Es wurde dann doch nicht so hitzig, wie es manche erwarteten, befürchteten oder vielleicht sogar erhofften. Versöhnlich war jedenfalls das Schlusswort von Markus Zimmermann: „Wir müssen dialogfähig bleiben und die Schritte weiter gehen, nachdem wir uns unsere Geschichten erzählt haben. Dafür wird die Kirche ihren Beitrag leisten.“
Podiumsdiskussion „Was macht ziviler Ungehorsam mit der Region?“
Der Superintendent des Kirchenkreises Köln-Nord war Gast bei der Podiumsdiskussion im Gemeindehaus der evangelischen Friedenskirche in Bedburg. Das Thema lautete „Was macht ziviler Ungehorsam mit der Region?“. Unter der Moderation von Sammy Wintersohl, Pressesprecher des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, diskutierten auch Dirk Weinspach, Polizeipräsident in Aachen, Christian Mertens, Rechtsanwalt aus Köln, und Klaus Emmerich, Betriebsrat bei RWE. Die Veranstaltung war Auftakt einer vierteiligen Reihe von Diskussionsabenden in Gemeinden des Braunkohlegebietes im Westen von Köln.
In den vergangenen Monaten ist es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen im und rund um den Hambacher Forst gekommen, den RWE roden wollte, um den Braunkohleabbau fortsetzen zu können. Zahlreiche Initiativen wollen die Rodung verhindern und haben Baumhäuser und Barrikaden im Wald errichtet. Höhepunkte der Auseinandersetzungen waren die versuchte Räumungsaktion der Polizei im Forst im September des vergangenen Jahres und eine Protestdemonstration gegen den Braunkohleabbau einen Monat später mit 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Die Rolle der Polizei und Ziviler Ungehorsam
Im Oktober 2018 verfügte das Oberverwaltungsgericht Münster eine vorläufigen Rodungsstopp im Hambacher Forst. „Wir haben es hier mit einem gravierenden gesellschaftlichen und politischen Konflikt zu tun. Die Polizei hat nicht den Anspruch, diesen Konflikt zu lösen. Sie kann es auch nicht“, erklärte Weinspach zu Beginn. Den Konflikt müsse die Politik lösen.
Ziviler Ungehorsam ist für den Polizeipräsidenten eine „im Grunde harmlose Form von Protest“. Die Beteiligten müssten sich als Personen mit ihren Namen einbringen und bereit sein, die Konsequenzen für ihre Regelverletzungen zu tragen. „Die Polizei sitzt zwischen den Stühlen. Sie muss dafür sorgen, dass der Konflikt politisch nach den Regeln des Grundgesetzes geführt wird.“ Denn eines müsse in jedem Fall gelten: „Gewalt ist nicht hinnehmbar.“
Vorstufe zum Bürgerkrieg
Wenn Demonstranten den Polizisten nicht mehr als Mensch sähen, sondern „vermummt, schreiend und mit einem Molotow-Cocktail in der Hand auf Polizisten zulaufen, ist kein Gespräch mehr möglich. Das ist die Vorstufe zum Bürgerkrieg.“ Eine Aktivistin aus dem Forst konterte: „Wie bewerten Sie das denn, wenn ein Polizist hoch aufgerüstet, mit Helm, bewaffnet und ohne eine Chance, ihn zu identifizieren, auf einen Demonstranten losgeht?“
Rechtsanwalt Mertens forderte, den Gewaltbegriff differenzierter zu sehen. „Über Grenzen kann man lange diskutieren. Aber oft spricht man von Gewalttaten, und dann hat jemand nur auf einem Bagger gesessen.“ Mertens forderte beide Seiten, miteinander zu reden. Die Diskussion laufe in die falsche Richtung, wenn immer nur in den Kategorien Gut und Böse gedacht werde.
Ziviler Ungehorsam kann bereichern: Kirchenasyl und Hinweis auf Missstände
Auf den Hinweis Zimmermanns, dass die Evangelische Kirche mit ihren Kirchenasylen zivil ungehorsam sei, erklärte Mertens: „Wenn Sie beim Kirchenasyl den Schlüssel der Kirchentür umdrehen, gilt das als gewalttätiger Widerstand gegen Vollziehungsbeamte.“ Der Superintendent wies darauf hin, dass bei jedem Kirchenasyl die Polizei verständigt werde. „Wir leben in einem Rechtsstaat. Wir als Kirche positionieren uns nicht konfrontativ gegen die Behörden.“
Konkret wurde auch Gewerkschaftler Emmerich, der die Belegschaft von RWE vertrat: „Ziviler Ungehorsam kann die Region bereichern und auf Missstände aufmerksam machen. Aber was erleben wir? Schwere Wackersteine und Molotow-Cocktails werden auf RWE-Autos geworfen, Fäkalienbeutel auf Polizisten. Wenn es gegen die leibliche Unversehrtheit geht, ist es Gewalt. Vor zivilem Widerstand haben wir Gewerkschafter weiterhin großen Respekt. Für den Satz „Ziviler Ungehorsam ist von vornherein nichts Schlechtes“ erntete Emmerich Applaus vom größten Teil des Publikums.
