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10 Jahre Gulliver: Ein Kunstkatalog als Geburtstagsgeschenk

„Ein Ort der Kunst und Kultur ist Gulliver, seit Elvira Reith auch künstlerische Projekte dort hinholt und regelmäßig Ausstellungen organisiert. Die (…) Ausstellungsmacherin hat inzwischen über 30 Kunstereignisse im Gulliver veranstaltet und damit neue Prozesse in Gang gesetzt – im kulturellen Leben der Stadt und mit Begegnungen von Menschen am Rande der Gesellschaft“, schreibt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in ihrem Vorwort zu dem zum 10-jährigen Bestehen der Überlebensstation Gulliver erschienenen Katalog. Und das ist etwas wirklich Besonderes: Zum einen, dass es das Gulliver – nun endlich auch mit festem Mietvertrag – schon seit zehn Jahren gibt. Denn es ist eine Überlebensstation für Obdachlose. Zum anderen, dass eine Ministerpräsidentin sich in solch einem Katalog äußert – noch dazu so voller Bewunderung. Und nicht zuletzt, dass eine Überlebensstation für Obdachlose überhaupt regelmäßige Kunstaktionen veranstaltet.

Ein Kunstkatalog als Geburtstagsgeschenk
Der Katalog war sozusagen ein Geburtstagsgeschenk, das sich das „Gulliver“ selbst gemacht hat. Aber: Bitte keine falschen Schlüsse ziehen! Der Obdachlosenarbeit ging selbstverständlich kein Cent dadurch verloren, dass man sich mit diesem Katalog einmal so richtig schön präsentieren wollte, wie Gulliver-Leiter Bernd Mombauer betont: „Das Geld für den Katalog kommt von privaten Förderern, außerdem wird er über den Verkauf finanziert. Den Obdachlosen geht dadurch kein Cent verloren!“

Als alles begann, war die Idee selbst lange Zeit obdachlos….
Das hatte eigentlich auch niemand angenommen, der das Gulliver kennt. Und wer es (noch) nicht kennt, kann in diesem Buch wunderbar dessen Entstehunggeschichte nachlesen: Von einer Idee, geboren im Arbeitskreis „Köln für Obdachlose und Arme“, mit folgenden „Spielführern“: dem KALZ e.V. mit seinem damaligen Geschäftsführer Thomas Münch und dessen Vorsitzendem, dem evangelischen Pfarrer Karl-Heinz Iffland, Benedikt Labre e.V. Oase mit seinem Mitarbeiter Markus Schultes und mit dem Sozialwerk des Evangelischen Stadtkirchenverband Kölns vor zehn Jahren mit seinem damaligen Leiter Pfarrer Axel Becker. Allen war klar: Die Situation für Obdachlose in Köln wird immer unerträglicher – es muss was geschehen. Doch lange Zeit war „die Idee selbst obdachlos“…. Alles weitere beschreibt Iffland in seinem Beitrag überaus ein- und nachdrücklich: Vom Baubeginn, von Willy und Gerda Millowitsch, die das Projekt von Anfang an unterstützen, von Toiletten und vom Alkohol – oder eben nicht -, von der Kölner Straßenordnung und von der Erleichterung, als es am 5. Januar 2001 endlich so weit ist: „Das Gulliver – Deutschlands erste Überlebensstation für Obdachlose – wird eröffnet. Als sozialarbeiterfreie Zone, als niedrigschwelliges Angebot, als Begegnungsraum zwischen Überleben, Kunst und Kultur.“

Wenn „Kunst und Kultur auf eine andere Wirklichkeit treffen“
Relativ knapp fasst sich der jetzige Geschäftsführer, Bernd Mombauer, in seinem Beitrag. Aber der hat vermutlich jeden Tag Besseres – und Sinnvolleres – zu tun, als zu schreiben. Er thematisiert aber nichtsdestotrotz ganz deutlich die Sache mit der Kunst: „Gulliver ist seit seinem Bestehen auch ein Raum für Kunst und Kultur. Im Gulliver treffen Kunst und Kultur auf eine andere Wirklichkeit. Kultur und Kunst strahlen wiederum in die Lebenswirklichkeit der (obdachlosen) Menschen und geben ihnen etwas. Wie alles im Gulliver ist auch dies ein respektvoller Dialog – und dialektisch: beide Seiten haben auf einmal eine neue Qualität. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit unseren obdachlosen Gästen, dass die Kunst im Gulliver zum Innehalten, zum Träumen und zum miteinander reden und diskutieren anregt. Was mich sehr überrascht hat, ist die, an sich naheliegende, Tatsache, dass mehr als die Hälfte unserer obdachlosen Mitarbeiter und Gäste die „Kunstausstellungen“ für besonders wichtig halten, um mit den „Anderen“, „den Nicht-Wohnungslosen“, den „Normalen“, mit den „Gästen aus anderen Schichten“ ins Gespräch zu kommen. Es freut mich sehr, dass dies immer wieder gelungen ist. Es zeigt mir, dass wir auf dem „richtigen Weg“ sind. Auf dem Hintergrund dieser Antworten arbeite und träume ich, auch in Zukunft gemeinsam mit Ihnen, für eine und von einer anderen Zeit. Einer Zeit in der Kunst und Kultur nicht mehr den Brückenbogen zwischen den „Welten“ schlagen muss. Mit seinen 40 Ausstellungen in den vergangenen zehn Jahren ist Gulliver zu einem anerkannten Kunst- und Ausstellungsraum in Köln avanciert.“ Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den „Kunstbetrachtungen“ von Gästen und Mitarbeitern des Gulliver, die im Buch veröffentlich sind.

Der Katalog ist eine Fundgrube!
Einen interessanten Aspekt macht Jürgen Kisters in seinem lesenswerten Beitrag aus, in dem es um „Die Kunst des Lebens“ geht. Und dann werden sie alle einzeln vorgestellt, die Künstlerinnen und Künstler, die im Gulliver in den letzten zehn Jahren ausgestellt haben. Unglaublich spannende Dinge gibt es da zu entdecken, Collagen, die an den renommierten Künstler Daniel Spoerri erinnern, nachdenkliche Fotos, oft aus vergangenen Jahrzehnten, akurate Zeichnungen, verträumte Malerei…. Künstler und Werke werden kurz beschrieben. Ja, dieser Katalog ist eine Fundgrube! Und zwar nicht nur für Menschen, die sich mit der Obdachlosenarbeit beschäftigen wollen und müssen. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil: Eine Fundgrube für Menschen, die in der Kunst das wirklich Eigenständige suchen, eine bewusste Gegenwelt, den Traum, die Idee, die Utopie… eben: das ganz Andere. Das scheint in mehr als einem der im Jubiläumskatalog vorgestellten Werke auf.

Wo bekomme ich den Katalog?
Der Katalog kostet 10 Euro. Der Erlös kommt der Überlebensstation zugute. Zu beziehen ist er über den KALZ e.V. Köln: www.koelnerarbeitslosenzentrum.de , mail: mombauer@koelnerarbeitslosenzentrum.de

Text: AL
Foto(s): Stefan Rahmann