu empfiehlt der Sozialethische Ausschuss, den Superintendenten des Kirchenkreises Barmen, Pfarrer Manfred Rekowski oder den Geschäftsführer des Barmer Kindergartenverbandes, Pfarrer Thomas Kroemer zu einer Informationsveranstaltung einzuladen.

5. Über eine Personalbewirtschaftung im Kindergartenbereich hinaus empfiehlt der Sozialethische Ausschuss die intensive und ergebnisoffene Prüfung einer umfassenden Personalwirtschaft. Dies beinhaltet erstens die transparente Erfassung aller frei werdenden und neu zu besetzenden Stellen der kirchlichen Träger als auch der Einstellungs- und Veränderungswünsche der Mitarbeitenden (Personalbörse). Darüber hinaus ist zweitens elementar für eine qualitativ hochwertige Personalentwicklung, alle Aktivitäten unserer Kirche, die der Vermittlung und Förderung von Fach-, Sozial- und Managementkompetenz, von Wissen, Können und Verhalten der Mitarbeitenden dienen und in Folge den Arbeitsbereichen zugute kommen, zu fördern (Qualifizierung). Flexibilität von Aufgaben und Einsatzbereichen, von Arbeitszeit- und Qualifizierungswünschen, von Fluktuation und Ruhestand, von Personalkosten und Einsparungen beziehen sich dann nicht mehr auf kleine und kleinste Einheiten, sondern auf eine nennenswerte Größe. Zu prüfen wäre, ob dieses Modell eine Personalwirtschaft und Personalentwicklung zulässt, die – aus guten Gründen – wirtschaftliche und soziale Aspekte gleichrangig gewichtet, und im Ergebnis mehr ist als bloße Einsparung, Rationalisierung und betriebswirtschaftliches Kalkül.

6. Die differenzierte Struktur der Stadtquartiere bzw. der Ortschaften, die im Gebiet des Evangelischen Stadtkirchenverbandes liegen, bringt es mit sich, dass manche Gemeinden in besonderer Weise zu Arbeitsbereichen herausgefordert sind, die im Vergleich zu anderen Gemeinden mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden sind. Wie die prognos-Studie „Einschätzung der zukünftigen sozialen Entwicklung in der Stadt Köln“ wie auch die Sozialraumanalyse „Wohnbereiche mit besonderem Jugendhilfebedarf“ zeigen, droht die bereits bestehende soziale Schieflage innerhalb der Kölner Quartiere sich weiter zu verschärfen. Kölnberg, Westend, Chorweiler-Nord, Finkenberg, Blumenberg, Mülheim-Nord, Kalk-Nord – dies sind nur einige der Quartiere, die durch einen hohen Anteil von Menschen mit prekären Lebens- und Einkommensverhältnissen geprägt sind. Der sozialpflegerischen und seelsorglichen Aufgabe der dort befindlichen Gemeinden werden mit einer nur auf die Anzahl der Gemeindeglieder ausgerichteten Kirchensteuerzuweisung möglicherweise im Einzelfall die Mittel entzogen, um in den entsprechenden Brennpunkten eine stützende oder intervenierende Präsenz von kirchlicher Arbeit vorzuhalten bzw. – falls dies noch nicht erfolgt ist – längerfristig zu entwickeln.

7. Deshalb schlägt der Sozialethische Ausschuss auch hier vor, eine differenzierte Einzelfallanalyse vorzunehmen, durch die die Möglichkeit eröffnet wird, im Einzelfall den Gemeinden eine Sonderbezuschussung zukommen zu lassen. Um diese Mittel beziehen zu können, müssen die Gemeinden:  Eine Konzeption vorlegen, die die Vorhaltung der spezifischen Arbeit durch die Gemeinden plausibel macht.  Darlegen, ob alle sonstigen Mittel der Haushaltskonsolidierung (Zusammenlegung von Gemeinden und Pfarrstellen, Verkauf von Gebäuden usw.) erfolgt sind.

