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„Wir wollen Frieden. Dafür müssen wir was tun.“

Köln kennt zwei regelmäßige Veranstaltungen zum nationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Jede mit eigenem Charakter. Während an der Kindergedenkstätte Löwenbrunnen Schülerbeiträge das „Herzstück“ bilden, ist die mit einem Mahngang verbundene zentrale Gedenkstunde „Erinnern – eine Brücke in die Zukunft“ in der evangelischen Antoniterkirche geprägt von einer eingehenden Textcollage und Musik.

In ihrer Begrüßung am mit Tulpen geschmückten Löwenbrunnen bezeichnete Pfarrerin Ulrike Gebhardt es als ein besonderes Zeichen, dass es jedes Jahr gelinge, die Gedenkstunde für die aus Köln und Umgebung deportierten und ermordeten Kinder in Kooperation von Synagogen-Gemeinde Köln, Katholischem Stadtdekanat und Evangelischem Kirchenverband Köln und Region in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ durchzuführen.

Gegen Rassismus und Antisemitismus vorgehen
Der stellvertretender Stadtsuperintendent Markus Zimmermann dankte den Heranwachsenden für ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Holocaust. Die Notwendigkeit des Gedenkens verband er mit der Aufforderung, ganz offensiv gegen Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. Bei menschenverachtendem Sprechen und Handeln müsse unsere Gesellschaft frühzeitig die Reißleine ziehen, betonte auch Bürgermeister Hans-Werner Bartsch (CDU) in seinem Grußwort. Die Erinnerung an die Nazi-Gräuel müsse wachgehalten, in den Schulen die Kenntnis über deren Ursachen vermittelt werden, um das Wissen heute und zukünftig einsetzen zu können.

Besondere Geschichtsstunde
Mädchen und Jungen der Gemeinschaftsgrundschule Mülheimer Freiheit (Rheinschule) berichteten, was sie am „Lern- und Gedenkort Jawne“ über das Judentum erfahren haben. Mitorganisator Dr. Rainer Lemaire, evangelischer Schulreferent und im Jawne-Arbeitskreis engagiert, hatte zuvor erläutert, dass es zum Verstehen anderer Menschen und Religionen grundlegend sei, etwas über den anderen zu wissen. Neuntklässler des Kölner Schiller-Gymnasiums erzählten von einem Besuch der Zeitzeugin Henny Franks. Die heute 94-jährige Jüdin konnte Anfang 1939 ihre Geburtsstadt mit einem Kindertransport nach England verlassen. Sehr sympathisch fand es einer der Vortragenden, dass Franks auf alle Fragen geantwortet habe, auch auf die „traurigen“. Sie habe sehr offen gesprochen und mit ihrer Lebensfreude beeindruckt. „Sehr schön, dass sie sich immer noch als ´kölsch Mädchen´ empfindet. Wir werden uns immer an diese besondere Geschichtsstunde erinnern“, schloss der Schüler.

Bedrückung und Befangenheit
Drei Schülerinnen des 9. Jahrgangs des Aggertal-Gymnasiums in Engelskirchen trugen Kindheitserinnerungen von Ruth Fischer-Beglückter an die dreißiger Jahre vor. Ende 1938 konnte das jüdische Mädchen mit ihrer Mutter nach Chile ausreisen. „Als ob mich etwas nicht Sichtbares bewachte“, hat die seit 1982 als Malerin wieder in Köln lebende und vor kurzem 90-jährig nach Spanien übergesiedelte ehemalige Jawne-Schülerin einmal ihre Bedrückung und Befangenheit beschrieben, die die zahlreichen Verbote für Juden hervorriefen. Ihnen sei auch der Zutritt in Schwimmbäder untersagt gewesen – und Fischer-Beglückter habe sich gefragt, so die Schülerinnen, was sie denn von den anderen unterscheide. Fischer-Beglückter, viele Jahre Mitwirkende der Gedenkstunden am Löwenbrunnen, drückte in einem von Lemaire rezitierten Brief ihre „tiefe Dankbarkeit für die Durchführung der Gedenkveranstaltung“ aus und hob die Bedeutung „des Nichtvergessens“ hervor.

„Der Name ist wie eine gute Wolke.“
Der Löwenbrunnen sei ein Ort, wo viele ermordete Kinder einen Namen erhielten, sagte Bettina Levy, Mitglied der Gemeindevertretung der Synagogen-Gemeinde Köln. „Der Name hat im Judentum eine besondere Bedeutung. Der Name ist wie eine gute Wolke, die durch das Leben begleitet.“ Sie schlug vor, dass die Heranwachsenden je einen der über 1100 Namen auf den Brunnentafeln „mitnehmen“, an das Kind denken sollten, und an die Aufgaben, die es nicht mehr erfüllen könne. „Ihr könnt das, was dem Kind passiert ist, zukünftig verhindern“, forderte sie auf, Mut zu zeigen.

Psalmen und Friedensgebete
Wie zuvor Zimmermann sprach Binyamin Munk, Kantor der Synagogen-Gemeinde Köln, einen Psalm. Ergriffen folgten die Teilnehmenden zudem Munks Vortrag des jüdischen Gebetes „El Male Rachamim“ („Gott voller Erbarmen“) mit Ergänzungen zum Gedenken an die Opfer der Shoa. Stadtdechant Monsignore Robert Kleine betete ein in das katholische Gesangbuch aufgenommenes jüdisches Friedensgebet sowie das Gebet für den Frieden zwischen den Religionen von Papst Johannes Paul II.

„Wir alle können das Gedenken mitgestalten.“

Zur Gedenkstunde in der Antoniterkirche begrüßte Pfarrer Mathias Bonhoeffer unter den rund 250 Gästen auch die Holocaust-Überlebende Tamar Dreifuss. „Umgang mit der Vergangenheit. Geschichte und Bedeutung der Erinnerungskultur in Köln“ hatte die das „breite gesellschaftliche Bündnis der Veranstalter“ vertretende Projektgruppe Gedenktag das Programm überschrieben. „Wir alle können das Gedenken mitgestalten“, rief Bürgermeister Andreas Wolter (Die Grünen) in seinem Grußwort auf. Es liege an jedem von uns, die Erinnerung lebendig zu halten. Es gelte, Heranwachsenden den Wert von Erinnerung, von Toleranz und Respekt zu vermitteln. Noch heute müsse man die Entschädigung von Opfergruppen in der NS-Diktatur einfordern, kritisierte Wolter eklatante Versäumnisse. Abschließend riet er, über unsere bisherigen Formen des Erinnerns nachzudenken.

Erinnerungspolitischer Wandel
Dass sich in Köln das Gedenken an die NS-Opfer seit 1945 mehrmals gewandelt, dass sich insgesamt das Bewusstsein, der Umgang mit der NS-Vergangenheit und den Tätern verändert hat, verdeutlichte die von Maria Ammann, Markus Andreas Klauk, Doris Plenert und Stefan Preiss gesprochene Textcollage. Zwischen den Passagen interpretierte Katharina Müther am Akkordeon einfühlsam, bewegend jiddische Lieder. Das „frühe Gedenken an die NS-Opfer wird in der Stadt bald von einem allgemeinen Totengedenken überlagert und verdrängt, das sich ´allen Opfern´ zuwendet“ – deutschen Soldaten, Bombenopfern, Vertriebenen, so die Sprechenden. „Mit diesen Gedenkformen stilisiert sich der Großteil der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu Opfern von Krieg und Nationalsozialismus.“ Fragen von Schuld und Verantwortung habe man ebenso ausgeblendet wie die Opfer der NS-Verbrechen.

Kämpfer gegen Vergessen und Verdrängen
Meist hätten sich Einzelne oder Verfolgtengruppen besonders für eine andere Erinnerungskultur eingesetzt und dafür die Öffentlichkeit gesucht. Zu ihnen zählte der 1983 verstorbene Walter Kuchta, Kommunist im Widerstand, später Leiter der Geschichtskommission der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der er ein umfangreiches Archiv hinterließ. Als einen der Kämpfer „gegen das Vergessen und Verdrängen der Verbrechen“ würdigte die Veranstaltung ebenso den Sozialdemokraten Sammy Maedge. Früh habe er die Einrichtung einer Gedenkstätte im ehemaligen Gestapogebäude EL-DE-Haus gefordert und die Straffreiheit von NS-Verbrechern angeprangert. Doch sein Engagement sei kaum gewürdigt, Maedge auch von der Justiz als Querulant diffamiert worden. Gleichwohl habe er den Kampf Mann gegen Behörde gewonnen. Heute ist etwa die professionelle Arbeit des NS-Dokumentationszentrums im EL-DE-Haus nicht mehr wegzudenken.

„Stolperstein“-Projekt
Zur Sprache kam ebenso das Engagement von Serge und Beate Klarsfeld, den ehemaligen Kölner Gestapoleiter Kurt Lischka, der später in Frankreich mitverantwortlich für die Deportation von mindestens 73.000 Juden war, vor Gericht zu bringen. Dieser Prozess habe ein grelles Licht auf die zuvor zurückhaltende Verfolgung von Naziverbrechern geworfen. Gunter Demnigs 1990 begonnene Aktionen in Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma sowie sein heute europaweit verbreitetes „Stolperstein“-Projekt wurden als „neue Formen“ des Gedenkens vorgestellt.

Mahngang mit Tamar Dreifuss
Der abschließende Mahngang führte zum 2006 von der privaten Initiative „Die Bahn erinnern" aufgestellten Mahnmal „Schwelle der Erinnerung“ am Hauptbahnhof. Dort sprach Tamar Dreifuss. Ihr Schicksal als Überlebende des Ghettos im litauischen Wilna, die an der Hand ihrer mutigen Mutter Jetta aus einem Durchgangslager für deportierte Juden fliehen konnte, war bereits in der Antoniterkirche angesprochen worden. Ebenso ihr selbstgestellte Aufgabe, insbesondere junge Menschen über die Geschehnisse zu informieren. Dieser Motivation und der Arbeit mit Schülern und Jugendlichen verdankt sich auch ihr 2010 veröffentlichtes, auf große Resonanz gestoßenes Kinderbuch „Die wundersame Rettung der kleinen Tamar 1944“. Es erweitere das Denken von Heranwachsenden, lautete eine der Reaktionen. In ihre Seelen habe sie das Wissen über Rassismus gepflanzt.

„Wir wollen Frieden“
„Erinnerung ist der Weg in die Zukunft“, betonte Dreifuss am Hauptbahnhof. „Meine Mutter war alles für mich“, erzählte sie von deren Überlebenswillen. Mit Bedauern stellte sie fest, dass das Mahnmal „Schwelle der Erinnerung“, dessen Patin sie sei, unverändert ein Schattendasein führe. „Es soll von weitem den Eingang des Bahnhofs ein bisschen behindern“, nannte Irene Franken das Ziel der Initiative. Schließlich stimmte Dreifuss mit Münther ein jüdisches Volks- und Friedenslied an. „Wir wollen Frieden. Dafür müssen wir was tun“, so die Holocaust-Überlebende.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich