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Die „musikalische Stafette“ machte in Mülheim Station

Dirigent, Publikum und Sänger trinken zwischendurch ein Bier, Kleinkinder krabbeln durch den Saal und die Musiker tragen Alltagskleidung – bei den Jeanskonzerten in der „Jugendkirche geistreich“ in Köln-Mülheim ist vieles anders als bei üblichen Klassik-Aufführungen. Wenn Kirchenmusikdirektor Christoph Spering die komplexen Werke erläutert, sitzen auch Jugendliche und Menschen, die keine regelmäßigen Klassik-Konzertgänger sind, in der Lutherkirche (auch Luthernotkirche genannt). Das letzte Konzert, eine Aufführung von Johann Sebastian Bachs „Kreuzstabskantate“, war Teil der „Musikalischen Stafette“ durch 38 Kirchenkreise der Evangelischen Kirche im Rheinland. Auch die vier Kölner Kirchenkreise beteiligen sich – und zwar noch bis Sonntag, 24. Juni.

Heilsversprechen und barocke Todessehnsucht
„Der Dirigent erzählt immer was Lustiges. Ich fand das hier letztes Jahr schon sehr cool“, erzählt David, 15. Auch wenn er normalerweise nicht in klassische Konzerte geht, hörte er sich doch geduldig die Ausführungen von Sperings über Johann Sebastian Bachs „Kreuzstabskantate“ an.
Bach verfasste diese Kantate 1726 für die Sopranstimme seiner zweiten Ehefrau Anna Magdalena, uraufgeführt wurde sie vermutlich im Oktober des gleichen Jahres am 19. Sonntag nach Trinitatis. Der dazu passende Evangeliumstext behandelt die Heilung des Gichtbrüchigen (Matthäus 9, 1-8), und es geht auch um Leid, das im irdischen Leben ertragen werden muss. „Typisch barocke Todessehnsucht“ konstatierte Spering angesichts von Zeilen wie „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ oder „Komm, o Tod du Schlafes Bruder“. Fermaten, lang ausgehaltene Töne, verweisen auf die Textstellen die der Zuhörende besonders überdenken sollte. Der Kreuzstab ist ein mehrdeutiges Symbol: Er kann die von Gott auferlegte Last, den Wanderstab durch das irdische Leben, einen Papststab oder – von Spering favorisiert – ein altes Navigationsinstrument, den Vorläufer des Sextanten symbolisieren. Last but not least lässt er sich auch zum „X“ formen, dem Zeichen für Christus.

Zahlen- und Buchstabensymbolik
Mehrdeutig ist Bachs Musik ohnehin: „Augenmusik“ nennt man Symbole und geometrische Formen, die in der Notenschrift geformt werden, zum Beispiel die ansteigende Tonleiter der ersten Zeile. Bach wob seinen Namen „B-A-C-H“ in musikalische Phrasen ein, auch Taktzahl und die Stellung im Alphabet stecken voller Anspielungen. Auch wenn die Texte ein wenig „wie im Museum“ daherkommen: Wie sehr sich Bach zum Swingen bringen lässt, demonstrierten zwei Musiker des „Neuen Orchesters“ eindrucksvoll mit Saxophon und E-Bass, die kurzfristig Kontrabass und Oboe ablösen durften.

„Man muss sich auseinandersetzen“
Texte voller Todessehnsucht und Weltschmerz – wie kommt so etwas bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen an? „Man muss sich vor allem mit Bach wirklich auseinandersetzen“, betont Lukas, 22. Der 20-jährige Justus schätzt an Spering die Art, „Brücken zu schlagen“, wobei der Kirchenmusikdirektor auch Vergleiche mit Rap nicht scheute. Anbiedernd kam dies nicht „rüber“: „Der nimmt sich selbst nicht so ganz ernst“, ist sich Justus sicher, außerdem merke man dadurch, dass „viele neue Sachen gar nicht so neu sind“.

Weitere Termine, Terminübersichten
Die musikalische Stafette in den evangelischen Kirchen von Köln und Region wurde und wird fortgesetzt in Lindenthal (Mittwoch, 6. Juni, 19.30 Uhr im Tersteegenhaus, Emmastraße 6), in Brühl (Samstag, 16. Juni, 19 Uhr, Christuskirche, Mayerweg 8), Rodenkirchen (Sonntag, 17. Juni, 17 Uhr, Erlöserkirche, Sürther Straße 34), Bilderstöckchen (Sonntag, 17. Juni, 12 Uhr, Nathanaelkirche, Escher Straße 160) und in Weiden (Montag, 18. Juni, 19.30 Uhr, Jochen-Klepper-Haus, Aachener Straße 1208).
Näheres finden Sie auch hier: alle Termine der Kirchenkreise Köln-Mitte, Köln-Nord, Köln-Rechtshrheinisch und Köln-Süd auf einen Blick. Das komplette Programm der „musikalischen Stafette“in allen Kirchen der Rheinischen Landeskirche kann hier eingesehen werden.
Wer sich für das Rahmenprogramm der gesamten Evangelischen Kirche in Deutschland im „Jahr der Reformation und Musik 2012“, einem Bestandteil der „Lutherdekade“, interessiert, wird hier fündig.

Text: Annette v. Czarnowski
Foto(s): v. Czarnowski