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Bundestagskandidaten in der Kartäuserkirche

Die Politik gab sich ein Stelldichein in der Kartäuserkirche der Kölner Südstadt. Kurz vor der Bundestagswahl am 24. September standen die Themen Flucht und Asyl, Wohnen und soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion. Moderiert wurde der Abend von Pfarrerin Dr. Anna Quaas und Pfarrer Mathias Bonhoeffer. Zu Gast waren Elfi Scho-Antwerpes, Bundestagsabgeordnete der SPD, Professor Dr. Heribert Hirte, Bundestagsabgeordneter der CDU, Sven Lehmann (Grüne), Dr. Annette Wittmütz (FDP) und Matthias W. Birkwald (Die Linke).

Quaas stellte das Podium vor. Elfi Scho-Antwerpes ist seit 2004 Bürgermeisterin der Stadt Köln und sitzt seit 2015 als Nachrückerin im Bundestag. Ehrenamtlich ist sie unter anderem im Kuratorium der Diakonie Michaelshoven tätig. Als großen Erfolg der vergangenen zwei Jahre in Berlin nannte Scho-Antwerpes die jüngst beschlossene „Ehe für alle“. „Noch nicht genug erreicht haben wir beim sozialen Miteinander. Auch ein Einwanderungsgesetz haben wir nicht durchsetzen können“, fasste sie Defizite der vergangenen Legislaturperiode aus ihrer Sicht zusammen.

Kandidatenvorstellung
Heribert Hirte hat bei der vergangenen Wahl das Direktmandat im Wahlkreis Köln II, zu dem auch die Südstadt gehört, errungen. Der Jura-Professor mit Lehrstuhl in Hamburg lebt in Rodenkirchen. Er befasst sich im Bundestag mit dem Verbraucherschutz und europäischen Angelegenheiten. Sven Lehmann stammt aus Troisdorf und ist seit 2010 Landesvorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Matthias Birkwald sitzt seit 2009 für Die Linke in Berlin im Parlament. Er fordert „Renten rauf statt Altersarmut.“ Rechtsanwältin Dr. Annette Wittmütz trat 2006 in die FDP ein. Sie ist Vorsitzende der Kölner Liberalen Frauen und plädiert nachdrücklich für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern.

Bezug auf Merkels „Wir schaffen das“
Damit war die Vorstellungsrunde vorbei und man wandte sich einem der großen Themen dieses Abends zu: Flüchtlinge. Dazu Hirte: „Der Satz ,Wir schaffen das' von Frau Merkel war vielleicht ein bisschen vollmundig. Aber wir haben viele Stellschrauben angefasst und korrigiert. Natürlich ist der Deal mit der Türkei schwierig. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen.“ Sven Lehmann erklärte, die Deutschen könnten stolz darauf sein, eine Million Flüchtlinge dank der Tatkraft vieler Ehrenamtlicher gut aufgenommen zu haben. Der Staat habe oft versagt: „Die Grenzen zu Ungarn nicht dicht gemacht zu haben, war die letzte richtige Entscheidung in der Flüchtlingspolitik. Männer sind kaum integrierbar, wenn man ihren Familien den Nachzug verweigert. Und die Abschiebung in den Krieg in Afghanistan lehnen wir ab.“

Integrations-Offensive für Flüchtlinge
Elfi Scho-Antwerpes lobte das Engagement der Ehrenamtlichen und forderte mehr Einsatz in der Ursachenbekämpfung von Flucht. „Wir müssen mehr tun, damit die Menschen zu Hause bleiben können. Wir müssen beispielsweise in Bildung vor Ort investieren.“ „Wir müssen von einer Kultur der Obergrenzen zu einer Politik der Willkommenskultur kommen“, erklärte Birkwald und erhielt Applaus vom Publikum: „Wir brauchen eine zentrale Integrations-Offensive für Flüchtlinge und auch für Deutsche, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben.“ Die Bundeswehr solle nicht mehr im Ausland eingesetzt werden, der Rüstungsexport müsse gestoppt werden: „Jede Waffe findet ihren Krieg.“

„Menschen fliehen nicht freiwillig“
Dem Stopp der Waffenexporte nach Saudi Arabien stimmte Dr. Wittmütz zu. Sie erläuterte den Vorschlag der Freien Demokraten, dass Asylbewerber entsprechende Anträge bereits in ihren Heimatländern stellen sollen. Dort könne dann bereits darüber entschieden werden. In Deutschland müssten die geflüchteten Frauen „besser abgeholt werden“. Die freie Demokratin forderte Kinderbetreuung, wenn die Mütter an Sprachkursen teilnähmen. Lehmann erinnerte daran, dass 90 Prozent der weltweit 65 Millionen Flüchtlinge in sogenannten Entwicklungsländern lebten. Nur 2,8 Millionen gelangten überhaupt nach Europa. „Menschen fliehen nicht freiwillig. Sie fliehen vor Hunger, Armut und Krieg. Wir sollten versuchen, sie bei uns so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen.“

Europäische Asylgesetzgebung
Hirte nannte formelle Obergrenzen für Flüchtlinge falsch. Gebraucht werde eine europäische Asylgesetzgebung, die die aktuelle „Verschiebepolitik“ ersetze. Birkwald widersprach dem Vorschlag von Wittmütz, ein Einwanderungsgesetz zu schreiben mit einem System, wie es in Kanada und Australien bestehe, das Einwanderern Punkte vergebe, je nachdem, wie gut ausgebildet sie seien und wie gut sie die Sprache des neuen Landes beherrschten. „Wir wollen die Menschen nicht nach ihrer Nützlichkeit bewerten“, so Birkwald.

Privat oder gesetzlich versichert
Beim Thema Gesundheit forderte Wittmütz eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte und einen Abbau der Bürokratie in der Pflege. Medizin-Studienplätze sollten an Bewerber vergeben werden, die sich verpflichteten, später für eine gewisse Anzahl von Jahren auf dem Land zu praktizieren. „Wir möchten die privaten Krankenkassen öffnen. Jeder soll selbst entscheiden, ob er privat oder gesetzlich versichert sein möchte.“ Das führe zu mehr Wettbewerb zwischen den Kassen. Hirte nannte als Erfolg seiner Partei in der Regierungsverantwortung die Einführung neuer Pflegestufen. Scho-Antwerpes nannte eine bessere Ausbildung des Personals in der Pflege als Ziel. Und die Parität zwischen Arbeitgebern und -nehmern bei den Kassenbeiträgen. Sven Lehman sah einen „brachialen Widerspruch“ zur FDP: „Immer mehr Leute entziehen sich der solidarischen Finanzierung der Gesundheitskosten. Wir müssen unbedingt die gesetzte Krankenversicherung stärken, um deren Finanzkraft zu verbessern.“ Ziel sei eine Bürgerversicherung für alle.

Versorgung bei Krankheit
Birkwald ergänzte diese Aussage: „Wer arm ist, muss früher sterben. Wer zu den 60 Prozent Deutschen gehört, der weniger verdient als die oberen 40 Prozent stirbt als Mann zehn Jahre früher, als Frau acht Jahre früher. Wir lehnen die Fallpauschalen in den Krankenhäusern ab. Die sorgen dafür, dass die Patienten blutig entlassen werden. Wir fordern die bedarfsgerechte Finanzierung der Kliniken.“ Scho-Antwerpes nannte es ein „Unding, dass privat Versicherte deutlich früher einen Termin beim Facharzt bekämen als gesetzlich Versicherte. „Gesundheit ist ein Menschenrecht. Die Versorgung muss für alle gleich sein.“ Die Kandidatin der SPD kritisierte auch, dass Schwangeren vor der Geburt „Kaiserschnitte schmackhaft“ gemacht würden: „Dann ist die Geburt für die Kliniken besser planbar.“

Einigkeit beim Thema „Wohnen“
Beim dritten großen Thema des Abends waren sich alle im Großen und Ganzen einig: Wohnen. „Bauen, bauen, bauen“, lautete das Credo von Heribert Hirte. Er forderte den Bund auf, leerstehende Flächen wie etwa aufgegebene Kasernen an die Kommunen zu verkaufen. Sven Lehmann setzt seine Hoffnungen auf das kooperative Baulandmodell, das in Köln bei Neubauvorhaben einen Anteil von 30 Prozent geförderter Wohnungen vorschreibt. Und: „Wir müssen die Vermieter stärken, die das Sozialwohl im Auge haben.“ Birkwald erinnerte daran, dass die Hälfte aller Kölner Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, der Anteil der Sozialwohnungen aber bei lediglich 6,8 Prozent liegt. „Die Mieten in der Südstadt sind mittlerweile höher als in Marienburg“, machte der Linke auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. Lehmann forderte, den sozialen Wohnungsbau konsequent wie in den 70er Jahren zu fördern: „Das war ein Erfolgsmodell.“

Diskussion zur Altersvorsorge
Streit gab es wegen der Rente. Birkwald forderte, dass die „Rente mit 67“ rückgängig gemacht werden müsse. „Das kostet Arbeitgeber und Arbeitnehmer pro Monat 8 Euro und sie können mit 65 in den Ruhestand gehen. Eine Krankenschwester bekommt heute im Durchschnitt mit 60,9 Jahren Rente, ein Bauarbeiter mit 57,6 Jahren.“ Und: „Wir haben kein demografisches Problem. Wir haben ein Verteilungsproblem.“ Die Heraufsetzung des Rentenalters ist auch für Scho-Antwerpes der falsche Weg. Lehmann forderte, den Zuschuss aus Steuern für die Rentenkasse zu erhöhen, „sonst kollabiert das System“. Er forderte eine Garantierente für alle, die verhindere, dass 70-Jährige Pfandflaschen sammeln müssten. Wittmütz möchte die private und betriebliche Altersvorsorge stärken und lehnt die Garantierente ab. Hirte wies darauf hin, dass alle länger lebten und deshalb auch länger arbeiten müssten, weil sonst die Balance zwischen Beitragszahlern und -empfängern gestört sei. „Die, die schwere Arbeit tun, gehen natürlich eher in Rente als Akademiker.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann