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Zum fünften Mal bei den Paralympics mit dabei: Rainer Schmidt, der Pfarrer, der sich ungern geschlagen gibt

Der Pastor auf Medaillen-Kurs
Auf die Olympischen Spiele folgen vom 17. bis 28. September in Athen die Paralympics, das weltweite Sportturnier von Menschen mit Behinderung. Mit dabei: der rheinische Theologe Rainer Schmidt.
Als Rainer Schmidt 1965 zur Welt kommt, lautete die ärztliche Prognose: Er wird nie selbständig leben können und er wird nie einen Beruf haben. Denn von Geburt an fehlen ihm beide Unterarme. Nur am linken Oberarm sitzt ein sehr kleiner Daumenansatz. Auch sein linkes Bein ist verkürzt und muss durch eine Prothese verlängert werden. Rainer Schmidt bezweifelt, ob er heute bei den Möglichkeiten der modernen vorgeburtlichen Diagnostik überhaupt geboren worden wäre: „Viele Mediziner raten Frauen zu einem Abbruch, wenn sie entdecken, dass der Fötus behindert ist. Wer gibt uns das Recht, gottgleich zu entscheiden, welches Leben der Norm entspricht?“

„Ich probiere gern Dinge aus“
Rainer Schmidt hat Freude am Leben, auch wenn er sein Handicap nicht ignorieren kann. Ein eigens konstruierter Metallstab ermöglicht ihm selbstständiges Anziehen, er fährt – ziemlich schnittig – ein Spezialauto, und sein Geschick bei alltäglichen Handhabungen erstaunt Fremde genauso wie seine gestochen klare Handschrift. „Ich probiere gerne Dinge aus und gebe mich erst geschlagen, wenn es trotz allerlei Kniffe einfach nicht klappt.“
Zum Beispiel, als er mit zwölf Jahren anfing, Tischtennis zu spielen. Bei Ferien auf dem Bauernhof durfte Rainer nur die Punkte zählen, wenn andere Kinder sich beim Ping-Pong vergnügten. Ein Mit-Gast kam auf die Idee, ihm den Tischtennisschläger an den linken Arm zu binden. „Solange die andern mich nicht zu heftig auslachen, werde ich’s auf jeden Fall probieren“, beschloss er.
Keiner lacht, und Rainer Schmidt probiert. Jahrelang trainiert er, bis er die bei seinen Gegnern gefürchtete Topspin-Rückhand beherrscht. Heute hat selbst ein guter nicht behinderter Spieler Mühe, ihn zu bezwingen.

Mischung aus Sport, Artistik und Konzentration
Tischtennis, das ist für Rainer Schmidt eine Mischung aus Sport, Artistik und Konzentration, aber vor allen Dingen ein Spiel mit einem Gegenüber. 1983 wurde er in den A-Kader Tischtennis des Deutschen Behindertensportverbands auVielefgenommen. Seit 1984 war er bei zahlreichen Welt-, Europa- und Deutschen Meisterschaften dabei und holte Goldmedaillen im Einzel und mit der Mannschaft.
Dennoch ist der sportliche Erfolg für ihn nicht das Wichtigste: „Viel wichtiger ist mir die Tatsache, dass ich im Verein wie jedes andere Mitglied dazugehöre“, sagt der 39-Jährige, der sich gerade auf die Teilnahme an seinen fünften Paralympics in Athen vorbereitet. Mit seinem variantenreichen Stellungsspiel und einer gehörigen Portion Routine will der Weltranglistenerste, der in der höchsten Schadensklasse der Stehenden spielt, es in Athen noch einmal wissen.
Auch wenn er längst nicht mehr so ehrgeizig und unter Druck an den Start geht wie früher. Das Mehr an Gelassenheit will er denn doch gerne in eine Einzelmedaille ummünzen.

Gleich zwei Berufe gelernt
In Sachen Beruf irrten die Ärzte gründlich. Rainer Schmidt hat sogar zwei Berufe. Er ist Verwaltungswirt – die sichere Beamtenlaufbahn gab er auf und studierte dann noch Theologie. „Angesichts des menschlichen Leidens von Gott reden“, war sein Examensthema. Zum Schlüssel ist für ihn eine Bibelstelle aus der Mose-Geschichte geworden: „Wer hat den Blinden gemacht und den Sehenden? Und wer hat den Tauben gemacht und den Hörenden? Bin ich es nicht, Gott der Herr?“
Für Rainer Schmidt bedeutet der Glaube an den Schöpfer, dass Gott ihn sehenden Auges als gutes Schöpfungswerk gemacht hat. „Ich glaube, dass Menschen groß sind und klein, dünn, farbenblind und natürlich auch behindert. Ich glaube, Gott will, dass das Leben so vielfältig ist und möchte uns befähigen, mit diesen Grenzen umzugehen.“
Die trägt ihn auch dann, wenn er wieder mal bedauert, dass er wohl mit Konfirmanden nie eine Kanufreizeit oder mit Freunden eine Fahrradtour unternehmen wird. Obwohl er das so schrecklich gern täte. Aber ein Tischtennisturnier, ein seelsorgliches Gespräch, eine gute Predigt, das alles kann Rainer Schmidt problemlos bieten.

Anfangs Erstaunen und Befremden
Natürlich musste er anfangs bei Hausbesuchen Erstaunen und Befremden überwinden, weil kaum jemand einen Pfarrer mit einer Behinderung erwartet. Aber oft erlebt er, dass Menschen gerade mit ihm über die Druckstellen, das Leiden und die Versehrtheit ihres eigenen Lebens ins Gespräch kommen.
Seit im April seine befristete Stelle in Bergisch Gladbach ausgelaufen ist, nutzt der Theologe die Zeit zum Training, bietet Manager-Seminare an und schreibt an seinem ersten Buch. In dem will er die eigenen Erfahrungen theologisch und gesellschaftlich reflektieren und seine Lieblingsbibeltexte auslegen. Natürlich ist auch der des sprachbehinderten Mose dabei, der erst zum Sprachrohr Gottes werden kann, als ihm sein Bruder Aron zur Seite gestellt wird.
Und nach den Paralympics in Athen? Dann will Pastor Rainer Schmidt sich auf Pfarrstellensuche machen. Trotz der schwierigen Stellensituation ist er zuversichtlich. Schließlich hat er schon oft genug erlebt: „Ich muss es nur probieren.“ 

Tipp
Das ausführliche Interview von Karin Vorländer mit Rainer Schmidt ist auf den Seiten der EKiR hier nachzulesen.

Text: Karin Vorländer für EKiR
Foto(s): leute/schmidt