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Klage-, Trauer- und Dankgottesdienst anlässlich der Tragödie an der Severinstraße: „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er antwortete“

Auch zwölf Tage nach dem Einsturz des Historischen Archivs sitzt der Schock noch tief. Das wurde nicht zuletzt deutlich in der Predigt von Stadtsuperintendent Rolf Domning im Klage-, Trauer- und Dankgottesdienst anlässlich der Tragödie an der Severinstraße. Der Gottesdienst wurde in der evangelischen Antoniterkirche gehalten.



„Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er antwortete“
Das Archiv lag im Bezirk der Antoniterkirchen-Gemeinde. „Noch immer begegnen uns Eltern von Kindern, die davon sprechen, dass ihre Kinder kurz vor der Katastrophe genau vor dem Stadt-Archiv standen oder in jenem Bus saßen, dessen Türen sich nicht öffnen ließen, und der dann ein paar Meter weiterfuhr, was den Schülern vermutlich das Leben gerettet hat. Der Dank an Gott für Bewahrung in äußerster Gefahr ist das eine, und der Dank für die mutigen Warnungen der Bauarbeiter das andere – und vielleicht dasselbe: ,Gott hat keine anderen Hände als unsere‘ hat Dorothee Sölle gesagt“, rief der Stadtsuperintendent noch einmal die Dramatik des Einsturztages in Erinnerung. Domning predigte zu der Tageslosung „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er antwortete“ aus Jona 2, 3.

„Du warfst mich in die Tiefe“
„Denke ich an Kevin und Khalil, die beiden jungen Männer, die bei diesem furchbaren Einsturz des Stadtarchivs und der angrenzenden Häuser ums Leben kamen, muss ich schon sagen: So glatt geht das nicht; auf jeden Fall nicht, ohne die nachfolgenden Zeilen“ fuhr Domning fort. „Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben… Ich sank hinunter der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich mir ewiglich. Ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen“, heißt es weiter in der Jona-Geschichte. „In ihrer Dramatik beschreiben diese Worte der Schrift wahrscheinlich treffender und tiefer, was die Familien und Freunde der beiden Verstorbenen empfinden“, sagt der Stadtsuperintendent zu den Angehörigen von Kevin gewandt, die an dem Gottesdienst teilnahmen.


„Vorsichtige und behutsame Suche der Feuerwehrleute“
Domning hatte die Unglücksstelle besucht, kurz bevor das zweite Opfer geborgen wurde: „Ich habe die vorsichtige und behutsame Suche der Feuerwehrleute beobachtet – die gespannte Stille. Und da wird deutlich: Es gibt Situationen, da müssen wir ganz vorsichtig sein mit vorschnellen Antworten, da können wir lange überhaupt keine Antworten gebrauchen, keine lauten, keine großartigen Erklärungen, keine Statements, keine Beschwichtigungen, keine Ausflüchte, auch keine Schuldzuweisungen, da können wir nur aushalten, was an Schmerz da ist, und an Bildern, die sich uns bis in unsere tiefsten Träume hinein aufdrängen.“ Es könne jetzt zunächst nur darum gehen, die Wut, Trauer und Verzeiflung gemeinsam mit den Betroffenen zu teilen.

„Diese Katastrophe ist von Menschen gemacht“
Domning forderte eine schonungslose Aufklärung des Unglücks: „Denn diese Katastrophe ist nicht wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen, sie war kein unausweichliches Schicksal, sondern von Menschen gemacht.“ Domning übertrug die Lehren aus der Geschichte von Jona, der sich gegen Gottes Auftrag entschieden hatte und erst in Seenot und dann in den Bauch des großen Fisches geriet, auf die Gegenwart: „Es ist nicht an uns zu verurteilen, aber es ist an uns – mit der Geschichte von Jona – daran zu erinnern, dass Menschen sich vor ihrem Gewissen ihrer Verantwortung stellen können und sich und ihr Scheitern annehmen – und auch angenommen wissen. Darin liegt die Freiheit eines Christenmenschen und die Zukunft einer Gesellschaft, die ohne Umkehr und Buße, Demut und Bereitschaft ihrer Einzelnen, in Verantwortung aus Fehlern zu lernen, auf Segen bei der Lösung ihrer Probleme nicht hoffen darf.“

Die Predigt des Stadtsuperintendenten zum Nachlesen und Ausdrucken hier.

Fürbitten
Am Ende des Gottesdienstes wurden Fürbitten verlesen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Karteikarten geschrieben hatten. Dabei wurde die ganze Bandbreite der Empfindungen deutlich. Sie reichten von „Gib den Schülerinnen und Schülern des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums Zeit, das Geschehene zu verarbeiten. Sie haben gespürt, wie nahe sie der Todeserfahrung waren“ und „Gib den Verantwortlichen Besonnenheit beim Weiterbau der Nord-Süd-Fahrt“ bis hin zu „Wir haben überlebt. Danke.“ Zuletzt dankten sie den vielen Helferinnen und Helfern, zu denen auch die Notfallseelsorger und Notfallseelsorgerinnen gehören.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann