You are currently viewing Woche der Diakonie: Warum Schuldnerberatung wichtiger denn je ist – Interview mit Maike Cohrs
Maike Cohrs

Woche der Diakonie: Warum Schuldnerberatung wichtiger denn je ist – Interview mit Maike Cohrs

Die bevorstehende Aktionswoche vom 8. bis 16. Juni 2024, die unter dem Motto #einefüralle steht, stellt eine tolle Gelegenheit dar, diakonischen Angebote der Region kennenzulernen. Eröffnet wird die Woche der Diakonie am 8. Juni im Rahmen der Synode des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd und findet ihren Abschluss am 16. Juni 2024. Während dieser Aktionswoche sind Sie herzlich eingeladen, an den Veranstaltungen von Diakonie und Kirche teilzunehmen.

Das vollständige Programm zur Woche der Diakonie können Sie hier herunterladen.

Neben der Flutkatastrophe ist die Schuldnerberatung eines der beiden Hauptthemen der Woche. Wir sprachen mit Maike Cohrs, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonisches Werk Köln und Region gGmbH, über Auswirkungen der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen auf die Menschen und wie die Schuldnerberatung helfen kann, wie steigende Preise und Schuldenfallen den Alltag vieler Menschen belasten und warum die Arbeit der Schuldnerberatung wichtiger denn je ist.

Angesichts der steigenden Preise durch die Energiekrise, Inflation und teurere Lebensmittel: Wie viele Menschen sind davon betroffen?

Maike Cohrs: Es lässt sich nicht an Zahlen festmachen, wie viele Menschen aktuell von den steigenden Kosten betroffen sind. Alle Menschen spüren sehr deutlich, dass alles teurer geworden ist, egal welches Einkommen ihnen zur Verfügung steht. Menschen mit geringem Einkommen und besonders Familien spüren die Steigerungen sehr. Wenn die finanziellen Mittel schon vor dem Angriffskrieg und seinen Folgen eingeschränkt waren und ein Haushalt wenig Spielraum für Sonderausgaben hatte, dann ist es aktuell sehr schwer, mit dem Einkommen auszukommen. Wenn wir mit den Ratsuchenden einen Haushaltsplan erstellen, um beispielsweise nicht notwendige Ausgaben zu finden, fällt auf, dass die meisten Menschen in der Beratung bereits alles Unnötige eingestellt haben und dass es keine frei verfügbaren Beträge im Haushaltsbudget gibt. Das war vor den gestiegenen Preisen anders.

Können Sie Beispiele nennen, wie Menschen in die Schuldenfalle geraten? Welche typischen Schuldenfallen gibt es?

Maike Cohrs: Die klassischen Überschuldungsursachen sind Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit und generell die Einkommensreduzierung durch nicht vorhersehbare Ereignisse. Aktuell stellen wir fest, dass auch der Verschuldungsgrund „Inflation“ an Bedeutung gewinnt. Menschen, die bisher mit ihrem Einkommen auskamen, können Raten und andere Zahlungsverpflichtungen nicht mehr einhalten und geraten in Schwierigkeiten. Eine klassische Schuldenfalle ist das Leben aus dem Dispo und das Umschulden bei gleichbleibendem Einkommen. Wenn jemand nicht mit seinem Geld auskommt und ständig den Dispo in Anspruch nehmen muss, kann er bei einer Umschuldung auch keine zusätzliche Rate für einen Kredit bedienen. Der Dispo wird wieder in Anspruch genommen, das Darlehen aufgestockt, usw. Irgendwann kann das Darlehen nicht mehr bedient werden und die Menschen geraten in Schwierigkeiten, weil die Darlehensraten bedient, aber die wichtigen Ausgaben wie Miete und Energie nicht mehr gezahlt werden können. Dann kommen wir ins Spiel.

Wie sehen weitere Schuldenfallen aus?

Maike Cohrs: Bezahldienste wie Klarna und Co. stellen eine neue Schuldenfalle dar. Das Buy-now-pay-later-Prinzip kann dazu führen, dass die Menschen den Überblick verlieren und zahlreiche Raten bedienen müssen. Es ist verlockend, etwas zu kaufen und erst in 30 Tagen oder später zahlen zu müssen. Manchmal werden aber auch dringend benötigte Gebrauchsgegenstände benötigt. In der Beratung erleben wir das besonders bei jüngeren Menschen, die 20 bis 30 Ratenzahlungen bedienen sollen, aber sehr wenig Einkommen haben. Der Überblick ist komplett verloren gegangen. Die bundesweite Aktionswoche der Schuldnerberatungsstellen beschäftigt sich 2024 mit diesem Thema.

Was sind die Warnsignale, die darauf hinweisen, dass man Schuldnerberatung in Anspruch nehmen sollte? Ab wann sollte man diese kontaktieren?

Maike Cohrs: Wenn man das Gefühl hat, dass das Einkommen die Ausgaben nicht deckt, sollte man genau schauen, wie viel man im Monat ausgibt und vielleicht auch das klassische Haushaltsbuch führen (das gibt es auch digital oder als App). In den meisten Fällen kann das schon helfen, bewusster mit dem zur Verfügung stehenden Geld umzugehen. Wenn sich aber zeigt, dass man seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, weil das Einkommen nicht ausreicht, sollte ein Sozialleistungsanspruch geprüft werden.

Welche Möglichkeiten gibt es?

Maike Cohrs:  Kinderzuschlag, Wohngeld oder Bürgergeld sind hier nur einige Möglichkeiten. Die Schuldnerberatung kann frühzeitig in Anspruch genommen werden. Wir unterstützen auch bei der Haushaltsplanung und freuen uns, wenn eine Überschuldung vermieden werden kann. Wir prüfen auch, ob Forderungen zu Recht bestehen oder ob es Möglichkeiten gibt, sich gegen Inkassounternehmen mit überteuerten Kosten zu wehren.

Ist die Schuldnerberatung immer noch ein Tabuthema? Haben sich hier positive Veränderungen gezeigt?

Maike Cohrs: „Über Geld spricht man nicht“ ist leider nicht nur als Redewendung fest in der Gesellschaft verankert. Während und nach der Pandemie hat die Schuldnerberatung als Angebot mehr Aufmerksamkeit in der Bevölkerung bekommen. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren und sahen sich finanziellen Problemen ausgesetzt, mit denen sie nicht gerechnet haben. Leider ist das Angebot der Schuldnerberatung nicht bei allen Menschen bekannt. Die Dunkelziffer derer, die finanzielle Probleme haben und Hilfe benötigen, ist hoch. Bei ca. 6 Millionen überschuldeten Menschen in Deutschland erreichen wir mit unserem Angebot nur einen Bruchteil. Wir arbeiten aber auch so schon an unseren Kapazitätsgrenzen und können nicht allen Menschen, die einen Beratungstermin vereinbaren wollen, Hilfe anbieten. Der bedarfsgerechte Ausbau der Schuldnerberatung auf Bundesebene ist ein großes Anliegen der Wohlfahrtsverbände. Das Recht auf Schuldnerberatung sollte garantiert und gesetzlich verankert werden. Bis dahin versuchen wir mit unserem zur Verfügung stehenden Personal, Menschen wieder eine Perspektive zu bieten. Dass unsere Beratung wirkt, sehen wir an den positiven Entwicklungen der Ratsuchenden und der Dankbarkeit, weil wir Wege aus einer Situation aufzeigen, die ausweglos schien.

Text: APK
Foto(s): Maike Cohrs