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Nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Es wäre noch immer „reine Spekulation, den Schaden für die Kölner Protestanten ermessen zu wollen“, sagt der Archivar des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region

Wochen nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs hört man immer wieder, dass Schriftstücke gefunden werden, die man längst verloren wähnte. Ratsprotokolle quer durch die Jahrhunderte tauchen plötzlich in den Trümmern auf, mittelalterliche, kaiserliche Urkunden gar. Die Nobelpreisurkunde von Heinrich Böll wurde gefunden, und viele Akten aus dem Nachlass von Konrad Adenauer. Günter Wallraff freut sich, dass aus seinem Vorlass, den er dem Stadtarchiv bereits zur Verfügung gestellt hat, die meisten Schriftstücke wieder aufgetaucht sind.


„Zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation…“
Vieles also gerettet. Von einem Brief des evangelischen Märtyrers Adolf Clarenbach hat man allerdings noch nichts gehört. Den hat er während seiner Kölner Gefangenschaft geschrieben. Das Original lag im Kölner Stadtarchiv. „Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation, den Schaden für die Kölner Protestanten durch den Einsturz des Archivs ermessen zu wollen“, sagt Christian Parow-Souchon, Archivar des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Man müsse die Bergungsarbeiten abwarten und dann Bilanz ziehen. Das könne noch lange dauern. Die archivierten evangelischen Schriftstücke seit 1945 lagern zum größten Teil im Haus der Evangelischen Kirche und waren somit vom Einsturz nicht betroffen. „Im Stadtarchiv befanden sich eigentlich nur Einzelstücke von uns, So etwa der Brief von Adolf Clarenbach“, sagt Parow-Souchon. Bei den Katholiken sei das anders. Da sei nach der Säkularisierung vieles in das städtische Archiv überführt worden.
Das evangelische Archiv erlebte seine Katastrophe bei einem Bombenangriff 1943, als das Haus der evangelischen Kirche, damals in der Antonsgasse, mit allen Archivalien vollständig ausbrannte. Inzwischen beherbergt das Archiv in der Kartäusergasse 9-11 Akten der evangelischen Kirchenkreise Köln-Mitte, Köln-Nord und Köln-Süd, des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, der Evangelischen Gemeinde Köln, der Gemeinde Rondorf und der Laura-Oelbermann-Stiftung. Viele Gemeinden archivieren ihre Akten in Eigenregie.

Die Ratsprotokolle der Stadt Köln und ihre Bedeutung für die evangelische Geschichte
Betroffen sind die Kölner Protestanten von der Tragödie am Waidmarkt allerdings insofern, als vieles ihrer Geschichte sich widerspiegelt in Akten der Stadtverwaltung. „Die Streitigkeiten der Protestanten mit dem Rat aus der Zeit, als die Evangelischen in Köln noch unterdrückt wurden, sind ja alle in den Ratsprotokollen und anderen Akten der damaligen Zeit nachzulesen“, sagt Parow-Souchon. Und Streit habe es eine Menge gegeben, bevor am 23. Mai 1802 der erste erlaubte protestantische Gottesdienst auf Kölner Stadtgebiet gefeiert werden konnte.

„Ungeschönt, unverändert, unkommentiert, im Original“
Parow-Suochon verwaltet in seinem Computer 15.000 Datensätze aus den vergangenen rund 60 Jahren protestantischer Geschichte in Köln. Die digitalisierte Form der Überlieferung gefällt ihm nur bedingt. „Wenn Sie Bücher oder Akten haben, kann da auch schon mal eine Ecke ab sein. Das ist schade, aber da kann man ganz viel rekonstruieren. Bei elektronischen Datenträgern ist das anders. Wenn eine CD teilbeschädigt ist und nicht mehr gelesen werden kann, rekonstruieren Sie nichts mehr. Im Übrigen wissen wir auch gar nicht, wie lange CDs überhaupt halten. Vielleicht ist da nach fünf Jahren schon Schluss.“ Darüber hinaus gebe es Probleme mit den Abspielgeräten für ältere digitale Datenträger. So sei zum Beispiel die amerikanische Weltraumbehörde Nasa nicht mehr in der Lage, die Daten aus dem Gemini-Raumfahrtprogramm darzustellen, weil die dafür benötigten Geräte „ausgestorben“ seien. Als weitere Beispiele nennt Parow-Souchon Diskettenlaufwerke, die man in modernen Rechnern nicht mehr finde, und auf absehbare Zeit auch VHS-Videorekorder.
Er archiviert am liebsten beschriebenes Papier. Und zwar getreu seinem Leitsatz: „Ungeschönt, unverändert, unkommentiert, im Original.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann