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Zeichen der Solidarität: Kirchen-Team reiste nach Palästina

An Ostern rückt die Lebensgeschichte Jesu verstärkt in den Blick und damit auch die Region, wo er wirkte: Palästina. So wie damals, ist auch heute dort die politische Lage brisant. Und so wie damals wünschen sich die Menschen Frieden, brauchen Hoffnung. Das erfuhren sechs Mitarbeitende der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach in vielen Gesprächen, als sie jetzt in das von Israel dominierte Gebiet reisten. Ihr Besuch war eine Geste der Freundschaft mit offiziellem Hintergrund: Die Städtepartnerschaft von Bergisch Gladbach und Beit Jala (Infos zur Stadt siehe unten) wurde in der palästinensischen Stadt urkundlich perfekt gemacht – im Beisein des dortigen Ministerpräsidenten Salam Fayyad. Mit dabei auch das Kirchen-Team, das sich der Delegation des Bergisch Gladbacher Bürgermeisters Lutz Urbach anschließen konnte.



Austausch auf Augenhöhe – mit Friedensbotschaften, aber ohne Geld
Diese Städtepartnerschaft hat Ausnahmecharakter: Es ist erst die zweite Städtepartnerschaft einer deutschen mit einer palästinensischen Stadt (wogegen viele Kommunen solch einen Bund mit israelischen Orten geschlossen haben). Vorreiter waren Köln und Bethlehem – vor bereits 16 Jahren! An dieser Städtepartnerschaft schätzt der Bethlehemer Bürgermeister, der die Bergisch Gladbacher Gruppe in seinem Amtssitz empfing, besonders auch die vielfältigen finanziellen Zuwendungen, ohne die manches vor Ort nicht aufrecht zu halten wäre. Dagegen hatte Lutz Urbach gegenüber seinem Kollegen Raji Zeidan von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, dass aus der leeren Bergsisch Gladbacher Kasse kein Geld zu erwarten sei. Vielmehr soll diese neue Städtepartnerschaft auf immateriellen Säulen ruhen. Urbach formulierte in seiner Rede anlässlich der Urkunden-Unterzeichnung im „Beit Jala Community Center“: „In der kulturellen und schulischen Begegnung, im wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch oder ganz schlicht als interessierte Touristen wollen wir Brücken bauen. Ein sehr schönes Beispiel für solche Aktivitäten war das Theaterprojekt im Oktober 2010: Deutsche, palästinensische und israelische Kinder spielten Theater in Beit Jala und in Jerusalem. Dieses Projekt wurde von der evangelischen Kirche, einer Schule und einem privaten Theater getragen.“ Und um seine Worte zu bekräftigen überreichte er sogleich einen Stapel Briefe hiesiger Institutionen wie Krankenhaus und Feuerwehr, die Interesse an einem Austausch auf Augenhöhe haben. Schülerinnen und Schüler aus der ersten und zweiten Klasse der Grundschule Kürten-Olpe hatten im Religionsunterricht Friedensbotschaften gemalt und geschrieben. Die meisten davon wurden Bürgermeister Zeidan übergeben, eine wurde ganz ganz klein gefaltet in die Jerusalem er Klagemauer gesteckt.

Eine echte, aus persönlichen Begnungen erwachsene Partnerschaft
Obwohl der Festakt feierlichen Charakter hatte, von vielen Medien begleitet wurde und durch die Teilnahme und Frieden fordernden Worte des Ministerpräsidenten „geadelt“ wurde, hatte er eine persönlich-freundschaftliche Note. Denn diese Städtepartnerschaft ist nichts am grünen Tisch Beschlossenes, sondern etwas Gewachsenes. Bürgermeister Raji Zeidan und seine Frau Fatin kannten viele Teilnehmer der Bergisch Gladbacher Delegation bereits und begrüßten sie entsprechend herzlich mit langen Umarmungen. Zuletzt war man sich im Januar 2011 begegnet, als Ehepaar Zeidan zum ersten offiziellen Teil der Städtepartnerschaft nach Bergisch Gladbach gereist war: Zur Unterzeichnung der dreisprachigen Urkunde auf deutschem Terrain.

