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„Wir haben sehr viel Unterstützung erfahren“: Hungerstreik der Contergan-Opfer in der evangelischen Andreaskirche Schildgen ist „vorerst ausgesetzt“

Da sitzen sie nun vor der Presse – geschwächt, aber nicht gebrochen, enttäuscht, aber noch längst nicht besiegt. Der beiden Contergan-Opfer Gihan Higasi und Stephan Nuding sowie dessen Mutter Helga Nuding haben ihren Hungerstreik im Gemeindezentrum der evangelischen Andreaskirche in Bergisch Gladbach-Schildgen „vorerst ausgesetzt“, wie die drei nach 27 Tagen ohne Nahrung jetzt erklärten.



Viele Reaktionen – aber nicht von Grünenthal
Der Hungerstreik sei ausgesetzt, so Nuding, weil man „in einen neuen Dialog mit der Aachener Firma Grünenthal, die Contergan produziert und vertrieben hat, sowie der Bundesregierung treten will“. Nuding bezeichnete den Hungerstreik als Erfolg: „Wir haben einen großen Kreis von Menschen auf unser Problem hinweisen können. Wir haben sehr viel Unterstützung erfahren in E-Mails, Telefonaten und Besuchen.“ Nuding und seine Mitstreiter hatten von Grünenthal und dem Bund ein Schmerzensgeld in Höhe von einer Millionen Euro für jedes noch lebende Contergan-Opfer und die Verdreifachung der monatlichen Rente auf 3270 Euro gefordert.

„Politisch verantwortlich“
Grünenthal hatte sich während des Hungerstreiks nicht geäußert. Aber einige Politiker habe man sensibilisieren können. Am Tag der „Aussetzung“ des Hungerstreiks waren Markus Kurth, sozial- und gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, und Barbara Steffens, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, ins Gemeindezentrum gekommen, um die Aktivisten ihrer Solidarität zu versichern. Sie hält es für eine unglaubliche Zumutung für die Contergan-Opfer, dass sie „ihr Leben gefährden müssen, um das Notwendige zu bekommen, was sie zum Leben brauchen.“ Sie fühle sich „politisch verantwortlich“ und forderte für Nordrhein-Westfalen ein Zentrum, in dem Contergan-Opfer eine qualifizierte Behandlung ihrer zahlreichen gesundheitlichen Probleme erfahren könnten. „Es ist im Übrigen skandalös, dass sich die Firma Grünenthal dem Dialog mit den Opfern verweigert.“ Sie verwies darauf, dass es mittlerweile in den Parteien im NRW-Landtag über die Fraktionsgrenzen hinweg Bestrebungen gebe, die Contergan-Opfer besser zu unterstützen: „Vielleicht kann ja von Nordrhein-Westfalen ein Signal an den Bund ausgesandt werden und auch dort für eine neue Geschlossenheit unter den Parteien in dieser Frage führen.“

„Kinder in eine Opferrolle gedrängt“
Christoph Nötzel, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Schildgen, nennt es „krankhaft, wie Grünenthal das Thema behandelt. Die Schuld an allem hat man den Müttern übertragen, die betroffenen Kinder in eine Opferrolle gedrängt, die keinen aufrechten Gang erlaubte.“ Hier werde den Verantwortlichen für den Skandal der „Mut der Erwachsenen“ abverlangt, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Nuding nannte einen weiteren Grund, den Dialog aufzunehmen: „Die nachgeborenen Familienmitglieder der Grünenthal-Eigentümerfamilie Wirtz sind doch auch Contergan-Opfer. Wir können uns nur gegenseitig aus der Opferrolle befreien.“ Nötzel hofft, dass die Gespräche zwischen Grünenthal und den Opfern, die sich alle erhoffen, „in Würde und gerecht“ geführt werden. Sollte es allerdings keine Gespräche geben, kündigte Nuding weitere Aktionsformen an, mit denen die nächste Welle der Kampagne gestartet werde, „noch wohlüberlegter, noch besser vorbereitet“.

Gemeinsamer Gottesdienst am Sonntag
Für Sonntag, 19. Oktober, 18 Uhr, laden Nötzel und die Aktivisten zu einem Gottesdienst in die Schildgener Andreaskirche, Voiswinkler Straße 40, ein. Landeskirchenrat Klaus Eberl wird dort als Redner erwartet. „Und danach wird dann wieder ordentlich gegessen“, denkt der Pfarrer auch an das leibliche Wohlergehen der Hungerstreikenden.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann