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Kirchenverband begrüßte das neue Kirchenjahr mit Jahresempfang

„Dialogue, Offertoire“, eine Komposition von Jean-François Dandrieu, spielte Kantor Thomas Frerichs auf der frisch restaurierten Willi-Peter-Orgel der Kartäuserkirche, der größten Orgel des evangelischen Köln: eine passende musikalische Wahl für die Eröffnung beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und der vier Kölner Kirchenkreise. Der Beginn des neuen Kirchenjahrs ist alljährlich der Anlass für dieses Treffen, bei dem es um einen anregenden Austausch geht, um den Dialog der Evangelischen Kirche mit der Stadt, mit anderen Religionsgemeinschaften, Initiativen und Kulturschaffenden – darunter in diesem Jahr Monsignore Rainer Fischer und Hannelore Bartscherer – aus Stadtdekanat, Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und Katholikenausschuss, mit Erzpriester Constantin Miron als Vertreter der griechischen Orthodoxie, Rafet Öztürk für die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB), Abraham Lehrer vom Vorstand der Synagogengemeinde sowie mit Altpräses Manfred Kock und Hilmar Ankerstein von der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Erinnerungskultur der Kirchen
Um den Dialog gehaltvoll führen zu können, laden der Kirchenverband und die vier Kirchenkreise alljährlich einen kompetenten Gast ein, der zu einem aktuellen Thema einen kurzen Vortrag hält. In diesem Jahr fiel die Wahl auf das so zentrale wie vielschichtige Thema „Erinnerung“. „Erinnern ist weit mehr als sich etwas ins Gedächtnis zu rufen oder irgendetwas zu googeln, was einem gerade entfallen ist“, erläuterte Stadtsuperintendent Rolf Domning in seiner Begrüßung: „Viel wichtiger ist das, was wir mit einer Erinnerung verbinden, welche Relevanz eine Erinnerung für unser Leben hat.“ Die Frage nach der Erinnerung ist immer auch die Frage nach Gegenwart und Zukunft, da sich erst hier entscheidet, was die Menschen als wichtig erachten. „Erinnerung, auch wenn ihr Gegenstand in der Vergangenheit liegt, ist also durchaus nichts Abgeschlossenes, Fertiges“, betonte Rolf Domning: „Sie hat immer auch eine Gegenwartsdimension und gestaltet auf diese Weise die Zukunft. Man muss sich nur einmal die Erinnerungskultur der Kirchen ansehen. Ihre Ursprünge reichen Jahrtausende zurück. Gleichwohl beeinflussen diese Ursprünge das Leben heutiger Menschen.“

Unterschiedliche kulturelle Erinnerungen
Entsprechend betonte auch Bürgermeister Manfred Wolf vor den Gästen, wie sehr in einem interkulturellen Umfeld wie der Stadt Köln die Toleranz angesichts unterschiedlicher Erinnerungsgeschichten notwendig sei: „Bei der Gestaltung der Zukunft und des friedlichen Zusammenlebens hier in Köln müssen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Wertvorstellungen, ihren kulturellen Traditionen und mit ihren vielen Erinnerungen wahrgenommen werden“, mahnte er: „Köln ist sowohl eine Stadt, in der viele Religionen, besonders auch christlich geprägte, zu Hause sind als auch eine säkulare Stadt. Und damit haben wir die Chance, die Vielfalt in unserer Stadt und unsere christliche Tradition zu wahren, die Erinnerungen wach zu halten.“

Dr. Stefan Lafaire (li.) mit Bürgermeister Manfred Wolf
Rettung der Archivalien
Als Referenten des Abends eingeladen hatten der Kirchenverband und die Kirchenkreise mit Dr. Stefan Lafaire jemanden, der sich, so Domning, „mit den Mechanismen des Erinnerns und Vergessens bestens auskennt“. Schließlich hat der studierte Historiker und Literaturwissenschaftler zu Fragen der Erinnerung promoviert, bevor er nach Jahren der Tätigkeit im Bereich der Wirtschaftsförderung im Oktober 2011 Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Stiftung Stadtgedächtnis wurde, die sich aktuell besonders um die Rettung der Archivalien des Historischen Kölner Stadtarchivs engagiert.

Moderne hat sich „radikal verändert“
„Jeder von uns, meine Damen und Herren, konstituiert sich aus seinen Erinnerungen“, meinte Lafaire zu Beginn seines Vortrags, der sich mit dem komplexen Verhältnis von Erinnerung und Vergessen auseinandersetzte. Erinnern schließlich sei nur die positive Seite einer Medaille, auf deren anderer Seite das Vergessen stehe. Nach welchen Kriterien aber werde hier ausgewählt, was ins Töpfchen und was ins Kröpfchen gelangt? „Die Entscheidung, welche Vergangenheit die Zukunft endgültig dominiert, ist noch nicht gefallen“, meinte hierzu Lafaire. Zumal sich in der Moderne radikal verändert habe, was die Vergangenheit eigentlich bedeute. War sie früher Bezugssystem und stellt einen Orientierungsrahmen für eigenes Handeln dar, so änderte sich das in der Moderne: „Das Gedächtnis wird mit Erinnerung gleichgesetzt und die Erinnerung mit Vergangenheit“, erklärt Lafaire: „Leitbilder werden jedoch nicht länger in der Vergangenheit gesucht. Der Wunsch nach Dauer wird ersetzt durch den Drang nach Veränderung, die Wiederholung durch Neuheit, die Beständigkeit durch Wandel. Das Gedächtnis erscheint als eine unfruchtbare Wiederholungsmaschine. Es kann nicht mehr das liefern, was man vor allem sucht, Kreativität und Innovation, denn das Gedächtnis wird gleichgesetzt mit Vergangenheit. Der entscheidende Bezugspunkt der Moderne ist aber die Zukunft.“

Was ist erinnerungswürdig?
Diese Entwicklung ändere sich erst in der Gegenwart langsam. Das Vergangene wird wieder wichtig – problematisch wird nun jedoch die Frage, was alles als wichtig und somit erinnerungswürdig zu erachten ist. In Zeiten des Internets, das ja vor allem ein großes digitales Archiv ist, besteht die Gefahr einer Informationsüberfütterung. Es ist eine Auswahl dessen nötig, das in das kollektive Gedächtnis übernommen wird. „Mit der Fülle des World Wide Web und der schier unendlichen Fülle von Erinnerungen, realen wie virtuellen, beginnt auch ein Nachdenken über diese neue Art des kollektiven Gedächtnisses“, so Lafaire. Und hierbei komme gerade den christlichen Kirchen mit ihrer Jahrhunderte alten Gedächtniskultur eine besondere Rolle zu. „Memento ! – Zukunft braucht Erinnerung“, plädierte Dr. Lafaire zum Ende seiner Rede: „Be- und durchdenken wir sie wieder und wieder. Gebunden beispielsweise an die immer gleiche Ordnung des Kirchenjahres, so haben wir die Ordnung, die uns Halt gibt, aber auch Freiraum für Veränderung.“

Den Vortrag von Dr. Stefan Lafaire zum Nachlesen finden Sie hier.

Improvisationen zum Thema „Gedächtnis“
Ordnung mit Freiraum für Veränderung – unter diesem Motto standen dann auch die Improvisationen, mit denen Kantor Thomas Frerichs den offiziellen Teil des Abends am Piano ausklingen ließ. Er spielte eine Menage verschiedener bekannter, aber immer wieder durch Improvisationen verfremdeter Musikstücke, die um das Thema „Gedächtnis“ kreisten – angefangen bei den „Memories“ aus dem Musical „Cats“ über das „You must remember this“ aus Casablancas „As Time Goes By“ bis hin zum „Nä, nä, dat wesse mer nit mih, janz bestemp nit mih“ aus dem Karnevalsklassiker „En d’r Kayjass Nummer Null“. „Unser Jahresempfang ist ohne Frage eine respektable Veranstaltung des Kichenverbandes“, hatte Domning in seiner Begrüßung gesagt, um sofort einzuschränken: „Aber für den Lauf der Geschichte oder für unser aller kollektives Gedächtnis ist seine Bedeutung marginal, auch wenn ich persönlich das bedaure“. Bleibt abzuwarten, ob dieser Jahresempfang nicht doch vielen der Teilnehmenden noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Text: Anselm Weyer
Foto(s): Anselm Weyer