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Arabellion: Der Umsturz in der arabischen Welt

Über die „Arabellion“, also den Umsturz in der arabischen Welt, sprach der UNO-Korrespondent Andreas Zumach im VHS-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum, zu der die Melanchthon-Akademie, das Friedensbildungswerk und die VHS Köln eingeladen hatten. Zumach bezeichnete es als völlig „unseriöses Unterfangen“, das Geschehen in den Ländern von Marokko bis zum Iran und auch in Israel „über einen Kamm zu scheren“. Dafür seien die Ausgangsperspektiven in den einzelnen Ländern viel zu unterschiedlich. Eines prophezeite Zumach aber allen angesprochenen Ländern. Alle wird die Entwicklung erreichen. „Das wird so ähnlich ablaufen wie in den ehemaligen Ostblockstaaten nach dem Fall der Mauer.“ Er gab zu bedenken: „Am 14. Juli ist während der Französischen Revolution eigentlich wenig passiert." In Frankreich habe es zehn Jahre gedauert, bis alle Ziele der Revolution weitestgehend erreicht wurden.

Islam gehört zur Kultur
In den arabischen Ländern gebe es einen großen Gegensatz zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Auf dem Tahir-Platz in Kairo hätte eben nur ein kleiner Teil von 100 Millionen Ägyptern demonstriert. Die Landbevölkerung in diesem Staat lebe größtenteils in prekären Verhältnissen. Zudem sei die zivilgesellschaftliche Entwicklung in den arabischen Staaten, die in Rede stehen, sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es in Tunesien Parteien, Verbände und Gewerkschaften gebe, sei Libyen als reine Stammesgesellschaft organisiert. In Europa habe es Jahrhunderte gedauert, bis dass sich ein nationalstaatliches Bewusstsein entwickelt habe, da sollte man doch auch ein wenig Geduld für die arabischen Länder aufbringen. Das nationale Bewusstsein sei in Libyen am wenigsten ausgeprägt, während dieses in Ägypten sehr stark vertreten sei. Unterschiedlich seien auch die Erdölvorkommen in den einzelnen Ländern. Während Saudi Arabien über sehr viel Öl verfüge, gebe es keine Vorkommen in Ägypten und Jordanien. Das Öl entscheide darüber, wieviel Geld ein Regime ausgeben könne, um unzufriedene Bürger ruhig zu stellen. Der Islam gehöre im Übrigen in allen angesprochenen Staaten zur Kultur wie der katholische Glaube in Köln.

Sturz der Regime
„Es wird in allen Ländern zum Sturz der Regime kommen. Saudi Arabien und Iran werden die letzten sein, die sich von ihren Regierungen befreien“, lautete die Prognose von Zumach. Unter Libyen liege das größte Frischwasser-Reservoir der Welt. Das begründe strategische Interessen anderer Staaten. Syrien sei strategisch interessant wegen der Nachbarschaft zum Iran und zur Türkei. In Syrien liege darüber hinaus der einzige ganzjährig eisfreie Hafen für die russischen Marine. Mit dem Zerfall würde auch die Gründung eines kurdischen Staates wieder auf die Tagesordnung der Weltpolitik rücken. Das wolle man vor allem in der Türkei und im Iran, wo auch viele Kurden leben, unter allen Umständen vermeiden.

Keine Facebook-Revolution
Dass es sich bei den „Umwälzungen“ um Facebook- oder Twitter-Revolutionen handele, hält Zumach für ausgemachten Unsinn. Allerdings hätten es die Netzwerke erstmals möglich gemacht, die staatlich kontrollierten Medien zu unterlaufen und auch die Zensur durch die Machthaber zu umgehen. „Man konnte Mitstreiter mobilisieren und sich verabreden.“ Die Netzwerke seien in Tunesien und in Ägypten weit verbreitet, in Libyen weniger und im Jemen und in Saudi Arabien noch viel weniger.

Tragfähige Volkswirtschaft entwickeln
„Wenn die Regierungen, die nach den Umwälzungen ans Ruder kommen, es nicht schaffen, die Hoffnungen zu erfüllen, die die Menschen in sie setzen, werden sie durch Hungeraufstände und Sozialrevolten weggefegt“, warf Zumach einen Blick in die Zukunft. Dann bekämen auch problematische islamistische Parteien Zulauf. Die Ölländer müssten ihre Wirtschaft diversifizieren, um sich für die Zeit nach dem Öl zu rüsten. Der Tourismus reiche da nicht. Eine Mittelklasseschicht von Facharbeitern müsse entstehen. „Wir sollten mit den neuen Regierungen jetzt nicht wieder sofort Deals über Öl und Waffen abschließen. Wir sollten lieber dazu beitragen, dass sich in all diesen Ländern eine tragfähige Volkswirtschaft entwickelt.“

Nächster Bericht im Herbst
Welche Veränderungen die arabische Welt 2012 erleben wird, welche Entwicklungen der Nahe Osten im Zusammenspiel von Syrien, Israel und Palästina erfahren wird, darüber wird Andreas Zumach im Herbst berichten. Melanchthon-Akademie, Friedensbildungswerk und VHS Köln haben ihn erneut nach Köln eingeladen, am 25 November 2012.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann