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Mehr (Spiel-) Raum für Eltern! FBS-Vortrag auf der Suche nach dem Gleichgewicht von Familie, Liebe und Beruf

Das Problem des fehlenden „Gleichgewichts zwischen Job, Partnerschaft und Familie“ behandelte der Vortrag „Mehr (Spiel-) Raum für Eltern!“ von Thomas Gesterkamp in der Evangelischen Familienbildungsstätte (FBS) in Köln. Der Kölner Pädagoge und Soziologe, der zuletzt in Politikwissenschaft promovierte, arbeitet seit vielen Jahren als Journalist, Referent und Autor mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialpolitik. „Das Thema ist sehr wichtig“, begrüßte Stefanie Wagener, hauptamtliche pädagogische FBS-Mitarbeiterin die rund zwanzig Teilnehmenden. „Auch mit unserem Kursangebot versuchen wir Eltern zu stärken und zu unterstützen.“

Gesterkamps Buch: Ein „großer Erfolg“
Biographische Gründe seien es gewesen, leitete der 1957 geborene Gesterkamp ein, weshalb er sich dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, speziell aus Männersicht, zugewandt habe. „Ich habe selbst eine heute 14-jährige Tochter, kenne das Vereinbarkeitsproblem aus eigener Erfahrung.“ Dazu beigetragen habe auch die Kooperation mit dem Kollegen Dieter Schnack für das Buch „Hauptsache Arbeit? – Männer zwischen Beruf und Familie“. „Wir mussten so schreiben, dass Männer sich nicht sofort angegriffen, sondern verstanden fühlen“, erzählte Gesterkamp. Weil dies gelungen sei, und „weil wir in den 90-er Jahren in eine wirtschaftlich schwierige Phase geschliddert sind, die gerade bei Männern eine große Verunsicherung bewirkt hat“, sei dem Titel ein „großer Erfolg“ beschieden gewesen.

Die Männer sind immer noch abwesend
„Der Beruf ist der zentrale Bestandteil von männlicher Identität“, stelle Gesterkamp fest. „Männer sind in der Familie deswegen abwesend, weil sie bei der Erwerbsarbeit sind. Sie bildet die Achse ihrer Lebensführung. Darüber definieren Männer ihren Stand in der Familie. Sie haben andere Definitionen von Arbeit in der Familie.“ Die Erwerbsarbeit sei für sie ein elementarer Teil der Familienarbeit. Zwar habe sich an diesem traditionellen Ernährermodell in den Köpfen der Männer einiges geändert, aber in der Praxis sei es noch wenig modifiziert. „Die Männer sind immer noch abwesend“, sagte Gesterkamp und zitierte das Bonmot eines Wissenschaftlers zum Stand der Geschlechterfrage: „Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“.

Verfall der väterlichen Autorität
Väter würden für die Ernährerrolle einen hohen Preis bezahlen. „Sie haben ein Vereinbarkeitsproblem.“ Während Mütter gefährdet seien, die Verankerung im Berufsleben zu verlieren, würden Väter riskieren, die Verankerung in ihrem Privatleben zu verlieren. „Männer leben zu Hause wie Fremdlinge“, spitzte Gesterkamp zu, der zwischen freier Rede und Lesungen aus seinen Büchern abwechselte. Männer würden in der Familie Geburtstage vergessen, nicht reden, nicht teil nehmen. Gegenüber den Kindern würden sich viele Väter oft als Geschwister fühlen. „Die Fremdheit der Männer zu ihren Kindern besteht nicht nur in der ersten Phase, wo man die Kinder groß zieht, sondern sie zieht sich durch das ganze Leben“, meinte der Journalist. In der Familie fühlten sich Väter Zeit ihres Lebens oft in einem Praktikantenstatus. Ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Kenntnis der Netzwerke, in die die Frauen als „Außenministerinnen der Familie“ eingebunden seien. Zur mangelnden Familienkompetenz geselle sich ein Verfall der väterlichen Autorität. Patriarchalische Verhältnisse gingen zurück. „Wenn Männer die Ernährerrolle ausfüllen, fallen andere Familienaufgaben hinten runter.“

In der Traditionsfalle
„Warum werden Männer zu Außenseitern?“, fragte Gesterkamp. „Nach der Geburt des ersten Kindes werden die Entscheidungen über die künftige Arbeitsteilung von Paaren getroffen.“ Während der Schwangerschaftsvorbereitungen sei man oft noch optimistisch hinsichtlich der zukünftigen Arbeitsteilung. Und bei der Geburt seien heute 90 Prozent der Väter mit dabei. „Das Engagement bleibt aber nicht so bestehen. Das hat auch biologische Gründe, das Stillen, die Mutter-Kind-Bindung. Die Männer gehen danach weiter fest arbeiten. Die Mütter bleiben daheim.“
Aus der „gerne verwendeten Einschränkung ´vorläufig´ daheim“, könnten dann schon mal 15 Jahre werden. Das klassische, von vielen Frauen übernommene Argument der Männer laute dabei: „Ich verdiene einfach mehr.“ Damit befinde man sich in der Traditionsfalle. Ein zentrales Problem sei nämlich, dass noch immer nicht gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit gezahlt werde, kritisierte Gesterkamp.

Rahmenbedingungen beeinflussen persönliche Verhältnisse
Die Arrangements innerhalb der Familien seien also nicht nur ein individuelles, persönliches Problem, sondern auch gesellschaftlich bedingt. „Die Rahmenbedingungen beeinflussen die persönlichen Verhältnisse.“ Häufig würden politische Gegebenheiten wie Steuerrecht (Splitting) und eingeschränkte öffentliche Kinderbetreuung eine Rolle spielen. „In Frankreich ist öffentliche Erziehung ein hohes Gut. Hier gilt man als Rabenmutter, wenn man sein Kind in öffentliche Tageseinrichtungen schickt. Wir haben eine ´Idealvorstellung´, von dem, was eine Mutter darf und soll.“ Auch das Erziehungsgeld sei eine einengende, richtungsweisende Vorgabe. Es sei eher ein Angebot für nicht so gut verdienende Mütter. Wenn Männer das Erziehungsgeld wahrnehmen würden, hätte das für die Familie in der Regel weitaus höhere Einbußen zur Folge.

Fazit
„Viele Paare haben größere Spielräume, als sie glauben“, leitete Gesterkamp sein Fazit ein. Zugleich gestand er, „kein Patentrezept für die Lösung des Problems“ anbieten zu können. „Dazu sind viele kleine Schritte und politische Neuerungen notwendig.“ Damit Eltern die verschiedenen Bereiche ihres Lebens in ein besseres Gleichgewicht bringen können, sei vor allem Courage notwendig. Er forderte Mut im Alltag, die Spielräume auszuloten. Etwa im Betrieb darum zu kämpfen, zur Geburtstagsfeier des Kindes frei zu bekommen. „Das funktioniert.“ Man müsse sich weiter fragen, ob es sich lohne, die Karriere-Leiter immer höher zu steigen, und dafür auch lange Anfahrtswege zur Arbeit auf sich zu nehmen. Oder ob man mit weniger Karriere zufrieden sein könne, dafür aber täglich nur zehn Minuten bis in Büro brauche. „Es geht also um Zeit, um Verzicht bzw. Gewinn. Der Zeitfaktor spielt eine entscheidende Rolle im Gleichgewicht von Familie und Job.“ Die hohen Arbeitslosenzahlen würden natürlich die Argumentation beeinflussen. Es sei einfach zu sagen, „ich habe jetzt keine Spielräume, denn wenn ich Ansprüche stelle, fliege ich raus“. Männer hätten am Arbeitsplatz größere Spielräume, als sie annehmen“, wiederholte Gesterkamp. Um diese zu erkämpfen, brauche man jedoch eine gewisse Widerspenstigkeit. Es gelte, sich einer Arbeitswelt zu widersetzen, „die selbstverständlich davon ausgeht, dass Männer jederzeit verfügbar sind“.

Diskussion
Bei der anschließenden Diskussion offenbarten sich die unterschiedlichen Erfahrungen des Publikums mit dem Thema. So wollte sich ein Paar, das einen Kinderwunsch hegt, über ihr künftiges Elterndasein informieren. Ein Zuhörer berichtete von einem Ereignis in seiner Firma, bei dem ein Vater vorzeitig ein Meeting verlassen wollte, und der Vorgesetzte ihn nach dem Grund fragte: Er habe einen wichtigen Familientermin, und „wenn ich nicht gehe, dann geht meine Frau“. Dafür habe der Mitarbeiter von seinen Kollegen Applaus geerntet.
Einigkeit herrschte beim Referenten und den Teilnehmenden darüber, dass man in der Arbeitswelt und gegenüber den Unternehmenschefs stärker den Wunsch nach Teilzeit äußern müsse. Aber dies sei schwierig, klagte eine Frau. So würde von Seiten der Betriebsleitung häufig argumentiert, Teilzeitmodelle seien viel zu teuer. Teilzeit führe zwar zu einem Anwesenheitsproblem, zu einem Vereinbarungsproblem mit dem Vorgesetzten, so Gesterkamp. „Als familienorientierter Mann ist es schwer, sich dem zu entziehen.“ Eigentlich würden Unternehmen von Teilzeit aber profitieren. Einer Studie zufolge sei sie weitaus effektiver, als Vollzeit. Denn zwei Personen würden über den Tag verteilt insgesamt frischer, motivierter und ausdauernder ans Werk gehen. Einig war man sich ebenfalls darin, dass man in der Berufswelt immer noch nicht auf Kinder eingestellt, und die Wertigkeit der Familie zu niedrig sei.
Die von Arbeitgeber- und Politikerseite aktuell angedachte Arbeitszeitverlängerung unterstreiche dies. Andererseits sei das von Familienministerin Renate Schmidt forcierte Gesetz zur öffentlichen Kinderbetreuung zu begrüßen. „Wir brauchen mehr familienfreundliche Chefs und Unternehmen“, so der Tenor. Schließlich müsse man auch erkennen, dass Männer „eben anders sind und Dinge anders machen“. Väter dürften nicht ihrer Verzagtheit überlassen bleiben. Sie sollten in der Kindererziehung nicht bevormundet, sondern eingebunden und ermutigt werden, sich im Netzwerk etwa von Kindergarten und Schule aktiv einzubringen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich