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„Wir können uns freuen, dass Leute, die vor Krieg und Terror fliehen, hier Schutz und Sicherheit finden!“

„Für das Menschenrecht auf Asyl und für Integration – die Spaltung der Gesellschaft verhindern!“, diese Forderungen standen im Zentrum einer Demonstration mit Kundgebung von „Köln stellt sich quer“ am 10. Dezember dieses Jahres. Zu dem Bündnis hatten sich rund 70 Organisationen und Gewerkschaften zusammengeschlossen, dazu gehörte auch der Evangelische Kirchenverband Köln und Region und das Katholische Stadtdekanat Köln. Die Veranstalter wollten vor allem auf die „drastischen Gesetzesänderungen“ aufmerksam machen, die das Recht auf Asyl und den Schutz vieler Flüchtlinge aushebelten, so die Verlautbarung des Bündnisses. Pfarrer Jost Mazuch, Sprecher des „Runden Tischs für Flüchtlingsfragen“, war einer der Redner auf der Kundgebung. Mit ihm hat die Internet-Redaktion nach der Veranstaltung ein Gespräch geführt.

Am „Tag der Menschenrechte“ haben Sie zusammen mit Stadtdechant Monsignore Robert Kleine an der Kundgebung von „Köln stellt sich quer“ teilgenommen. Wie haben Sie persönlich die Stimmung vor Ort erlebt?

Jost Mazuch: Da waren etwa tausend Menschen, die sich dagegen stellen, wie zurzeit die Rechte der Geflüchteten abgebaut werden. Mit den aktuellen Gesetzesänderungen wird ja der Rechtsschutz vieler Flüchtlinge aufgehoben, Abschiebungen sollen leichter werden, Sozialleistungen gekürzt und der Familiennachzug verhindert werden. Dagegen wendet sich ein breites Bündnis von engagierten Menschen, weil dies den Menschenrechten widerspricht.

Mit welchen Fragestellungen bzw. Themen wurden Sie auf dem Podium konfrontiert?

Jost Mazuch: Die Stellungnahme der Kirchen war gefragt. Monsignore Kleine und ich haben übereinstimmend deutlich gemacht, dass der Schutz von Geflüchteten eine christliche Grundaufgabe ist, und die Haltung der beiden großen Kirchen hier in Köln bekräftigt, dass wir alles dafür tun wollen, um den Flüchtenden einen menschenwürdigen Empfang zu bereiten und die Willkommensinitiativen zu unterstützen. Und dass wir gegen alle Angstmache mutig die Aufgaben anpacken können, die die neu ankommenden Menschen mit sich bringen. Wir können uns doch freuen, dass Leute, die vor Krieg und Terror fliehen, hier Schutz und Sicherheit finden!

Welche Fragen oder auch Antworten haben Sie am meisten beeindruckt bzw. betroffen gemacht?

Jost Mazuch: Mich hat besonders eine Frau beeindruckt, die seit zehn Jahren hier in Köln lebt und schilderte, was es bedeutet, jahrelang immer wieder auf diesen Flüchtlings-Status reduziert zu werden. Immer wieder nur auf Zeit hier zu leben. Immer von neuen Gesetzen und Verordnungen abhängig zu sein. Das ist ja Lebenszeit. Lange Jahre ihres Lebens verbringen Schutzsuchende in dieser Wartehaltung. Da brauchen wir eine ganz andere Bereitschaft, die Menschen schnell wirklich hier aufzunehmen, damit sie frei leben können.

Das Asylrecht und insbesondere der Artikel 16a des Grundgesetzes werden mancherorts diskutiert. Sehen Sie Handlungsbedarf bei der geltenden Rechtsprechung?

Jost Mazuch: Die aktuellen Gesetzgebungen sind mit der heißen Nadel gestrickt und völlig untauglich zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Menschen auf der Flucht lassen sich durch solche Maßnahmen doch nicht abschrecken. Diese politischen Debatten folgen einem populistischen Schema; sie wollen die Wähler einfangen, die grundsätzlich abweisend sind gegen Fremde. Ich denke aber, dass Politiker, die so spekulieren, etwas übersehen: Die öffentliche Meinung hat sich sehr verändert. Viel mehr Menschen als noch in den 90er Jahren lehnen diese Art der Stimmungsmache ab und wollen, dass unser Land endlich offen ist für die, die hierher kommen.

Was sagen Sie Menschen, die Angst davor haben, dass sich Deutschland durch den Zuzug von Flüchtlingen negativ verändern wird, oder denen, die von einer Islamisierung sprechen?

Jost Mazuch: Islamisierung ist ein völlig unsinniger Begriff. Er soll Macht- und Zahlenverhältnisse suggerieren, die in der Wirklichkeit keinerlei Anhaltspunkt haben. Ich frage solche Leute immer, ob sie überhaupt mit Muslimen im Kontakt sind, und wenn ja, was sie an diesen Begegnungen verunsichert oder stört. Dann kommt man über viel konkretere Fragen ins Gespräch. Die Probleme, die es natürlich gibt, entstehen meistens an der Grenze zwischen einer nicht-muslimischen Mehrheit, die sich aber nicht mehr ihrer christlichen Prägung sicher ist, und einer muslimischen Minderheit, die ebenfalls unsicher ist. Und wenn diese Verunsicherung durch starke Phrasen und gegenseitige Ablehnung überspielt wird, kann man sich schwer verständigen. Wer sich seines Glaubens und seiner Identität sicher ist, kann viel leichter Menschen anderen Glaubens akzeptieren.

Wie steht der „Runde Tisch für Flüchtlingsfragen“ zu der Forderung nach Kontrolle und Abschottung der Grenzen der Europäischen Union?

Jost Mazuch: Der Runde Tisch für Flüchtlingsfragen arbeitet an den Aufgaben hier in Köln. Die werden zwar durch die Bundesgesetze und auch durch die Landespolitik in NRW vorgegeben, aber darauf haben wir keinen Einfluss. Darum gibt es dazu auch wenig Diskussionen. Aber ich denke, dass niemand von denen, die da zusammenarbeiten – ob von den Wohlfahrtsverbänden und Kirchen, von der Stadtverwaltung, den demokratischen Ratsparteien oder den Flüchtlingsverbänden – die Lösung der Probleme in der Abschottung Europas sieht. Das sind alles Leute, die daran arbeiten, Flüchtlinge hier gut aufzunehmen. Das gelingt nicht so gut, wie wir es fordern. Aber da will bestimmt niemand Flüchtlinge abwehren. Da haben wir eine gute Basis hier in Köln.

Haben wir tatsächlich eine Flüchtlingskrise?

Jost Mazuch: Nein. Wir haben eine Krise der europäischen Politik und eine Krise der hiesigen Verwaltung. Seit Jahren haben alle Experten vorhergesagt, dass mehr Flüchtlinge nach Europa und nach Deutschland kommen werden. Politik und Verwaltung haben sich auf die Abschottung an den europäischen Grenzen verlassen und immer nur das Nötigste getan, um mit den steigenden Flüchtlingszahlen Schritt zu halten. Wir fordern am Runden Tisch für Flüchtlingsfragen schon lange, dass vorausschauend und langfristig Wohnraum geschaffen wird. Diese Aufgabe wird hoffentlich jetzt erkannt – allerdings um Jahre verspätet.

Text: Angelika Knapic
Foto(s): Ulrich Bauer