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Interview mit dem Kölner Autor der Studie „Kirchen geben Raum“:

Der Bestand von Kirchen und Gemeindebauten hierzulande ist durch gesellschaftlichen Wandel, Schwund von Kirchenmitgliedern und manch andere Gründe bedroht. Schließungen und Umwandlungen von Sakralgebäuden, gar ihr Abriss, sind keine Seltenheit mehr.

Wie sie in „kirchlich, baukulturell und sozial angemessener Weise und mit befriedigenden Lösungen“ erhalten werden können, darauf antwortet der Diplom-Ingenieur Jörg Beste in seiner Studie „Kirchen geben Raum“. Dem Wahlkölner, Jahrgang 1964, der als Architekt und Stadtplaner in deutschen und niederländischen Planungsbüros gearbeitet hat, geht es mit seinen „Empfehlungen zur Neunutzung von Kirchengebäuden“ nicht allein um einen geeigneten Umgang mit architektonischen, städtebaulichen Gegebenheiten. Ihn interessiert nicht nur das Was, sondern das Warum und insbesondere Wie.

Beste, der Evangelische Theologie studiert hat, verdeutlicht, wie es gelingen kann, über den Kreis der Kirchengemeinden und ihrer Vertretenden hinaus Beteiligte und Betroffene in Neuorientierungsprozesse einzubeziehen. Er gründete 2003 in Köln das Büro „synergon – Stadtentwicklung Sozialraum Kultur“. Seine Arbeitsschwerpunkte „liegen im Bereich von Konzeption, Beratung und Organisation von Projekten zur Baukultur und von Partizipationsprozessen in Stadtplanung, Freiraumplanung und Stadtentwicklung sowie in der Stadt- und Sozialforschung“. Seit 2004 sitzt Beste als Sachkundiger Einwohner im Stadtentwicklungsausschuss der Stadt Köln. Er berät die Stadt Köln bei stadträumlichen Entwicklungsprojekten und führt seit 2005 die Geschäfte des „Architektur Forum Rheinland e.V.“.

Wie kam es zu dieser Studie, weshalb hat sich das nordrhein-westfälische Bauministerium der Problematik der Umnutzung und Schließung von sakralen Gebäuden und Gemeindezentren der beiden großen christlichen Kirchen angenommen?

Jörg Beste: 2005/2006 traten Kirchenschließungen derart gehäuft auf, dass man seitens der fünf katholischen Bistümer und drei evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen an das Landesbauministerium mit der Bitte herangetreten ist, die Kirchen in dieser Situation zu unterstützen. Das Bauministerium sagte zu, sich mit den in die Diskussion geratenen Kirchengebäuden beschäftigen zu wollen, da sie eine große architektonische, städtebauliche und soziale Relevanz haben. Insofern wollte man Erfahrungen sammeln, was die Besonderheit der Gebäudetypologie von Kirchen betrifft. Da der Gesamtprozess schleppend anlief, wurde ich 2007 gebeten, die konzeptionelle Bearbeitung und moderierende Begleitung zu übernehmen. Dabei benötigte das Gesamtverfahren eine ähnliche moderierende Begleitung wie die einzelnen Objekte vor Ort. Innerhalb des 2006 gestarteten „Modell- und Forschungsvorhabens Kirchenumnutzungen“ des Landesbauministeriums sind circa 20 geförderte Machbarkeitsstudien erarbeitet worden. Aus diesen erwuchsen schließlich zahlreiche Projekte, die um Erfahrungen aus weiteren Kirchenneunutzungsprozessen erweitert wurden.

In Ihrer Einführung wie im Schlusssatz konstatieren Sie: „Kirchengebäude sind keine Last, sondern eine Chance, aufgegebene Kirchen sind verpasste Chancen.“ Weshalb ist Ihnen der Erhalt von Kirchen und ihre sinnvolle Nutzung wichtig? Was bedeutet in diesem Zusammenhang „sinnvoll“?
Jörg Beste: Meine Feststellung soll eine Motivation sein, mit Kirchengebäuden verantwortungsvoll umzugehen. Ein absolutes Gegenbeispiel ist der Abriss der Kirche St. Raphael von Rudolf Schwarz in Berlin 2005, einen Tag vor ihrer geplanten Unterschutzstellung. Auch die Nachnutzung des Grundstücks mit einem Discounter führte zu heftigen Protesten. Zur Frage der Chancen: In Kirchen liegt ein großes Potential. Sie bieten zum Beispiel Rückzugsmöglichkeiten, sie können, wie die evangelische Antoniterkirche in Köln, als offene Kirchen geführt werden. Neunutzungen von Kirchen sollten drei Ansprüchen gerecht werden: sie sollten der kirchlichen Vornutzung, dem kirchlichen Charakter entsprechen. Sie sollten hohen baukulturellen Ansprüchen genügen und ebenfalls sozialen Ansprüchen gerecht werden. Sakrale Gebäude stellen meistens eine herausragende baukulturelle Leistung dar. Ihre kirchliche Nutzung schließt häufig verschiedene Nachnutzungen aus. Die drei Aspekte, unter denen ich eine Neunutzung betrachte, sind das, was ich, wenn sie zur Deckung gebracht werden, als sinnvoll bezeichnen würde. Und oft stecken noch kirchliche Chancen in den Gebäuden. Es ist aber oft harte Arbeit, diese herauszufinden.

Kirchen sind sehr „sensible“ Bauten. Insbesondere im Hinblick auf die nutzende Gemeinde und das städtebauliche Umfeld. Bauliche Veränderungen an Wohn- oder Geschäftsgebäuden, deren andere Nutzung oder Abriss bergen in der Regel weitaus weniger „Zündstoff“. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Jörg Beste: Daran hängt die Frage nach der jeweiligen bürgerschaftlichen Reaktion auf Veränderungsplanungen. Engagement für einen Prozess der Neuorientierung kann Hilfe oder Hindernis sein. Das gilt sowohl für die Bürgergemeinde als auch, in verstärktem Maße, für die Kirchengemeinden. Eine entscheidende Frage lautet hier: Hinterlässt der Prozess eine zerstrittene oder gestärkte Kirchengemeinde. Das sind die beiden extremen Möglichkeiten, die herauskommen können, insbesondere in Gemeinden, die einen Schrumpfungsprozess durchmachen.

An wen richtet sich Ihre Studie?
Jörg Beste: Es gibt eine Arbeitshilfe der rheinischen Landeskirche von 2005 zu den Fragen Umnutzung und Entwidmung von Gebäuden explizit für Vertretende von Kirchengemeinden. Die vorliegende Studie richtet sich nicht allein an kirchliche, sondern auch an kommunale Vertretende vor Ort, an die jeweilige Stadtplanung und Denkmalpflege, an Architekten, Bürgerinitiativen und andere Beteiligte wie Interessierte. Ein Ergebnis der Lektüre und Anwendung der Empfehlungen sollte ein Verständnis für die jeweils andere Seite beziehungsweise die anderen Seiten sein. Zweitens richtet sich die Studie nicht nur an kirchliche Vertreter, die eine weitere kirchliche Nutzung planen, sondern auch eine Umnutzung und Neunutzung als Option sehen können. Es ist sinnvoll, soviel kirchliche Nutzung wie möglich zu behalten. Wenn das nicht mehr machbar ist, muss es auch Hinweise geben, wie man Kirchengebäude entsprechend neu nutzen kann.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Beteiligte an Neuorientierungen für Kirchenbauten?
Jörg Beste: Ein potentielles Schließen von Kirchen ist eine unangenehme Situation. Das tut niemand gerne auf kirchlicher Seite. Damit ist die erste Herausforderung, sich der eigenen Situation zu stellen. Zu fragen, wo steht die Kirchengemeinde, wie entwickelt sie sich. Eine zweite Herausforderung ist, sich mit langfristigen und finanziell weitreichenden Planungen zu beschäftigen. Als dritte Herausforderung sehe ich innerhalb entsprechender Prozesse die notwendige Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Interessen.

Weiterhin gelten die Vorgaben der Leitung der Landeskirche. Danach ist zwar der Verkauf an Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), an jüdische Gemeinden und Gemeinden fremder Sprache und Herkunft zulässig, nicht aber der an beispielsweise nichtchristliche Religionsgemeinschaften oder Sekten. Was also ist in dieser Hinsicht möglich, vielleicht auch eine gewerbliche Nutzung?
Jörg Beste:
Ja, diese Vorgaben gelten weiterhin. Überrascht war ich, dass in Hamburg die ehemalige Kapernaum-Kirche zu einer Moschee umgebaut wird. In anderen Kirchen scheint es also Wege und Möglichkeiten für zusätzliche Lösungen zu geben. In der rheinischen Landeskirche geht es um die Frage der Vereinbarkeit mit der früheren kirchlichen Nutzung. Aber man muss bedenken: Spätestens mit dem dritten Eigentümerwechsel wird es mit einem Einfluss auf die Vereinbarkeit schwierig. Daher plädiere ich dafür, eine nachhaltige gute Nutzung sehr früh, im ersten Schritt, versuchen zu erarbeiten. Gewerbliche Nutzung ist möglich, wenn sie die kirchliche Vornutzung respektiert. Nicht gut gefällt mir persönlich, wenn Nachnutzer die kirchliche Vornutzung benutzen, mit ihr spielen. Beispielsweise wenn eine Gastronomie in einer ehemaligen Kirche einen entsprechenden Namen trägt, und etwa die kirchliche Ausstattung als Reibungsfläche für eine bestimmte Atmosphäre sorgt. Trotzdem kann eine qualitätvolle gastronomische Nutzung adäquat sein. Im Prinzip stellt ein Kolumbarium auch eine gewerbliche Nutzung dar, die allerdings vereinbar ist mit der kirchlichen Vornutzung.