Die Bedeutung der Sprachfähigkeit
Auch Superintendent Zimmermann erteilte dem zivilen Ungehorsam nicht von vornherein eine Absage. „Er kann unter bestimmten Umständen legitim und aus christlicher Überzeugung angebracht sein. Ich erinnere an die Bürgerrechtsbewegung in den USA und die Bürgerproteste vor dem Ende der damaligen DDR. Aber ziviler Ungehorsam ist an Regeln gebunden.“ Zimmermann hat beobachtet, dass der Konflikt um die Braunkohle innerhalb von Gemeinden zu Konflikten mit gegenseitiger Sprachlosigkeit geführt hat. „Das darf nicht sein. Wir müssen immer sprachfähig bleiben.“
Kirchen seien nicht die Experten für Energiewirtschaft. Ihr Auftrag sei die Bewahrung der Schöpfung. Und es sei ihr Auftrag, zur Gewaltlosigkeit aufzurufen: „Vielleicht deutlicher, als wir das bis jetzt getan haben.“ Dem schloss sich Emmerich an. Auch die Gewerkschafter hätten das Klimacamp der Braunkohlegegner besucht und gute Gespräche geführt. Es gebe aber auch Aktivisten, „die sagen mir, von eurem Tagebau geht Gewalt aus gegen Eilande irgendwo auf der Welt, die irgendwann untergehen. Deshalb sind Molotow-Cocktails auf RWE-Autos okay. Mit denen kann ich nicht reden. Da spreche ich lieber mit einer Parkuhr.“
Versammlungen statt Baumhäuser
Weinspach erinnerte noch einmal daran, dass das Gewaltmonopol einzig und allein bei der Polizei liege. „Ich wünsche mir, dass wir wegkommen vom zivilen Ungehorsam zum zivilen Umgang miteinander. Ich glaube nicht, dass der Hambacher Forst in den nächsten Jahren gerodet wird. Das ist eine Phase, in der wir den Wald befrieden können. Der Bau von Baumhäusern zwingt die Polizei immer wieder zu Maßnahmen. Unter anderem aus Brandschutz- und baurechtlichen Gründen.“
Es müsse unbedingt vermieden werden, dass die Bürger den Eindruck gewännen, der Hambacher Forst sei ein rechtsfreier Raum. Der Polizeipräsident gab sich kompromissbereit: „Das Versammlungsrecht gibt es her, dass man im Wald sein kann, ohne die Gesetze zu brechen. Man kann dort präsent sein, um den Forst zu schützen.“ Nur eben ohne Baumhäuser.
Wünsche und Zuversicht
Auch Emmerich versuchte sich an einer Annäherung: „Ich glaube, dass wir an vielen Punkten gar nicht so weit auseinander liegen“, sagte er mit Blick auf die zahlreichen „Hambi-Aktivisten“ im Gemeindesaal. „Wir möchten“, so der Betriebsrat, „dass der Kohle-Kompromiss in Gesetze gegossen und verlässlich umgesetzt wird. Kein Mitarbeiter soll ins Bergfreie fallen“, forderte er die soziale Absicherung seiner Kolleginnen und Kollegen. Superintendent Zimmermann fasste zusammen: „Ich bin Pfarrer. Und allein deshalb immer zuversichtlich.“
Die Reihe „Kirche diskutiert anders“ wird am Mittwoch, 7. Mai, ab 19:30 Uhr fortgesetzt im Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde Kerpen, Filzengraben 19. Dann lauten die Fragen: „Wie wird die Region um den Tagebau im Rhein-Erft-Kreis im Jahr 2040 aussehen? Was wird sich strukturell verändern? Was bedeutet das für die Menschen in der Region?“ Dann diskutieren Dieter Spürck, Bürgermeister von Kerpen, Sascha Solbach, Bürgermeister von Bedburg, Andreas Heller, Bürgermeister von Elsdorf, Martin Sagel von der Evangelischen Kirchengemeinde Kerpen, und Frank Drensler, evangelischer Pfarrer in Kerpen-Sindorf). Hier finden Sie den Flyer der Veranstaltungsreihe.
Klicken Sie rein und abonnieren Sie unseren Videokanal auf YouTube: https://bit.ly/2JDf32o
Foto(s): Stefan Rahmann