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Kirche und Sport – Ein Verhältnis wie Feuer und Wasser?

Für echte Fans gleicht das Spiel einer Liturgie: Es ist eine stete Abfolge von Sitzen, Stehen, Singen und Beten. Zu großen Spielen pilgern und wallfahren sie, um ehrfürchtig einen Blick auf den „Heiligen Rasen“ in einem jener legendären „Fußball-Tempel“ von Clubs wie dem FC Liverpool oder Real Madrid zu werfen. Und jeder Anhänger einer Mannschaft, die ein Endrunden-Hinspiel in den großen Pokalwettbewerben mit 0:4 verloren hat, hofft auf ein „Wunder“ im Rückspiel – bewirkt vielleicht von einem der großen „Fußballgötter“, ob sie nun Toni Turek oder Alex Meier heißen.

Nicht nur der Profi-Fußball, der Sport allgemein bedient sich ausgiebig der Begrifflichkeiten und Rituale von Religionen. Ist er inzwischen selbst zu einer Zusatz- oder Ersatzreligion geworden, kann er gar „Berge versetzen“, wie manche Beobachter behaupten, eine Fähigkeit, die der Volksmund früher dem Glauben zuschrieb? Dieser Frage widmete sich kürzlich die Diskussionsrunde „Sport im Spannungsfeld von Glauben und Götzendienst“ im Deutschen Sport und Olympia Museum Köln.

Immerhin feierten ja 30.000 den DFB-Pokalsieg von Borussia Dortmund auf dem Borsigplatz, während ungefähr zur gleichen Zeit „nur“ 120.000 den Weg zum Evangelischen Kirchentag in Berlin fanden, wie Wolfgang Meyer eingangs provozierend bemerkte. Der WDR-Redakteur moderierte diese vierte Veranstaltung im Rahmen des Ökumenischen Forums Kirche und Sport, zu der im Zollhafen der langjährige Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und ehemalige EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, der katholische Pfarrer von Höhenberg/Vingst, Franz Meurer, Fußballer Boris Lieven vom jüdischen Turn- und Sportverein Makkabi Köln sowie die TV-Moderatorin und ehemalige Fußballerin Shary Reeves zusammengekommen waren.

Das Impulsreferat hielt Eugen Eckert, evangelischer Stadion-Pfarrer in der Frankfurter Commerzbank-Arena, und stellte dabei vor allem die Parallelen heraus, die den Sport mit der Religion, aber auch dem Leben selbst verbinden. Es gehe um Freude und Leid, Sieg und Niederlage, Triumphe und Schicksalsschläge, die Begrenztheit der Zeit und das letztlich offene Ende: Sport sei ein Teil der Lebensgestaltung, Regeln, Ordnung und Loyalität würden dabei eingeübt, von Aktiven wie Anhängern. Und zuweilen könne der Sport auch Berge versetzen: Wenn etwa Geflüchteten oder Menschen mit Migrationshintergrund über das Mitmachen in Fußballmannschaften die Integration erleichtert werde oder sich Promi-Spieler gegen Ausgrenzung aussprächen.

Nikolaus Schneider bewunderte vor allem die Fähigkeit des Sports, die gesamte Gesellschaft schichtenübergreifend emotional zu bewegen: „In unseren Gemeinden sollte das auch so sein, aber in der Praxis gehören die aktiven Mitglieder meist nur einer bestimmten Schicht an.“ Pfarrer Meurer vermochte „keine Konkurrenz zwischen Sport und Religion“ zu erkennen, im Gegenteil, der gemeinschaftsbildende, Identifikation ermöglichende Aspekt der sportlichen Betätigung sei tagtäglich zu beobachten und könne nur begrüßt werden. „Der Sport verschafft ja auch Glücksmomente, das Gefühl, zusammen mit anderen etwas erreicht zu haben“, bestätigte Shary Reeves.

Allerdings, das hatte bereits Eugen Eckart angesprochen, bleibe der Sport wie alle Bereiche des Lebens von den düsteren Seiten menschlichen Strebens nicht verschont. Doping, Korruption, Hybris – wie sie kürzlich im Verhalten des Fifa Chefs Gianni Infantino sichtbar wurde, als er zwei Ethik-Hüter absetzte – seien nicht nur Ausdruck übersteigerten Ehrgeizes, sondern vor allem Folgen der Kommerzialisierung und der Gier, wie Nikolaus Schneider kritisierte: „Bei den Gehältern der Profi-Fußballer ist der Zusammenhang zwischen Leistung und Bezahlung nicht mehr nachvollziehbar.“ Da seien Assoziationen an das „Goldene Kalb“ in der Tat nicht fern.

Der frühere EKD-Vorsitzende sprach sich auch gegen Pläne des DFB aus, den Montag zu einem zusätzlichen Spieltag der Ersten Bundesliga zu machen – damit würde die Freizeitgestaltung der Fans immer weiter fremdbestimmt. Boris Lieven sprach einen weiteren dunklen Punkt an: „Sport dient oft nur als Vorwand, Rassismus und Fanatismus auszuleben.“ Pfarrer Meurer betonte, dass es bei den so genannten Ultras, den gewaltbereiten Fans also, nicht um den Fußball gehe: „Das sind Bekloppte, die wollen nur anderen auf die Fresse hauen“. Nikolaus Schneider zog die Parallele zu den religiösen Fundamentalisten, die „meinen, sie kennen Gott besser als der sich selbst“ und deshalb zum Teil in seinem Namen töteten: „Ultras und Fundamentalisten – die tun uns beide nicht gut.“

Der katholische Pfarrer und der ehemalige Ratsvorsitzende stimmten aber in der Auffassung überein, dass Sport eine zivilisatorische Leistung sei, die es den allermeisten Sportbegeisterten erlaube, die unguten, aggressiven Triebe auf einer nur symbolischen Ebene auszuleben – Nikolaus Schneider sprach von einer „Entrohung“ der Gesellschaft. Auf die Frage eines Besuchers, ob denn die Kirchen etwas vom Sport lernen könnten, fand Shary Reeves eine prägnante Antwort: „Sie müssen die Menschen stärker emotionalisieren.“

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans