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Einladung zum Filmabend und Stellungnahme der Gemeinde: Hungerstreik der Conterganopfer in der evangelischen Andreaskirche Schildgen

In den Hungerstreik getreten sind am vergangenen Donnerstag drei Contergan-Opfer sowie die Mutter eines Betroffenen in der Andreaskirche der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen. Gihan Higasi, Norbert Schweyen, Stephan Nuding und dessen Mutter Helga wollen mit ihrer Aktion die Firma Grünenthal und deren Eigentümerfamilie Wirtz und die Bundesregierung unter Druck setzen, damit diese die Entschädigungszahlungen an die Contergan-Opfer erhöhen.

Und hier die Stellungnahme der Gemeinde an der Evangelischen Andreaskirche Bergsich Gladbach-Schildgen, unterzeichnet von deren Pfarrer Christoph Nötzel:

Stellungnahme zum Hungerstreik von zwei Contergangeschädigten und der Mutter eines Betroffenen in der Andreaskirche, Bergisch Gladbach-Schildgen Pfr. Christoph Nötzel, Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen Dienstag, den 30. September 2008:

Seit Donnerstag, den 18. September 2008 befinden sich drei, seit Montag, den 29. September nunmehr zwei Contergangeschädigte sowie die Mutter eines Betroffenen in der Andreaskirche in Schildgen in einem öffentlichen Hungerstreik: Gihan Higasi, Stephan Nuding und Helga Nuding.

Die Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen teilt das Anliegen der Hungerstreikenden um ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben aller contergangeschädigten Menschen und hat sie in die Obhut ihres Gemeindezentrums aufgenommen.

Contergan ist ein durch die Firma Grünenthal 1958 bis 1961 hergestelltes und vertriebenes Schlafund Schmerzmedikament mit dem Wirkstoff Thalidomid. Eingenommen während bestimmter Phasen der Schwangerschaft bewirkt Thalidomid charakteristische Behinderungen beim werdenden Embryo.

Heute leben noch etwa 2800 Contergangeschädigte in Deutschland. Schätzungsweise zwei Drittel von ihnen leben in Heimen oder in häuslicher Pflege. Nur noch rund 400 sind erwerbstätig. Die übergroße Zahl von ihnen kann nicht am öffentlichen Leben teilnehmen. Die Behinderungen, unter denen sie leiden, sind vielfältig: etwa 800 von ihnen leben ohne Beine; ca. 2000 ohne Arme oder mit Verwachsungen der Hände; ca. 300 ohne Arme und ohne Beine; unter ihnen finden sich Taubstumme, Gehörlose und Blinde. Über die Jahre stellten sich Nieren- und Herzerkrankungen, Erkrankungen der Speiseröhre oder im Magen-Darm- Trakt ein. Die allermeisten leben ständig unter großen Schmerzen. Zu den Ursprungsbehinderungen treten mit zunehmendem Alter Folgeerkrankungen hinzu.

Nicht nur, dass sie unter den vielen Einschränkungen, Störungen, Schmerzen, Krankheiten und Hinfälligkeiten leiden müssen, zu denen sie durch ihre Behinderung verurteilt sind. Auch die damit verbundenen hohen Kosten und Verluste bleiben ihnen teils ohne hinreichenden Ausgleich aufgebürdet. Viele haben Angst vor einem Leben im Alter in wirtschaftlicher Unsicherheit und fremdbestimmter pflegerischer Abhängigkeit.

Sicher: die Opfer von Contergan können von ihrer Behinderung nicht befreit werden. Doch kann ihnen ein Leben in wirtschaftlicher Sicherheit gewährt werden durch einen angemessenen finanziellen Ausgleich und eine hinreichende Rente. Hier steht maßgeblich die Bundesrepublik Deutschland in einer besonderen Verantwortung auf Grund der seinerzeit übernommenen gesetzlichen Verpflichtung zugunsten der Contergangeschädigten. Auch dem faktischen Verursacher, der Fa. Grünenthal, kann es nicht erspart bleiben, mit den Folgen seines Handelns konfrontiert und auf seine Verantwortung hin befragt zu werden.

Die hier hungernden Menschen wollen niemanden erpressen. Ihr Handeln ist Ausdruck von Hilflosigkeit. Ihr Hungern ist ein Ruf nach Gerechtigkeit. Wir als Kirchengemeinde bitten und beten in unseren Gottesdiensten um einen ehrlichen und aufrichtigen Weg der Verständigung und mutige Schritte zur Versöhnung.

Die Kirchengemeinde begleitet die hier hungernden Menschen diakonisch-pflegerisch und seelsorgerlich. Sie werden ausreichend mit Flüssigkeit versorgt, täglich ärztlich betreut und bedarfsgerecht substituiert, d.h. in der erforderlicher Weise mit Mineralien, Elektrolyten etc. versorgt. Ist die Fortsetzung des Hungerstreiks ärztlich nicht weiter zu verantworten, wollen die Hungernden ihren Hungerstreik auf Anraten ihrer Ärzte jeweils abbrechen.

Einladung: Filmaufführung „NoBody is perfect“: am 7. und 8. Oktober
An beiden Abend ist in der evangelischen Andreaskirche, Voiswinkler Straße 40 in Bergisch Gladbach-Schildgen, jeweils um 20 Uhr der Dokumentarfilm „NoBody is perfect“ von und mit Niko von Glasow, selbst Contergan-Opfer, zu sehen: „Mit einer Mischung aus charmanter Leichtigkeit, viel schwarzem Humor und aufregenden Persönlichkeiten hat es Niko von Glasow geschafft, einen Film zu machen, der nicht nur jammert oder verurteilt, sondern die Menschen hinter der Behinderung zeigt. Das Ergebnis ist nicht einfach nur das Porträt von zwölf Menschen, die mit einer Behinderung zur Welt kamen, sondern auch eine Suche nach der eigenen Persönlichkeit, nach dem richtigen Verhältnis zum eigenen Körper und eine bissige Kampfansage an das Unternehmen Grünenthal und die Eigentümerfamilie Wirtz.“ Der Eintritt ist frei.

Text: Presbyterium Andreaskirche
Foto(s): Stefan Rahmann