Der „Motor“: Axel Becker
Über zehn Jahre vielfältiger, meist privater Kontakte gingen diesen Unterschriften voraus. Ihr Motor hat einen Namen: Axel Becker, nicht denkbar ohne den Nemen seiner Frau Sabine. Der ehemalige Bergisch Gladbacher Pfarrer und Leiter des Sozialwerks im Evangelsichen Kirchenverband Köln und Region, forcierte im Ruhestand die Verbindungen zu dem palästinensischen Ort, dessen Alltag von vielen Unwägbarkeiten, Schikanen und oft auch Gefahren geprägt ist. Um geistlichen Beistand aus der Ferne zu bieten und die hiesige Öffentlichkeit für die Situation im Nahen Osten zu sensibilisieren, rief er im März 2001 an der Gnadenkirche das monatliche „Friedensgebet für Israel und Palästina“ ins Leben (nach dem Anschlag aufs World Trade Center umbenannt in „Friedensgebet für Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt“). Dass genau zehn Jahre später daraus eine deutsch-palästinensische Städtepartnerschaft entstand, empfanden alle Teilnehmer der Delegation sowie der Gastgeber als beglückend. Zumal der neu gegründete Verein „Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach – Beit Jala e.V.“, dem Axel Becker vorsitzt, künftig für Schwung in den Beziehungen sorgen wird.

Palästinensischer Alltag: Die Mauer
Wie sehr die palästinensische Bevölkerung auf ideelle Unterstützung von außerhalb und auf Kommunikation auf Augenhöhe angewiesen ist, spürte das Team der Gnadenkirche allenthalben. Im Gespräch mit der Schulleitung der christlichen Schule Talitha Kumi genauso wie in der Unterhaltung mit einem Schulrat und lutherischen Kirchenvertreter, in der Diskussion mit einer Rechtsanwältin aus Salam Fayyads Gesetz-Bildungskommission ebenso wie beim Plausch mit Schülerinnen, Taxifahrern, Ladenbesitzern und Passanten in den verwinkelten und oft malerischen Gassen.
Das, was den Alltag der Bevölkerung dominiert und das Kirchen-Team besonders bestürzte, sind die allgegenwärtigen Mauern, mit denen die israelische Regierung palästinensische Gebiete einkesselt, durchtrennt, zerstückelt. Keine Mauern wie jene früher in Deutschland, die von Nord nach Süd verliefen und ein Stück Land simpel als Ganzes abtrennten. Die acht bis neun Meter hohen Mauern der Israelis folgen keiner Linie, sie bilden Kreise und Schlaufen, sie wirken fast wie eine Art Muster nach Art des Schweizer Käses. Diese Mauer können Palästinenser nur an wenigen Checkpoints durchschreiten. Was das bedeutet, bemerken Touristen meist nicht, die in Taxis an den Kontrollstellen durchgewunken werden. Doch die Bergisch Gladbacher wollten erleben, was dieser (bei Berufstätigen oft tägliche) Grenzübergang für die Palästinenser bedeutet, weshalb sie sich eines Morgens unter Führung von Axel Becker zu Fuß auf den Weg ins israelische Gebiet machten. Nach dem Passieren eines schlauchartigen, engen, vergitterten Gangs (ähnlich einem Tiger-Laufgang) und Drehkreuz-Türen, die ein Zurückgehen unmöglich machen, musste man eine Kontrolle à la Flughafen-Sicherheitscheck über sich ergehen lassen. Eine Prozedur von nicht abzuschätzender Dauer, die Geschäftsleute durchaus mit Aktenkoffer in der einen Hand und dem noch nicht wieder angelegtem Gürtel in der anderen zum Bus hinter dem Checkpoint flitzen lässt.

Verbote, zonenweise
Was die meisten Bergisch Gladbacher vor dieser Reise nicht gewusst hatten und was sie sehr bewegte: Nicht nur die Mauern beschneiden die Bewegung, die Freizügigkeit und damit die Kommunikation zwischen Palästinensern und Israelis, sondern auch diverse israelische Gesetze. Sie teilen die palästinensischen Gebiete in die Zonen A, B und C ein – ähnlich einer Zielscheibe, mit A im Zentrum. Alle drei Zonen dürfen Palästinenser nur mit einer israelischen Erlaubnis verlassen. Das gilt für den Besuch der Oma in Jerusalem genauso wie für den Arztbesuch in Tel Aviv, selbst der Bürgermeister muss zu jeder Sitzung auf israelischem Boden, selbst wenn er sie qua Amt besuchen muss, eine Lizenz beantragen. Aber auch Israelis werden von ihrem eigenen Gesetz (nicht von palästinensischer Seite) gegängelt: Sie dürfen nur C-Gebiete uneingeschränkt betreten, für B-Zonen brauchen sie eine Erlaubnis der israelischen Behörden und A-Zonen sind für sie komplett tabu. An den Rändern der Straßen, die sich aus früherer Zeit um die Zonen nicht scheren und die Orte sinnig verbinden, warnen daher am Beginn der A-Zonen große rote Schilder dreisprachig: „Palästinensisches Autonomie-Gebiet – Zone A voraus – Kein Zugang für Israelis – Betreten verboten durch israelisches Gesetz“

Ziel: dass sich „Menschen mit Würde und guten, gerechten Absichten begegnen“
Mauern und das Verhindern von Begegnung: Das Kirchen-Team machte in vielen Gesprächen palästinensischen Menschen Mut, in friedlicher Beharrlichkeit an einem Nebeneinander mit Israel zu arbeiten. Bürgermeister Urbach formulierte das in seiner Rede, die er aus Verständnisgründen auf Englisch hielt, ähnlich vor den Gastgebern und der Presse beim Unterzeichnen der Partnerschaftsurkunden: „Eine Mauer hat die Menschen in Deutschland getrennt und für Unfrieden und Unfreiheit gesorgt. Diese Mauer wurde überwunden – weil Menschen sich friedlich dafür eingesetzt haben, weil Menschen ihre angeborenen Rechte friedlich eingefordert haben. Auch die Mauer zwischen Israel und Palästina ist nicht unüberwindlich.“ Er erinnerte an die NS-Vergangenheit Deutschlands und meinte: „Daher rührt unsere Sympathie mit dem Staat Israel.“ Vielleicht rührt aus dieser Geschichte auch das Verlangen, anderen Völkern eine ähnliche Erfahrung der Knechtschaft, Entwürdigung und Unfreiheit zu ersparen, die nächsten Generationen die Schuld aufbürdet, sinnierte das Team der Gnadenkirche. Der Bürgermeister wünschte sich, „dass die angeborenen Rechte der Menschen überall respektiert werden, dass sich die Menschen mit Würde und guten, gerechten Absichten begegnen, dass sie trotz aller Unterschiede den anderen als gleichberechtigt sehen, dass sie sich gegenseitig vertrauen können und in diesem Vertrauen die Zukunft gestalten. Für diese Ziele setzen wir uns alle ein.“ Im Hinblick auf die Mauer präzisierte er: „Wir hoffen, dass diese Mauer immer wieder mit friedlichen Brücken überwunden wird, bis sie einmal völlig niedergerissen wird. Wir glauben daran, dass dies möglich ist, weil die Menschen hier und dort in Frieden leben wollen. Für uns ist es wichtig, dass es heißt: Palästina und Israel, es gibt kein „oder“! Darum wünschen wir uns auch eine Partnerschaft mit einer israelischen Stadt gemeinsam mit Beit Jala.“

Infos zu Beit Jala
Beit Jala grenzt an Bethlehem und liegt zehn Kilometer von Jerusalem entfernt in der „Westbank“, die seit über 40 Jahren von Israel besetzt und kontrolliert wird. 15 000 Menschen leben in der Stadt, 60 Prozent davon sind Christen. Es gibt acht Schulen, Internate, Universität, Musikakademie, Priesterseminar, Einrichtungen für Behinderte, Seniorenhaus… Bekannt sind das köstliche Olivenöl aus Beit Jala, traditionelle Stickereien und Steinbrüche. Durch die Mauern, die Israel auf palästinensischem Gebiet baut, hat die Stadt inzwischen ein Drittel ihrer Fläche verloren, etliche Olivenhaine lassen sich nicht mehr erreichen und bebauen.

Weitere Informationen
Die Rede des Bergisch Gladbacher Bürgermeisters Lutz Urbach im Wortlaut hier.
Ein kleiner Film vom Festakt zur Unterzeichnung der Städtepartnerschafts-Urkunde hier.
Januar 2011 war Beit Jalas Bürgermeister zu Gast in Bergisch Gladbach – mehr darüber hier

Text: Ute Glaser
Foto(s): Glaser