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„Seit vielen Jahren wieder in einer Kirche“: Auch Günter Grass war Gast in einem der bisher 199 Paul-Gerhardt-Foren. Kleiner Rückblick auf das Erfolgs-Projekt „Kirche trifft Kultur“

Wer in Lindenthal an kulturelle Veranstaltungen denkt, dem fällt in aller Regel ganz schnell das Forum Paul-Gerhardt-Kirche „Kirche trifft Kultur“ ein. Seit 1995 organisiert die Initiative der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Lindenthal in diesem Forum Vorträge, Diskussionen, Lesungen, Konzerte und Ausstellungen. Niemals eigennnützig, sondern stets in engster Anbindung an die Gemeinde; hier wird auch nicht etwa Geld ausgegeben – sondern Geld eingenommen. Und das kommt immer der Gemeinde zugute, sei es für den Umbau der Paul-Gerhardt-Kirche oder die geplante Anschaffung einer neuen (gebrauchten) Orgel. Dies alles wäre nie und nimmer möglich ohne immenses ehrenamtliches Engagement – allen voran von Walter Ludwigs. Am Montag, 31. August, findet bereits die 200. Veranstaltung des Forums statt. Doch die Kreativität und der Einfallsreichtum der Gruppe sind ungebrochen.

„Wegen Besuchermangel ist noch keine Veranstaltungen ausgefallen“
„Der Lindenthaler kommt immer sieben Minuten zu spät.“ Diese Erkenntnis von Walter Ludwigs, seit der Gründung 1995 Vorsitzender des Forums Paul-Gerhardt-Kirche, ist sozusagen ein „Abfallprodukt“ seiner akribischen Vor- und Nachbereitung der einzelnen Veranstaltungen. In einem Ordner sind, säuberlich aufgelistet, alle bisherigen Aktivitäten des Forums verzeichnet, dazu Notizen über Besucherzahlen und besondere Ereignisse. Und mit der Besonderheit des verspäteten Eintreffens konnte er schon manch nervösen Referenten in einem fast leeren Kirchenraum beruhigen. Aber: „Wegen Besuchermangel ist noch keine unserer Veranstaltungen ausgefallen“, betont der 70-jährige Vorsitzende. Ein Abend mit nur sieben Gästen war der bisherige Tiefpunkt, doch der überwiegende Teil der Kulturveranstaltungen stieß auf großes Interesse bei den Menschen in Lindenthal und Umgebung.

Weit mehr als ein Kirchbauverein: Fest verankert in der Gemeinde
Die Idee, sich über die Kernaufgaben einer evangelischen Gemeinde hinaus im Stadtteil zu engagieren, kam schon lange vorher bei den Lindenthaler Protestantinnen und Protestanten auf. Der damalige Pfarrer Johannes Loh initiierte Ende der 70er Jahre die „Einladende Gemeinde“, eine Art Stammtisch, bei dem aktuelle politische und gesellschaftliche Themen diskutiert wurden. Daraus entwickelten sich auch die „Lindenthaler Dienste„, ein soziales Netzwerk für die Menschen im Stadtteil. 1989 wurde die Reihe „Zu Gast“ initiiert, ein Vorläufer des Forums mit Lesungen und Diskussionen. Große Beachtung fand unter anderem die Veranstaltung „Container für Flüchtlinge auf dem Hermeskeiler Platz?“ in der Hochphase der bundesweiten Asyl-Debatte 1992. „Kurze Zeit später kam mit dem anstehenden Umbau der Paul-Gerhardt-Kirche die Idee auf, einen Kirchbauverein zu gründen, der sowohl Geld für das Bauprojekt einbringt, als auch die Kultur im Stadtteil fördert“, erzählt Ludwigs. Das Forum Paul-Gerhardt-Kirche „Kirche trifft Kultur“ war geboren. In der Satzung ist verankert, dass der Vorsitzende auch gleichzeitig Mitglied im Presbyterium sein muss. Für Ludwigs, seit 1982 dort aktiv und derzeit Finanzkirchmeister der Gemeinde, ein wichtiger Punkt. „Wir sind eine Gruppe innerhalb der Gemeinde und kein außen stehender Verein. So bleibt die Verbindung erhalten.“

„Seit vielen Jahren wieder in einer Kirche“: Günter Grass
Die erste Veranstaltung fand am Deutschen Nationalfeiertag, am 3. Oktober 1995, auf dem Programm. Zu Gast war der polnische Schriftsteller Andrzej Szscypiorski, der aus seinen Erzählungen „Amerikanischer Whiskey“ vortrug. Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland wurde noch mehrmals bei Veranstaltungen thematisiert. Ludwigs interessiert sich sehr dafür, unter anderem auch aufgrund seiner früheren Tätigkeit bei der Bundeszentrale für politische Aufklärung. Andere in dem zwölfköpfigen Vorstand haben andere Interessensgebiete, so dass sich immer wieder spannende, abwechslungsreiche und unterhaltsame Themen ergeben. „Lindenthal hat den Vorteil, mit vielen geistig Tätigen gesegnet zu sein“, fasst Ludwigs diesen Ideenreichtum zusammen. Der Germanistik-Professor Volker Neuhaus beispielsweise, Mitglied im Beirat, ist als Grass-Experte befreundet mit dem Schriftsteller und holte den Nobelpreisträger zu einer der insgesamt drei Grass-Veranstaltungen sogar nach Köln. „Seit vielen Jahren wieder in einer Kirche“ – diesen bemerkenswerten Satz schrieb Grass 1999 ins Gästebuch der Paul-Gerhardt-Kirche.
Die erfolgreichste, gleichzeitig auch schwierigste Veranstaltung war 1997 die Ausstellung „Im falschen Körper – Transsexuelle Menschen in Deutschland“. Fotos und Biografien von 25 transsexuellen Menschen lockten mehr als 2.000 Besucherinnen und Besucher ins Lindenthaler Gotteshaus. „Das Thema ist bis heute präsent. Immer wieder helfen wir transsexuellen Menschen, vermitteln ihnen Hilfe und Beratung“, berichtet Ludwigs.

Aktuelle Themen, Zeitzeugen und Schülerkunst
Politische Themen griff das Forum Paul-Gerhardt-Kirche immer wieder auf. Sei es eine Lesung mit dem Kinderbuchautor und Terroristen-Anwalt Dr. Heinrich Hannover oder eine Diskussion zwischen den Journalisten Gunter Hofmann und Adam Krzeminski über das „Alte und Neue Europa“. Bei den Ausstellungen hat sich mittlerweile eine Reihe mit Kunstwerken von Schülerinnen und Schülern von Gymnasien in Köln und Pulheim etabliert, andere Künstler, wie etwa Hannes Helmke und seine „Menschenbilder“, kommen immer wieder gern nach Lindenthal. Gleiches gilt auch für Autoren wie etwa Tilman Röhrig und Ingo Schulze. Immer wieder wurden auch Zeitzeugen des Holocaust eingeladen, um über ihre Erlebnisse zu berichten, wie beispielsweise Janina David oder Anita Lasker-Wallfisch, die im berüchtigten Lagerorchester von Auschwitz Cello spielte. „Die Themen liegen auf der Straße. Irgendjemand hat immer eine Idee, der andere kennt wieder einen, und so entwickeln sich die Veranstaltungen“, beschreibt Ludwigs den kreativen Prozess. Und was er hier an Veranstaltungen aufzählt, ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt aus einer Geschichte voller Highlights…..
Was die Organisation der zahlreichen Veranstaltungen angeht, haben sich die „Aktiven“ des Forums Paul-Gerhardt-Kirche mittlerweile eine beachtliche Routine angeeignet: Bis zur 100. Veranstaltung im Jahr 2004 dauerte es neun Jahre, für die nächsten hundert brauchte es gerade mal fünf Jahre.

Das Geld, das jetzt erwirtschaftet wird, ist für eine neue Orgel gedacht
Nach dem Umbau der Paul-Gerhardt-Kirche im Jahr 2000 wurde der Vereinszweck um die Finanzierung einer neuen Orgel erweitert. „Für den Innenausbau der Kirche haben wir etwa 60.000 Euro zusammenbekommen, für die Orgel sind es derzeit pro Jahr etwa 15.000 bis 20.000 Euro pro Jahr“, rechnet Ludwigs den „Nutzwert“ des Forums für die Gemeinde vor. Trotz des Namens beschränkt sich das Forum nicht nur auf die Paul-Gerhardt-Kirche. Auch die anderen Orte der Gemeinde – Matthäuskirche, Dietrich-Bonhoeffer-Kirche und der Gemeindesaal am Lindenthalgürtel – werden für die Veranstaltungen genutzt.

Ernst Fey und Lale Akgün für das Jubiläum „verpflichtet“
Bereits im Vorfeld der 200. Veranstaltung sprach Ludwigs den früheren Stadtsuperintendenten Ernst Fey an und „verpflichtete“ ihn für das Jubiläum. Als dann von anderer Seite die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün und ihr Buch „Tante Semra im Leberkäseland“ ins Gespräch kamen, war das Thema des Abends perfekt. Am Montag, 31. August, unterhalten sich die beiden bei der 200. Veranstaltung des Forums Paul-Gerhradt-Kirche ab 19.30 Uhr in der Kirche, Ecke Lindenthalgürtel/Gleueler Straße, über das Buch und persönliche Erfahrungen zum Thema Integration. Der Eintritt ist frei – Spenden aber sind, wie immer, natürlich willkommen.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer