You are currently viewing Weihnachtsaktion in der Lutherkirche für Menschen in Nah und Fern

Weihnachtsaktion in der Lutherkirche für Menschen in Nah und Fern

„Es ist Platz in der Herberge. Wir sind reich und stark genug, um Dinge zu ändern“, ist Hans Mörtters Botschaft – nicht nur zur Weihnachtszeit, aber gerade jetzt. Damit Heilig Abend wirklich ein anderer Tag ist, als die anderen 364 des Jahres, hat der Pfarrer an der Lutherkirche in der Kölner Südstadt zusammen mit seinen „Verbündeten“, wie er seine Mitstreiter nennt, die „Aktion Weihnachtswunsch“ ins Leben gerufen. Ergänzt wird sie dieses Jahr vom Luther-Spiegel, der darauf aufmerksam machen möchte, dass täglich Menschen im Mittelmeer sterben, weil es zu viele Europäer gibt, die ihnen Zugang zu menschenwürdigen Verhältnissen verweigern. „Damit“, erklärt Pfarrer Mörtter, „unterstützen wir an der Lutherkirche das Nahe und das Ferne tatkräftig“.

Eine Aktion musste her
Die „Aktion Weihnachtswunsch“ in der Lutherkirche geht nun ins fünfte Jahr. Ausgangspunkt war für Mörtter die Erfahrung, dass es in seinem Bezirk, wie in fast allen anderen Gemeinden Deutschlands auch, Eltern gibt, die ihren Kindern aus finanziellen Gründen keine Weihnachtswünsche erfüllen können. „2007 haben wir einmal unsere Gemeinde genauer angeschaut. Einige Kinder sind uns sofort eingefallen. Aber während wir so nachgedacht haben, kamen uns immer mehr Kinder in den Sinn“, erinnert sich Mörtter. Als dann auch noch die Lehrerinnen und Lehrer der nahen Schule einbezogen wurden, war schnell klar: Eine Aktion musste her. „Wir haben dann erst einmal geschaut, was überhaupt gewünscht wurde. Dafür haben wir schöne Wunschzettel an die Kinder im Bezirk verteilt.“

Das größte Geschenk war ein Klavier
Das Ergebnis war eine Wunschliste, die vom Buch über eine Kette bis hin zum Fahrrad reichte. „Diesen Wunschzettel haben wir dann in der Gemeinde verteilt und gesagt, dass dies doch eigentlich erfüllbare Wünsche sein müssten.“ Und tatsächlich konnten bereits im ersten Jahr der Aktion dank der Beteiligung von vielen Gemeindegliedern und anderen Spenderinnen und Spendern alle Wünsche erfüllt werden. Das bislang größte Geschenk war ein Klavier und eine Ferienreise zu den Großeltern im Ausland, die wegen fehlender Mittel noch nie besucht werden konnten. Teure Wünsche, aber deren Erfüllung war Mörtter ein besonderes Anliegen: „Wenn es für die Kinder nur Second-Hand-Sachen gibt, geht auf die Dauer auch ein Stück Würde verloren. Auch unerfüllbare Traumwünsche müssen sich für diese Kinder manchmal erfüllen, damit sie ihre Träume nicht verlieren und Utopien entwickeln können.“

Beide Seiten profitieren
Hierbei profitieren beide Seiten, wie Pfarrer Mörtter betont: „Es ist irre, welche Energieschübe Eltern und Kinder bekommen, wenn sie die Geschenke abholen.“ Die Übergabe erfolgt nicht im Gottesdienst, sondern anonym. Aber auch die Gebenden profitieren von der Aktion. „Die, die spenden und Wünsche erfüllen, danken den Beschenkten ganz häufig in beigelegten Briefen dafür, etwas Sinnvolles tun zu können. Die Menschen sind ganz wild darauf, etwas beitragen zu dürfen.“

Einge nähen Kissen
Auch dieses Jahr sind wieder einige Wunschzettel bei Pfarrer Mörtter abgegeben worden. Zusammengekommen sind 83 Wünsche, vom Urlaub für eine fünfköpfige Familie, die noch nie in die Ferien gefahren sind, über ein Jahr Musikunterricht bis hin zu Fahrrädern. „Einige kamen von alleine, andere wurden angefragt, einige wenige schließlich haben das Angebot abgelehnt – aber die konnte ich noch überzeugen“, schmunzelt Mörtter. 9.000 Euro in drei Wochen sind dieses Jahr bei der Weihnachtsaktion zusammen gekommen. Spender sind dabei nicht nur Großverdiener. Fahrrad-Läden, Metzgereien und Bäckereien aus dem Veedel beteiligen sich und geben Rabatt bis hin zum Einkaufspreis. Getragen wird die Aktion aber vor allem auch von Menschen mit mittlerem oder auch kleinerem Einkommen. Einige aus der Gemeinde nähen und verkaufen Kissen, um den Erlös zu spenden, andere backen Plätzchen.

„Ich muss auch an die Entfernten denken“
Die Beschenkung der unmittelbaren Nachbarschaft reicht den Beteiligten jedoch nicht aus. „Wenn ich die Menschen in der Nähe in den Blick nehme, muss ich auch entferntere Menschen in den Blick nehmen“, meint Mörtter. Ergänzt wird diese handfeste Nachbarschaftshilfe zur Heiligen Nacht dieses Jahr deshalb durch eine Aktion, die an jene Menschen erinnert, die uns eher fern sind, nämlich die Flüchtlinge. „Tausende Flüchtlinge ertrinken jedes Jahr im Mittelmeer. Das ist ein unerträglicher Zustand, über den immer mal wieder in den Medien berichtet wird, der aber nicht diskutiert wird. Die Politik ändert sich nicht“, beklagt Hans Mörtter.

Kunstwerke mit nach Hause nehmen
Um diese Problematik zumindest rund um die Lutherkirche in der Südstadt im Gespräch zu halten hat sich Pfarrer Hans Mörtter, mit dem Künstler Cornel Wachter und dem Graphiker Timo Belger zusammen getan. Gemeinsam überlegten sie, was für eine Aktion dieses Thema ins Bewusstsein der Menschen bringen könnte. „Wir haben unter anderem überlegt, so ein Flüchtlingsschiff, das ja meistens aus Müll zusammengeflickt ist, vorne an den Altar zu stellen“, erzählt Belger. „Das wäre zwar ein eindrucksvolles Bild geworden, war uns aber nicht nachhaltig genug.“ „Wir wollten, dass die Menschen das Thema mit nach Hause nehmen“, ergänzt der renommierte Künstler Cornel Wachter. Irgendwann habe es Klick gemacht und man sei auf die Idee eines Kunstwerks gekommen, das die Gottesdienstbesucher mit nach Hause nehmen könnten.

Verteilung von 333 Handspiegel
In der Christvesper der Lutherkirche in der Südstadt werden deshalb 333 Handspiegel von Cornel Wachter als Kunstobjekt verschenkt, signiert, nummeriert und datiert vom Künstler. Die Spiegel sind eine Spende des dm-Marktes. Für die Rückseite hat Timo Belger eine trügerische Postkartenidylle entworfen: Auf herrlich blauem Meer schwimmt ein Flüchtlingsboot. „Auf der anderen Seite kann man sich selbst im Spiegel sehen“, sagt Cornel Wachter, „aber transparent aufgeklebt ist hier ein Schriftzug“. Zu lesen ist ein Zitat von Heinrich Böll: „…der vom Ertrinken bedroht ist, den frage nicht nach seiner politischen Einstellung, auch nicht nach seiner sozialen Herkunft. Ich denke wir sollten wirklich zurückgehen auf das Urmotiv der Lebensrettung“.

Spiegel erinnert an die Flüchtlinge
Diese Spiegel sollen die Menschen mit nach Hause nehmen. Als Kunstobjekt von Cornel Wachter, der 1997 den Kunstpreis der Stadt Köln erhalten hat, stellt der Spiegel einen Wert dar und landet im Gegensatz zu Informationsflyern nicht sofort im nächsten Gebüsch. „Das haben wir schon bei dem Drogeriemarkt dm gesehen, von dem wir die Spiegel kostenlos bekommen haben“, freut sich Wachter. „Die haben sich das Projekt ganz genau angesehen und nicht einfach blind mitgemacht. Sie haben gerne zugesagt und mittlerweile schon sehr ausgiebig über die Flüchtlinge gesprochen.“

Europa bietet Platz für eine Herberge
Mit der Verschenkung des Wachter-Spiegels ist das Thema für Mörtter, Wachter und Belger jedoch nicht abgeschlossen. Sie denken schon weiter und planen, auf einem original nachgebauten Flüchtlingsschiff, das also aus Müll und Plastik notdürftig hält und mit dem sich die verzweifelten Menschen auf die lange Reise über das Mittelmeer wagen, im kommenden Jahr den Rhein zu überqueren. Hierdurch soll Köln vor Augen geführt werden, wie aussichtslos den Flüchtlingen ihre Lage erscheinen muss. Vielleicht, so hofft Mörtter, merken dann noch mehr Menschen, dass wir in Europa doch wirklich noch Platz in der Herberge hätten.

Text: Anselm Weyer
Foto(s): Anselm Weyer