Weshalb sollte die Zukunft von Kirchengebäuden nicht allein in den jeweiligen Kirchengemeinden, -kreisen und -verbänden erörtert werden? Weshalb ist, wie Sie schreiben, eine engagierte, vertrauensvolle und kompromissfähige Zusammenarbeit auch zwischen den beteiligten kirchlichen wie lokalen kommunalen Vertretern unerlässlich?
Jörg Beste: Kirchen stehen in allen unseren gebauten Siedlungen, meist an prominenter Stelle. Zudem versteht sich Kirche als prominenter Teil der Gesellschaft. Für mich ist dieses Verständnis keine Einbahnstraße. Umgekehrt wirkt Gesellschaft in die Kirchengemeinden hinein. Insofern hat die Bürgergemeinde einen Anspruch darauf, den eingeräumten Platz für die Kirche bei einer Veränderung dieses Platzes mitzudiskutieren. In institutionalisierter Form geschieht das mit dem Denkmalschutz. Aber auch bei nicht denkmalgeschützten Gebäuden gibt es bauliche und soziale Qualitäten, die gewahrt werden wollen. Der zweite institutionalisierte Bereich ist das Planungsrecht. Die Kirchengemeinden müssen sich mit den Planungsverantwortlichen abstimmen, wenn sie über die rein kirchliche Nutzung hinausgehen möchten. Darin besteht auch eine Chance für die Kirchengemeinden, sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen, neue Verbündete zu suchen und Interessierte zu finden für das Gebäude und was mit ihm zusammenhängt.

Die Publikation stellt 16 Projektbeispiele konkret vor. Darunter befindet sich die 1968 eingeweihte evangelische Auferstehungskirche mit Gemeindezentrum in Köln-Buchforst, die an das kommunale Wohnungsunternehmen GAG veräußert wurden. Die GAG hat anstelle des niedergelegten Zentrums eine Wohn- und Pflegeeinrichtung für Senioren errichtet. Die denkmalgeschützte Auferstehungskirche wird seit ihrer Instandsetzung als Begegnungs-, Kultur- und weiterhin Gottesdienstraum genutzt. Wie beurteilen Sie den Prozess der Entscheidungsfindung?

Jörg Beste: Positiv hat sich in Buchforst die Bereitschaft der städtischen Planungsverwaltung ausgewirkt, sich intensiv um dieses Projekt zu kümmern. Dies geschah durch die Gründung einer eigenen Planungsgruppe, in der mit anderen natürlich auch Vertretende der Kirchengemeinde und des Kirchenkreises mitgewirkt haben. Leiter dieser Gruppe war der damalige Kölner Baudezernent Bernd Streitberger, was hilfreich war, diese sehr gute Lösung zu finden.

Ebenfalls in Köln wurde vor Jahren die von der Evangelischen Gemeinde Köln aus Kostengründen aufgegebene Kreuzkirche zu einer Jugendherberge umgebaut. Und es gibt weitere jüngere Beispiele von Neuorientierungen von Gemeindekirchen innerhalb des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.
Jörg Beste:
Ja, die fusionierte Evangelische Brückenschlag-Gemeinde Köln-Flittard/Stammheim hat zwei Kirchengebäude abgerissen und mit der Immanuelkirche ein neues gebaut. Ein Beispiel für eine zukünftige Teilumnutzung ist die Christuskirche am Stadtgarten. Eine Nutzungserweiterung findet seit Jahren in der Lutherkirche in Köln-Nippes als Kulturkirche statt. In der Praxis trifft das auch auf die Trinitatiskirche in der Kölner Altstadt-Süd zu, wo der Kirchenverband vielfältige kulturelle Veranstaltungen anbietet.

Die Publikation „Jörg Beste: Kirchen geben Raum, Empfehlungen zur Neunutzung von Kirchengebäuden“, hat die „Landesinitiative StadtBauKultur NRW 2020“ in Gelsenkirchen herausgegeben. Dort ist sie kostenfrei unter der E-Mail-Adresse info@stadtbaukultur.nrw.de zu bestellen. Zur PDF-Version gelangt man hier.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich