Die Botschaft des Stadtsuperintendenten war unmissverständlich: „Krisen brauchen Worte, keine Beschwichtigungen“, sagte Dr. Bernhard Seiger zu Beginn der Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in der vollbesetzten Trinitatiskirche.
Er berief sich auf den Kommentar zum Römerbrief von Karl Barth, der 1919 erschienen war. „Aufrüttelnd in einer ganz und gar theologischen Sprache. Man kommt daran nicht vorbei“, ergänzte Seiger. Karl Barth stand im Mittelpunkt der Reformationsfeier unter dem Motto „Wer ja sagt, muss auch nein sagen!“.
So lautete denn auch die Überschrift der Predigt von Dr. Michael Weinrich, bis 2015 Professor für Systematische Theologie an der Universität Bochum. Weinrich nahm die Gäste in der Trinitatiskirche mit in die Zeit vor 100 Jahren. „Er war Pfarrer. Seit 1911 war er Pfarrer in der Bauern- und Arbeitergemeinde Safenwil im Kanton Aargau in der Schweiz. Im Januar 1916 überraschte der nun beinahe 30-jährige Karl Barth in einem Gemeindevortrag im benachbarten Städtchen Aarau sein Publikum mit einer provozierenden Frage: ‚Was soll all das Predigen, Taufen, Konfirmieren, Läuten und Orgeln? All die religiösen Stimmungen und Erbauungen, all die sittlich-religiösen Ratschläge den Eheleuten zum Geleite, die Gemeindehäuser mit und ohne Projektionsapparat, die Anstrengungen zur Belebung des Kirchengesanges, unsere unsäglich zahmen und nichtssagenden kirchlichen Monatsblättlein und was sonst noch zu dem Apparat moderner Kirchlichkeit gehören mag! Wird denn dadurch etwas anders in unserem Verhältnis zur Gerechtigkeit Gottes? Erwarten wir auch nur, dass dadurch etwas anders werde?“
Die Frustration Barths wegen der „gemächlichen Kirchlichkeit“ sei deutlich spürbar, so Weinrich. Aber Barth gehe noch einen Schritt weiter: „Er attackiert nicht nur die harmlose Mittelmäßigkeit und Schwerfälligkeit des durchschnittlichen Gemeindelebens.
Vielmehr wird er beunruhigt von der gewohnheitsmäßigen Routinisierung unseres Umgangs mit Gott. Er stolpert über die Inszenierungen, in denen wir meinen, Gott einen angemessenen Auftritt verschaffen zu können.“ Gott scheine zu einer willfährigen Chiffre einer ihrerseits bereits erschlafften Selbstermutigung der Kirche verkümmert zu sein. „Was waren das noch für Zeiten, in denen die Menschen noch von der Frage bewegt wurden: ‚Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?‘“ Heutzutage werde Gott nur noch als verbindender Trost in Reserve gehalten, wenn eine hassgetriebene Terrorattacke oder ein verheerender Tsunami die Menschen fassungslos mache.
Der Erste Weltkrieg habe für Barth das „Fass der religiösen Selbstbedienung zum Überlaufen gebracht“. Die Kirche habe sich nicht gescheut, „Gott der Aggression des nationalistischen Staates anzudienen“. Es sei nicht mehr deutlich geworden, um was es gehe, „wenn wir es wagen von Gott zu sprechen“. Die Kirche sei zu einem moralischen Stimmungsmacher verkommen. „Der Bibel wurden nur noch Auskünfte zugestanden, die in die endlichen Bedingungen der uns bekannten Welt hineinpassen.“ Man habe mit dieser Beschränkung der Bibel gleichsam das Oberlicht verhängt, durch welches das Licht Gottes in die Wirklichkeit der Menschen hineinscheinen könne.
Weinrich erinnerte an Barth Wort vom „Ton vom Ostermorgen“. „Die Bibel ist nicht das Echo unserer Fragen und Erwartungen, sondern das Echo dieses Tons vom Ostermorgen. Er ist der entscheidende und tragende Grundton, der durch ihr ganzes Zeugnis hindurchklingt.“
Es gehe Barth beim Ton vom Ostermorgen aber nicht um eine rosa Brille. Der Zuspruch umfasse den Widerspruch gegen die Götzen des Todes, die unablässig zum Tanz aufspielten. „Ob nun ohne Gott oder mit Gott, wir haben es mit demselben Schauplatz zu tun, aber es sind zwei ganz verschiedene Welten, in denen zwei entgegengesetzte Mächte das letzte Wort beanspruchen. Ja, wir bleiben auf derselben Bühne, aber ohne Gott oder mit Gott werden da zwei vollkommen verschiedene Dramen aufgeführt.“ Es gehe offenkundig um das Ganze. „Ohne den „Ton vom Ostermorgen“ bleiben wir in unserer alten Welt des Todes. Mit ihm aber sind wir aus der Geiselnahme durch den Tod befreit. Wir müssen uns vom Tod nicht weiter herumschubsen lassen. Das ist wirklich unglaublich, und eben deshalb ist es nur zu glauben.“
Barth selbst war in der Trinitatiskirche in Audio-Einspielungen zu hören. Die Schauspieler und Sprecher Eckhardt Kruse-Seiler und Tim Vanwersch trugen in der Reformationsfeier verfremdet das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ vor, das in Verbindung mit Zitaten von Karl Barth gesetzt wurde. Musikalisch gestaltet wurde die Feier von der Kantorei Rodenkirchen und dem Orchester Rodenkirchener Barock unter der Leitung von Barbara Mulack, Kreiskantorin im Evangelischen Kirchenkreis Köln-Süd.
Es erklang unter anderem die Kantate zum Reformationsfest „Preise Jerusalem, den Herrn“ von Gottfried August Homilius. Als Solisten beindruckten die Sopranistin Gela Birckenstaedt und der Tenor Lothar Blum.
Als Vertreter der Stadt war Bürgermeister Dr. Ralf Heinen zur Reformationsfeier gekommen. Er erteilte in seinem Grußwort jedweder Form von Nationalismus eine Absage und erinnerte an die 23 Städtepartnerschaften, die Köln nach dem Zweiten Weltkrieg eingegangen sei. „Nationalismus ist nicht christlich“, erinnerte er die Evangelischen an ihre Mitverantwortung für Frieden und Freiheit, die auch im lokalen Kontext hohe Güter seien. Im Anschluss an den Segen lud Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger, der gemeinsam mit Superintendentin Susanne Beuth den Gottesdienst leitete, alle Besucherinnen und Besucher zu einem Imbiss und Gesprächen ein.
Die Predigt von Herrn Prof. Dr. Michael Weinrich können Sie hier nachlesen.
Foto(s): Stefan Rahmann / APK