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Wolfgang Bosbach: „Die Kirche unterschätzt ihren Einfluss“

Nicht unter dem Bundesadler des Bundestagsgebäudes in Berlin, sondern unter den segnenden Christushänden in der Bergisch Gladbacher "Kirche zum Heilsbrunnen" kam Wolfgang Bosbach kürzlich zu Wort.

Podiumsgespräch zur Lutherdekade
Dabei symbolisierte seine Person schon fast das Thema, um das es an diesem Juni-Sonntagabend ging: „Reformation und Politik“. Der Bundestagsabgeordnete war vom evangelischen Pfarrbezirk zum Podiumsgespräch eingeladen worden im Rahmen der Veranstaltungen zur Lutherdekade 2008 bis 2017. Als Bundespolitiker und Vorsitzender des Innenausschusses, als katholischer Christ und als „Junge“ der Stadt Bergisch Gladbach verkörperte der CDU-Mann das ideale Gegenüber für Pfarrer Achim Dehmel und Moderatorin Susanne Schlösser.

Heimspiel als Katholik
„Sie merken, Sie haben auch als Katholik hier ein Heimspiel“, stellte der Pfarrer gleich zu Beginn im vollbesetzten Saal fest, nachdem Wolfgang Bosbach leicht verspätet nach einem Sturz eingetroffen war. Doch so leicht ficht den Talk-Versierten nichts an. Er zeigte sich gesprächig wie gewohnt – nur ab und zu blitzte ein Pflaster unter seinem Hosensaum auf.

Glaube an die Kraft des Gebets
In den drei Themenblöcken des Abends ging es zunächst um den Privatmann Bosbach, seine Haltung zu Gott und seinen Weg zur Politik. Die Zuhörer erfuhren, dass der Bergisch Gladbacher „eine sehr behütete Kindheit“ genoss und seine Eltern mit 86 und 92 Jahren „noch putzmunter“ sind. „Der Glaube hat eine große Rolle bei uns gespielt, weil meine Mutter evangelisch und mein Vater katholisch ist“, erzählte Bosbach. Bei der Heirat 1948 sei das so ungewöhnlich gewesen, dass seine Großeltern zur Hochzeit nicht gekommen seien, auch nicht zur Taufe der älteren Schwester, sondern erst zu seiner Taufe. Wie die Eltern, so praktiziert auch Wolfgang Bosbach seinen Glauben, er besucht regelmäßig donnerstags die Andacht im Andachtsraum des Bundestagsgebäudes und glaubt an die Kraft des Gebets. Dennoch: „Die Beziehung zum lieben Gott hat Höhen und Tiefen gehabt.“

"Tätiges Mitmachen" gefordert
Zur Politik sei er, der als Kind noch in Bunkern gespielt habe, zum Einen durch den Eichmann-Prozess gekommen. „Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen?“, habe er sich als junger Mensch angesichts der Hitler-Zeit und deren Verbrechen gefragt. Zur Parteipolitik habe ihn dann die Debatte über den Paragrafen 218 gebracht. „Für mich haben Lebensschutzfragen immer eine besondere Rolle gespielt.“ Das gelte bis heute und für das ungeborene Leben genauso wie für Menschen auf Palliativstationen. In jedem Fall sei tätiges Mitmachen wichtig, anstatt über der Frage „Was kann der Einzelne machen?“ zu brüten. „Wenn jemand so denkt, passiert nichts.“ Im Übrigen stellte er im Verlauf des Abends fest, dass politisches Engagement eine Aufgabe sei, die man mögen müsse und nicht unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt betrachten dürfe – das „bringt nix“. Denn: „Dankbarkeit gibt es in der Politik nicht.“

Luthers Erbe und die Euro-Krise
Der zweite Themenblock widmete sich „Reformation und Politik“. Susanne Schlösser zitierte einen Bericht, der behauptete, die reformatorisch geprägten Nord-Staaten Europas seien stabiler in der Euro-Krise – und damit habe Luthers Erbe womöglich einen positiven Einfluss aufs Finanzgebaren. Wolfgang Bosbach sah das skeptisch: „Ob sich die Euro-Krise, die eine Staatsschuldenkrise ist, bis Martin Luther zurückführen lässt? Das ist mutig.“

Zu wenig Menschen in der Kirche
„Wie schätzen Sie Luther ein?“ Ganz im Sinne der Zuhörer antwortete Bosbach: „Er hat sich selbst als Reformator gesehen“ und sei „vielleicht ein Revolutionär wider Willen“. Auf die Frage, ob es heute wieder einen Reformator brauche, meinte der populäre Gast, dass er „ein gesundes Selbstbewusstsein von uns Christen“ für notwendiger halte. „Meine Sorge ist nicht, dass zu viele Muslime in die Moschee gehen, sondern dass zu wenig Menschen in die Kirche gehen.“ Es sei wichtig, zu Überzeugungen zu stehen, auch durchaus zu Unterschieden. „Ich habe das Gefühl, wir relativieren zu viel.“

10.000 Briefe im Jahr
„Du lässt niemand links liegen“, erinnerte Susanne Schlösser an die vielen Fragen, die der Gladbacher Politiker derzeit beantwortet. „Ist das eine Form von christlicher Nächstenliebe?“ „Jedenfalls nicht bewusst“, antwortete Wolfgang Bosbach, der auch an diesem Tag sechs bis sieben Stunden Briefe beantwortet hatte, die am nächsten Tag getippt werden würden. Ihm gehe es vor allem darum, ein positives Bild der Politik zu zeichnen, und dies gelinge „nur durch praktische Tätigkeit“. In seinen 42 Jahren politischer Aktivität habe er deshalb alle Anfragen stets ernst genommen, auch wenn er manchmal den Kopf geschüttelt habe. Dieses „offene Ohr“ spricht sich offenbar herum, denn fast 10.000 Briefe und rund 1.000 Einladungen erhält Bosbach pro Jahr. Selbst aus den USA kam kürzlich ein Hilferuf, ob er nicht bei der Suche nach einer Tumor-Behandlung helfen könne.

Arbeit oft nicht sichtbar
„In der Politik geht es um Vertrauen. Wir können uns drum kümmern. Und wo es nicht geht, können wir es erklären.“ Trotzdem habe er gelernt: „Bosbach, du kannst machen, was du willst, du kannst es nicht allen recht machen.“ Sogar nach seinem Spendengewinn bei „Wer wird Millionär“ habe er bitterböse Briefe bekommen von Leuten, die das Spendengeld für andere Zwecke verwendet sehen wollten. Auch wenn er in TV-Shows und Presse-Interviews fast Dauergast ist, gilt: „Der absolut größte Teil meiner Arbeit ist absolut unsichtbar.“

Kirche "äußerst sachkundig"
Der dritte Gesprächsblock widmete sich „Kirche und Politik“. „Ich bin mit meiner Evangelischen Kirche bestimmt nicht immer ganz glücklich“, verriet Pfarrer Dehmel und wollte wissen, wie Politiker kirchliche Aussagen auffassten. „Ich glaube, dass die Kirche ihren Einfluss unterschätzt“, antwortete Bosbach. „Wir hören sehr genau hin, was die Kirche sagt.“ Während andere von Lobbyismus sprächen und diesen anprangerten, sehe er das „nicht so kritisch“. Es gebe viele Lobbyisten, die ein allgemeines Interesse verträten und äußerst sachkundig seien. Dazu gehörten die Kirchen, die bei Themen wie Asylverfahrensrecht, Flüchtlingsschutz oder Lebensschutzrechten wertvolle Beiträge lieferten. Deshalb säßen Vertreter beider Kirchen bei solchen Themen auch als Sachverständige in Ausschüssen.

Gegen Kritik an Kirchensteuer
Die Kritik an der Kirchensteuer ist Wolfgang Bosbach vertraut, kein Tag ohne sie. Dennoch gebe es keine Bestrebungen, sie abzuschaffen, da alle Seiten profitierten – Kirche, Staat, selbst Nicht-Kirchler. Denn ohne Kirchensteuer müsse der Staat Milliarden an die beiden großen Kirchen zurückzahlen und viele soziale Aufgaben selbst schultern, vermutlich ohne das Heer kirchlicher Ehrenamtler. „Ich wette, das würde nicht preiswerter.“

"Wir machen alles zur Katastrophe"
Etliche Zuhörer nahmen am Ende des Podiumsgesprächs die Gelegenheit wahr, dem Bundestagsabgeordneten Antworten zu kritischen Themen zu entlocken. In puncto Verbraucherschutz plädierte er für Transparenz (Gen-Veränderung ja, aber Kennzeichnung der Produkte) und als Heilmittel gegen Politikverdrossenheit für „offenen, ehrlichen Umgang“. Die Relevanz von TV-Shows, von denen er einige hundert absolviert hat, stufte er als ambivalent ein: „Es ist keine Bereicherung für die Fernsehlandschaft. Aber es gibt keine bessere Möglichkeit, in wenigen Minuten so viele Menschen zu erreichen." Kritisch sah Bosbach „den Hang zur Dramatisierung“ in Presse und Bürgerschaft. „In Deutschland werden keine Fehler gemacht, es sind alles Skandale. Auch unter der Katastrophe tun wir es nicht.“ Je reißerischer eine Überschrift, desto mehr Klicks im Internet. „Da müssen wir vorsichtig sein, dass sich da nichts verschiebt. Wenn wir alles zur Katastrophe machen, übersehen wir die richtigen Katastrophen.“

Lutherlieder als musikalische Zwischenstücke
Das Gegenteil einer Katastrophe waren die wunderbaren musikalischen Zwischenstücke, die Organistin Hae-Kyung Choi zu Gehör brachte. Am neuen Flügel der Kirche brachte die Musikerin (mit Doppel-Diplom der Musikhochschulen Detmold und Köln) Lutherlieder zu Gehör, die sie neu arrangiert und interpretiert hatte – beispielsweise „Nun freut euch, liebe Christen g’emein“. Und das taten die Zuhörenden, wie ihr anhaltender Applaus zeigte, unter dem Wolfgang Bosbach ein „Bergischer Präsentkorb“ überreicht wurde.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser