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Zum 200. Mal Forum Paul-Gerhardt-Kirche „Kirche trifft Kultur“: Amüsantes Zwiegespräch zum Jubiläum

Vorträge, Diskussionen, Lesungen und Ausstellungen seit 1995 organisiert das Forum Paul-Gerhardt-Kirche „Kirche trifft Kultur“ unterschiedliche Veranstaltungen in der evangelischen Kirche in Lindenthal. Sie bereichern das kulturelle Leben im Stadtteil und bringen, fast schon nebenbei, auch noch Geld ein: zunächst für den Kirchenumbau, zurzeit für die geplante Anschaffung einer gebrauchten Orgel. Nun stand die 200. Ausgabe auf dem Programm: Zu Gast waren der frühere Stadtsuperintendent Ernst Fey und die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Lale Akgün. Ausgehend von ihrem Buch „Tante Semra im Leberkäseland“ entspann sich ein unterhaltsames Gespräch über Migration und kulturelle Unterschiede, das sich wohltuend abhob von der Schwere, mit der diese Themen sonst fast immer behandelt werden.

Einladung zum Rückblick
Walter Ludwigs, Vorsitzender des Forums, begrüßte bei der Jubiläumsausgabe rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer in der evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche. An diesem Abend standen nicht nur die aktuelle, sondern auch die vorangegangenen 199 Veranstaltungen im Blickpunkt: Auf mehreren Tischen hatte Ludwigs seine Ordner mit Flyern, Inhaltsangaben und Notizen zu allen bisherigen Aktionen des Forums Paul-Gerhardt-Kirche ausgelegt. „Und nach der Lesung können Sie sich noch die aktuelle Fotoausstellung ,Bethlehem – Bilder einer Region‘ anschauen“, regte Ludwigs das Publikum an. Eine Aufforderung, der die Anwesenden später gerne nachkamen.

Persönlich und humorvoll
Doch zunächst standen Akgün und Fey im Blickpunkt. „Ich habe keine Lust mehr zu erklären“, stellte Akgün fest. Immer wieder wurde die 1957 in Istanbul geborene Psychologin darauf angesprochen, auf ihre Herkunft, ihre Religion, die türkische Kultur und das Leben in Deutschland. Mit ihrem Buch „Tante Semra im Leberkäseland“ will sie auch Antworten geben auf viele dieser Fragen. Nicht repräsentativ, sondern aus ihrer eigenen persönlichen Erfahrung. „ich habe festgestellt, dass die Leute es durchaus nicht böse meinen, wenn sie mich immer wieder darauf ansprechen. Es ist schon eine Neugier da, man weiß ja nicht viel voneinander“, sagte die 55-Jährige, die seit 2002 im Deutschen Bundestag sitzt. „Sie beschreiben da ein Phänomen, das häufig anzutreffen ist: Menschen, die viel reden, aber wenig zuhören“, kommentierte Ernst Fey diese immer wiederkehrenden Fragen. 1962 kam die Familie von Lale Akgün aus Istanbul nach Deutschland. Wenige Wochen später wurde die Familie bei Nachbarn eingeladen – zu einer Begrüßungsfeier, wie die Neuankömmlinge dachten und sich entsprechend fein kleideten. Dass sie dann in einem Bibelkreis landeten, war nicht das erste amüsante Missverständnis, die Akgün immer wieder in ihrem Buch schildert. „Sie haben mit ihrem Humor bei einem ernsthaften Thema Interesse bei vielen Menschen geweckt. Ihr Buch ist eine Erklärung mit den Alttäglichkeiten des Lebens“, lobte Fey die persönlich gehaltene Auseinandersetzung mit den Themen Migration und Integration.

„Humor öffnet die Herzen“
Dieser Humor gefiel auch den Zuhörerinnen und Zuhörern. Immer wieder wurden die Textpassagen, die Akgün vortrug, von Gelächter unterbrochen, etwa, wenn Akgüns Deutschlehrer die Familie besucht und nicht nur über die schulischen Leistungen mit den Eltern spricht, sondern auch etwas unbeholfen versucht, Benimmregeln in Deutschland zu vermitteln. Oder wenn sie die Weihnachtsfeiern bei einer Nachbarin mit den „Sitzungen einer Karnevalsgesellschaft an Aschermittwoch“ vergleicht. „Wenn man etwas mit Humor darstellt, öffnen sich die Herzen“, so die Erkenntnis der Autorin.

Religiöse Regeln nach eigener Auslegung
Das wurde ganz besonders deutlich, wenn die Sprache auf die Titelheldin, auf Tante Semra, kam. In ihr manifestiert sich die Erkenntnis, dass es neben einem rheinischen Katholizismus auch einen rheinischen Islamismus gibt: Ein Leben nach den religiösen Regeln – aber streng nach eigener Auslegung. Schweinefleisch sei ihr natürlich verboten, so Akgün, „aber gegen Leber und gegen Käse sagt der Koran ja nichts.“ Den Ramadan umgehe die Tante, indem sie dann immer auf Reisen sei, und dabei sei Essen ja erlaubt. „Religion ist etwas für Dummköpfe“, zitierte Fey eine weitere Passage aus Akgüns Buch – wenn es sich um das inhaltsleere Befolgen von Regeln und Vorschriften handele.

Ehe ist die schwierigste Form der Integration
Unterschiede in der Kultur und den Bräuchen werden immer wieder auf humorvolle Weise dargestellt. Auch die viel beschworene Integration betrachtet Akgün mit einem Augenzwinkern. So sei etwa ihre kleine Schwester „perfekt integriert“: Sie verfolgt die Geschehnisse sämtlicher Königshäuser und liebt gemütliche Nachmittage zu zweit. Und überhaupt: „Die schwierigste Form der Integration ist die Ehe. Sie ist ein interkulturelles Abenteuer zweier Menschen mit unterschiedlicher Sozialisation. Wer das schafft, schafft alles.“

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Jörg Fleischer