„Die Volkskirche wendet sich an alles Volk, wie es in der Barmer Erklärung heißt“, begrüßte Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger die Gäste beim Jahresempfangs des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in der vollbesetzten Kartäuserkirche. Damit schlug Seiger einen Bogen zum Gastredner Tom Buhrow, Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Denn auch die öffentlich-rechtlichen Sender würden alle Milieus erreichen wollen, fuhr der Stadtsuperintendent fort. Kommunikation sei die Kernaufgabe Jesu Christi gewesen und in der Nachfolge auch die der Kirche. Zunächst sei es die Sprache gewesen. Dann habe die Kirche immer auch neue Medien genutzt: Bücher, Lieder, Musik, Filme und aktuell eben die neuen digitalen Medien.
„Wohin entwickeln sich Trends? Wo halten sich die Menschen in ihrem Leben auf?“ Das seien Fragen, auf die Kirche und die öffentlich-rechtlichen Sender Antworten finden müssten. Fernsehen spiele für viele Jugendliche heute eine untergeordnete Rolle. „Wir müssen schon froh sein, wenn sie eine Tagesschau-App auf dem Smartphone haben. Filme sind für sie aber weiter wichtig“, so Bernhard Seiger. Die Hetze im Netz habe erschreckende Ausmaße angenommen, beklagte der Stadtsuperintendent. „Das Internet ist aber auch eine Chance für Bildung. Es kann ein Medium der Demokratisierung sein. So unterschiedlich unser Auftrag als Kirche und Rundfunksender auch ist“, wandte sich Seiger nochmals an Buhrow, „so eng verbunden sind wir in der Herausforderung, was die Kommunikation in der Zukunft angeht.“
Digitale Herausforderungen für öffentlich-rechtliche Organisationen
Der WDR-Intendant zollte zu Beginn seines Vortrags der Kartäuserkirche wegen ihrer „wunderbaren Schlichtheit“ Respekt. Die könne Beispiel sein für die Arbeit der Medien: „Die Essenz liegt nicht im Mehr sondern im Weniger.“ Dann ging er auf das Thema des Jahresempfangs ein: „Zwischen alter und neuer Welt: Digitale Herausforderungen für öffentlich-rechtliche Organisationen“. Aber nicht, ohne noch einmal auf die Kartäuserkirche hinzuweisen. „Meine Situation ist ja: Ich stehe hier auf einer Kanzel und spreche. Das ist in der evangelischen Kirche das wöchentliche Brot. Bei den Öffentlich-Rechtlichen ja irgendwie auch. Man spricht zu anderen, und es gibt zwischen Redner und Zuhörenden eine unsichtbare Grenze.“
Ob Predigen noch zeitgemäß sei, laute für auch für den WDR die Frage. Buhrow nannte drei zentrale Herausforderungen für seinen Sender: Die digitale Revolution, den „demografischen Spagat“ und die Verständigung mit Jungen und Alten über eine neue gemeinsame Wertebasis. „Wir leben in einer Zeit des maximalen Umbruchs. Kein Bereich wird ausgenommen. Freizeit und Beruf wandeln sich. Die Medien sind die erste Branche, die davon betroffen ist.“ Manchen gehe die digitale Revolution nicht schnell genug, andere klammerten sich fest an das Alte. „Es gibt eine große Unsicherheit. Das gesellschaftliche Klima ist bissiger und rissiger geworden.“ Umfragen, die der WDR in Auftrag gegeben habe, hätten gezeigt, dass die Menschen auf der Suche nach Orientierung seien und sich ein besseres Miteinander wünschten. Da seien die öffentlich-rechtlichen Sender genauso gefragt wie die Kirchen.
Digitale und traditionelle Angebote
Eine weitere Gemeinsamkeit: „Wir finden nicht mehr Rückhalt bei allen. Wir müssen uns den Rückhalt immer wieder neu erarbeiten.“ Buhrow mahnte hier Bescheidenheit bei den Öffentlich-Rechtlichen an. „Die Menschen wollen nicht bevormundet werden. Wir im WDR möchten die Menschen befähigen, ihre eigene Meinung zu bilden. Teilhabe ist Voraussetzung für eine bessere Gesellschaft. Die Augenhöhe ist entscheidend.“ Aber der Kölner Sender habe weiterhin eine beachtliche Reichweite. „Fernsehen und Radio sind immer noch die am stärksten genutzten Medien. Jeder Zweite in Nordrhein-Westfalen gibt einem unserer Radio-Sender täglich die Chance, ihn in seinem Leben zu begleiten. Auch die Aktuelle Stunde und die Lokalzeit werden von vielen gesehen. Aber es gibt die Jugendlichen, die andere Medien nutzen. Streaming-Dienste, die Mediatheken. Unser Wissenschaftsmagazin Quarks läuft digital sehr gut. Und Dokumentationen funktionieren auf unserem YouTube-Kanal besser als im Fernsehen. Dort haben wir manchmal eine Millionen Zuschauer, digital zwei Millionen.“
Im Netz gebe es keine festen Sendezeitpunkte, und die Nutzerinnen und Nutzer engagierten sich über die Kommentarfunktion: „Die Menschen wollen weiterhin, dass jemand etwas vorgibt in den Medien: Aber sie wollen danach in den Dialog mit uns treten.“ Digitalisierung beim WDR stoße auf die Begrenztheit der Ressourcen. „Im Moment produzieren wir das Programm wie bisher und packen die digitalen Angebote oben drauf.“ Buhrow berichtete von einer Begegnung mit dem Chef vom Otto-Versand. Dessen Firma habe trotz Online-Handels weiter den Katalog gedruckt, um traditionelle Kunden nicht zu enttäuschen, für die der Katalog sehr wichtig gewesen sei. „Der letzte Otto-Katalog wurde 2018 gedruckt. Digitale und traditionelle Angebote sind auch für die Öffentlich-Rechtlichen langfristig nicht möglich“, zog Buhrow Parallelen und ging auf die Kirchen ein: „Wir haben auf der einen Seite die gewachsenen Wünsche, und wir haben auf der anderen Seite die Wünsche derer, die wir gewinnen möchten.“
„Wer sich selbst hasst, kann andere nicht lieben.”
Der ehemalige Frankeich- und Washington-Korrespondent der ARD sparte nicht mit Kritik an der eigenen Journalisten-Zunft: „Wir glauben zu oft, dass wir wissen, für was sich die Leute interessieren sollten“. Man habe sich mit Teilen der eigenen Kundschaft auseinandergelebt. Es gebe eine Vision im WDR, die Buhrow vorangetrieben hat: „Wir wollen, dass wir das Leben jedes Einzelnen jeden Tag ein Stück wertvoller machen.“ Möglicherweise wisse man aber nicht genau, was die Menschen als wertvoll für ihr Leben erachteten, räumte der Intendant ein. Für die einen sei Kultur Goethe, Schiller und Oper, für die anderen Pop-Musik und Graffiti. „Wir fangen mit einem Minus auf dem Konto an“, beschrieb Buhrow das Unterfangen des WDR, Vertrauen und Zuschauer und Zuschauerinnen zurück zu gewinnen.
„Wir müssen den Negativismus überwinden“, erklärte der Intendant und ging damit auf den Vorwurf gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen ein, „voreingenommen zu sein und immer alles schlecht reden zu wollen“. Buhrow forderte aber auch mehr Optimismus und weniger schlechte Laune in der Gesellschaft. „Es kann nicht sein, dass wir an einem Tag als Radfahrer dem Autofahrer verärgert auf die Motorhaube hauen und als Autofahrer am nächsten Tag den Radfahrer wütend anhupen.“ Der Intendant kam noch einmal auf die Kirche zurück: „Die großen Sätze des Christentums lauten: ,Liebe Gott und Deinen Nächsten wie Dich selbst‘.“ Das gelte für Menschen wie für Völker gleichermaßen: „Wer sich selbst hasst, kann andere nicht lieben.“ Die Gäste des Jahresempfangs in der Kartäuserkirche spendete langanhaltenden Beifall.
Plädoyer der Oberbürgermeisterin
Ein leidenschaftliches Plädoyer für die Menschenwürde hatte zuvor die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrem Grußwort gehalten. „Ich bin immer wieder fasziniert: In Köln gibt es 140 Glaubensgemeinschaft. Hier leben Menschen aus 180 Nationen. Köln ist bunt, weltoffen und tolerant. Entscheidend ist der Dialog, den wir alle immer wieder führen.“ Die Oberbürgermeisterin erinnerte an einen zentralen Satz aus dem Grundgesetz, das vor 70 Jahren in Kraft getreten ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sechs Worte, die unsere Geisteshaltung zum Ausdruck bringen. Die sind nicht nur Schranken staatlichen Handelns, sondern ein festes Fundament unserer Gesellschaft.“ Die Menschenwürde müsse das Maß des Handelns sein. Dank der digitalen Revolution seien die Menschen schneller und besser informiert denn je. Zum Schluss warnte und appellierte die Oberbürgermeisterin: „Die Grenze des Sagbaren hat sich verschoben. Worten folgen Taten. Manchmal fürchten wir, dass das Fundament der Menschenwürde in Schieflage gerät. Hass ist kein Gegenmittel gegen Hass. Gewalt, Rassismus, Antisemitismus und Hass haben keinen Platz in unserer Gesellschaft.“
Großen Applaus am Ende des Jahresempfang gab es auch für Marc Jaquet an der Orgel und Heiner Wiberny m Saxophon für die musikalische Begleitung. Bevor Stadtsuperintendent Bernhard Seiger zum Empfang einlud, dankte er in seinem Schlusswort Tom Buhrow dafür, dass er wunderbare Brücken gebaut habe zwischen den Kirchen und den Öffentlich-Rechtlichen. „Wenn es um Menschen geht, ist Demut gefragt. Wir müssen spüren, was gerade dran ist.“
Foto(s): Stefan Rahmann