8. Arbeitsbereiche, die von übergemeindlicher und über den jeweiligen Kirchenkreis hinausgehender Relevanz sind, sind im Stadtkirchenverband organisatorisch überwiegend in den Ämtern und Einrichtungen des Verbandes zusammengefasst. Mit der Vorhaltung dieser Ämter und Einrichtungen ist man grundsätzlich der sinnvollen Logik gefolgt, Arbeitsbereiche, die nicht von den Gemeinden ausgefüllt werden können – als Lebensäußerung von Kirche in einer Region mit einer Metropole wie Köln aber durchaus sinnvoll und erwünscht sind – gemeindeübergreifend zusammenzufassen. Auch die Tatsache, dass viele Menschen sich besonders im großstädtischen Bereich über die Gemeindegrenzen hinweg durch ein breites Angebot von Diensten und Funktionen im Bereich von Seelsorge, Beratung, Bildung, Kunst, Kultur und Politik ansprechen lassen und positive Erfahrung mit „Kirche“ machen, spricht für die Notwendigkeit, diese Arbeit weiterhin grundsätzlich zu ermöglichen. Die Arbeit der Ämter und Einrichtung ist insofern gleichberechtigt neben der Gemeindearbeit als unverzichtbare Lebensäußerung von Kirche zu gewichten. Gleichwohl müssen selbstverständlich auch die Ämter und Einrichtungen ihren Beitrag im Rahmen der notwendigen Einsparungszwänge leisten. Der Sozialethische Ausschuss spricht sich auch dafür aus, in einem dynamischen Prozess immer wieder neu zu analysieren und zu definieren, in welcher Weise diese Dienste bedarfsgerecht ausgefüllt werden und welche organisationspolitische Form (beispielsweise Zusammenlegung von Ämtern) sie brauchen. Die Mittelzuweisung für die Ämter und Einrichtung ist dabei ebenso dynamisch an der von der Verbandsvertretung gewünschten Vorhaltung der verbandsgebundenen Arbeit auszurichten und sollte daher nicht statisch und damit willkürlich festgelegt sein. Anstatt durch pauschale Mittelkürzung inhaltlich geforderte Arbeit zu verunmöglichen, ist die Festlegung inhaltlicher Prioritäten die zu leistende Vorarbeit der Verbandsvertretung, nach der sich entsprechend die Zuweisung der Mittel zu orientieren hat.


9. Der Sozialethische Ausschuss befürwortet einen ämterübergreifenden Prozess, der zu einer strukturierten und zielorientierten Kooperation führt, die Einsparungseffekte und eine bessere Ausschöpfung der vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen bewirkt. Diese vorhanden Ressourcen könnten genutzt werden,
 Indem
a) gemeinsam Überschneidungen der laufenden Arbeit der Ämter und Einrichtungen erhoben werden
b) gemeinsam unterschieden wird zwischen gewollten, sinnvollen und kostenverantwortlichen (bzw. kosteneinsparenden) Überschneidungen und denen, die ungeplant, überflüssig und mit Blick auf das Gesamtbudget kostspielig sind und
c) Perspektiven gemeinsamer Planung der laufenden Arbeit entwickelt werden.
 Indem der Informationsaustausch über konkrete Personalsituationen (Alter, Qualifikation, etc.) optimiert wird und das gemeinsame Ziel verfolgt wird, eine nachhaltige „Talentbewirtschaftung“ zu betreiben (Qualifikation, Talentförderung und Rekrutierung von Nachwuchs)
 Indem eine Organisations- und Verfahrensoptimierung gemeinsam gestaltet wird hinsichtlich der zu erbringenden Dienstleistungen, der Nutzung von Räumlichkeiten, Inventar und teuren Gerätschaften sowie der Beschaffung von erforderlichem Geschäftsbedarf.


Fazit
Insgesamt befürwortet der Sozialethische Ausschuss, bei der beabsichtigten Reformierung des Systems der Mittelzuweisung das Kriterium der Gemeindegliederzahl maßgeblich zu verfolgen. Allerdings spricht er sich auch dafür aus, einen noch genauer zu erhebenden Prozentsatz für die Ausschüttung von Sonderzuweisungen in den genannten begründeten Einzelfällen einzubehalten, womit dem Vorstand und der Verbandsvertretung die Möglichkeit zu sachgerechten und flexiblen Entscheidungen vorbehalten bleibt. Ob die nach Einzelfallüberprüfung beschlossene Sonderzuweisung dann der Gemeinde direkt zukommt, oder aber der zu fördernde Arbeitsbereich sinnvoller Weise durch Anbindung an ein Amt oder eine Einrichtung in die Verbandszuständigkeit fallen sollte, muss im Einzelfall überprüft werden.

Text: Sozialethischer Ausschuss
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