Angrenzend an das Areal des einstigen jüdischen Gymnasiums Jawne steht der Löwenbrunnen. Mit der Gedenkstätte auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße wird namentlich an über 1.100 deportierte und ermordete jüdische Kinder und Jugendliche aus Köln und Umgebung erinnert. Anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945 luden der Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Jawne e.V. gemeinsam mit dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, der Synagogen-Gemeinde Köln und dem Katholischen Stadtdekanat dort zu einer Gedenkstunde ein.
Ein hebräischer Psalm
Pfarrerin Ulrike Gebhardt begrüßte neben Schülerinnen und Schülern aus Bonn, Köln, Mechernich und St. Augustin auch zwei ehemalige Schüler der Jawne: Kurt Marx, der mit einem „Kindertransport“ nach England gerettet wurde, sowie Ruth-Rebecca Fischer-Beglückter. Sie trug Psalm 79 auf Hebräisch vor, Dr. Rainer Lemaire, vom Schulreferat des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und Mitglied des Arbeitskreises, las die deutsche Übersetzung.
"Seid achtsam und wachsam"
Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes erinnerte an die systematische Verfolgung und Vernichtung von Juden im Nationalsozialismus. „Zu lange wurde weggeschaut, weggehört.“ Nie wieder dürften wir die Augen und Ohren verschließen vor der Wahrheit. Das gelte auch für andere Formen der Ausgrenzung, etwa Mobbing, das die Seele von Menschen verletze. Den Opfern werde die Würde genommen. Das gebe es auch immer öfter in der Schule. „Seid achtsam und wachsam“, bat Scho-Antwerpes die Schülerinnen und Schüler, „werdet auch mal laut. Manchmal ist es gut, ungehorsam zu sein.“
Distanz verhindern
Auschwitz stehe für unermessliches Leid, das oft in Zahlen ausgedrückt werde, so Yaron Engelmayer, Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln. Diese Zahlen und der zeitliche Abstand schafften Distanz. „Wie können wir diese Distanz überwinden, das Gedenken in unsere Zeit mitnehmen?“ fragte Engelmayer. Dazu eigneten sich wunderbar die pädagogischen Projekte am Lern- und Gedenkort Jawne. Mit ihnen würden die Zahlen heruntergebrochen auf Einzelschicksale. Dadurch lasse sich Geschichte hautnah erleben, ein persönlicher Bezug herstellen.
Schüler erinnern
Dies vermittelten auch die engagierten, berührenden Beiträge der Jugendlichen. Schülerinnen der Gesamtschule der Stadt St. Augustin erzählten von ihrer Beschäftigung mit dem Bilderbuch „Tommy“. Bedřich Fritta hatte es zum dritten Geburtstag seines Sohnes Tomáš, genannt Tommy, im Januar 1944 angefertigt. Die Familie war 1941 in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden. Allein Tommy überlebte. In seinen Tusche- und Aquarellarbeiten habe der Vater den von Hunger bestimmten Alltag im Lager skizziert, so die Gesamtschülerinnen. Ebenso, in bunten Farben, ferne Reiseziele geschildert. Abschließend habe der Vater seinem Sohn „Frieden, Sonnenschein, Freiheit, Himbeersaft, kalifornische Früchte“ gewünscht. „Für uns selbst ist das selbstverständlich“, zogen die Vortragenden einen weiteren Vergleich zu ihrem eigenen Leben, ihren Vorstellungen.
Ein jüdisches Ritual
Schülerinnen der AG „Erinnern und Gedenken“ der Hauptschule Mechernich erinnerten an das jüdische Ritual des Kleiderzerreißens. Es drückt Schmerz und Trauer über den Verlust eines Menschen aus sowie die Hoffnung, „dass die Seele ewig weiterlebt und nur das Kleid zerrissen ist“. Einfühlsam versetzten sich die Schülerinnen in die (zumeist) zunichte gemachten Hoffnungen und Wünsche jüdischer Kinder in der NS-Zeit: nicht mehr ausgrenzt zu sein, unbeschwert zur Schule gehen oder den Nachbarn vertrauen können. Diese Wünsche verbanden die AG-Teilnehmerinnen mit symbolhaften Buchstaben, die am Ende das Wort HOFFNUNG ergaben. Schließlich luden sie die anderen Schülerinnen und Schüler ein, sich um den Löwenbrunnen zu versammeln, um der deportierten und ermordeten jüdischen Kinder nicht nur aus ihrer Eifel-Gemeinde zu gedenken.
Foto(s): Engelbert Broich