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„Wir fallen niemals tiefer als in Gottes Hand“ – Die Weihnachtspredigt des Stadtsuperintendenten Ernst Fey

Hier die Predigt, die Stadtsuperintendent Ernst Fey an Heilig Abend 2007, in der Dreifaltigkeitskirche von Köln-Ossendorf, Joseph-Roesberg-Platz 1, ab 17 Uhr in der Christvesper hält:

Text: Luk. 2, 1 – 20

Liebe Gemeinde!

Diese Weihnachtsgeschichte möchte ich festhalten und alle Zeit bewahren in meinem Herzen: Die große alte Menschheitserzählung von jener außergewöhnlichen Geburt. Von der Suche nach einer Herberge. Von Sorgen, Belastungen und Widerständen. Von Armut. Und von einem Kind, für das Menschen sich auf den Weg machen, von weit her. Von einem Kind, das weise Könige verehren und lieben – ja, viel mehr noch: Gott selbst in ihm erkennen, in diesem Kind in der Krippe.

Gerne würde ich nur von diesem Kind erzählen und Paul Gerhardts wunderbares Lied nacherzählen, das wir gerade gesungen haben: „Ich steh an deiner Krippen hier, oh Jesu du mein Leben, ich komm und bring und schenke dir, was du mir hast gegeben: Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel’ und Mut, nimm alles hin und lass dir’s wohl gefallen.“

Aber geht das so einfach?

Die Menschwerdung Gottes in einem Kind vor 2000 Jahren sprengt jede Vorstellung. Und die süße Weihnachtsidylle – schon seit Wochen wieder inszeniert in den Kaufhäusern, Märkten und Medien – zerbricht an der anderen Wirklichkeit unserer Tage – seien wir ehrlich: Sind wir nicht auch in diesem Jahr mehr als einmal hart auf die Probe gestellt worden? Welchen Sinn und Wert haben denn biblische Hoffnungsgeschichten wie die vom „Kindelein in der Krippen“ gegenüber den Geschichten, die das Leben schreibt über grausame Ereignisse in der Welt und vor unserer eigenen Haustüre? Wie oft haben wir uns doch gefragt: „Warum lässt Gott das zu?“ – das schier unermessliche Leiden und den Tod dieser Kinder, ich erinnere in diesem Weihnachtsgottesdienst an einige Namen:

Denis aus Cottbus –
Michelle aus Berlin –
Jessica aus Hamburg –
Kevin aus Bremen –
Hannah aus Königswinter.

Viele andere ungenannte Namen stehen für unendliche Traurigkeit und unsere Hilflosigkeit.

Ich bekenne: Ja, so fühle auch ich. Und scharf schmerzt mich die Frage des Mannes noch immer, wie ich sie noch vor kurzem (und früher schon oft und immer wieder in ähnlicher Form…) gehört habe: „Herr Pfarrer, wie können Sie denn nur am Heiligen Abend von dem unschuldigen Kind in der Krippe predigen und haben doch keine Antwort auf das, was da passiert – Gewalt an Schulen, Bedrohung durch Gewalt auf der Straße in unserem Land – einem reichen und zivilisierten Land, wo Kinder vernachlässigt, gequält werden durch die eigenen Eltern und in Armut zu Tode kommen?!“

Ich weiß um die Teufelskreise sozialer Not, Armut und Gewalt.
Ich weiß, dass allein in Ehrenfeld so viele arme Kinder leben.
Ich weiß, dass sie nur 2,72 Euro an Sozialhilfe zur Verfügung haben am Tag, und ein Mittagessen in der Schule kostet schon 2,30 Euro.

Ist das nicht skandalös? Ja, das ist skandalös.

Dabei geben Lehrerinnen und Sozialarbeiter, Ärzte und Polizisten täglich all ihre Kraft im Einsatz gegen das Elend – wie soll ich es nennen: den Wahnsinn? Das Böse? -, und es gibt auch Kirchengemeinden, die regelmäßig warme Mahlzeiten für Kinder anbieten, damit da wenigstens eine Hilfe ist.

„Ein Tropfen nur auf den heißen Stein“, höre ich manche sagen – ich denke nicht.

Und doch: Diese Welt ist, wie sie ist. Sie ist vor allem voller Widersprüche: Grausam und schön. Heiß und kalt. Menschen können rücksichtslos und barmherzig sein. Wir können als Frauen und Männer hassen und – so ist es eingerichtet – lieben, vor allem als Eltern. Doch manchmal können Eltern eben das auch nicht – als Erwachsene nämlich, die völlig versagen, weil sie selbst als Kinder nie Liebe erfahren haben, sondern auch nur Gewalt erlebt haben und nun diese Gewalt wieder weiter geben, an die Kleinen und Schwachen, an ihrer Kinder.

Es braucht Tapferkeit für uns, die wir das Leid lindern und helfen wollen, solche Realität in den Blick zu nehmen: Es gibt keine andere Wirklichkeit als diese – als diese widersprüchliche, brüchige, höchst ambivalente, schöne und schreckliche Welt, in der es Mütter gibt, die ihre Kinder herzen und hüten. Und Mütter, die ihre Kinder verhungern lassen.

Der biblische Mythos vom Sündenfall der ersten Menschen – des Vater und der Mutter unseres Geschlechtes – und ihrer Vertreibung aus dem Paradies und die anderen Geschichten von Kain und Abel, von Noah und der Sintflut, von Sodom und Gomorrha – sie haben der Menschheit Bilder und Vorstellungen zu geben versucht für das Unerklärliche, für das Un-Heil einer Welt, in der wir und alle die nach uns geboren werden, dasselbe Trauma des Getrenntseins erfahren, so hat es der jüdische Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm gefasst – „Getrenntheit von Gott“, so nennt es die Bibel.

In diese Welt aber hat Gott selbst den Weg angetreten und sich auf diese Wirklichkeit mit uns eingelassen – von der Krippe bis an das Kreuz: Das ist das andere ganz und gar Unerklärliche, das Wunderbare. Da beginnt Weihnachten, und es ist kein Zufall dass die Alten – und so wir noch heute – das Fest der Menschwerdung Jesu – Licht der Welt in der Finsternis unserer Welt ! – an den Tagen der Sonnenwende der heidnischen Vorzeit feiern.

Mit Christi Geburt an „Weihnachten“ begann der Weg, und er beginnt – in und für uns – immer wieder neu, wenn wir uns mit Gott auf den Weg Jesu einlassen, mitten in der prekären Wirklichkeit unserer Welt und durch sie hindurch und wir unserer Sehnsucht folgen nach dem anderen Leben, das Gott für uns gewollt hat, von Anfang an.

In diesem Gottesdienst stärken und vergewissern wir uns dieser Zusage Gottes – in allem unerklärlichen Leid unserer Welt: „Ein Kind ist uns geboren…“ – Licht der Welt. Der Prophet Jesaja gibt uns den Auftrag, er weist uns den Weg (60,2): „Mache dich auf, werde Licht“, spricht er – und Jesus selbst, in der Überlieferung der so genannten „Bergpredigt“, sagt später jenen geheimnisvollen, ergreifenden Satz, der beginnt mit den Worten: “Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder…“

Öffnen wir uns der Sehnsucht, die in diesen Worten brennt, stehen wir auch zu unserer menschlichen Ohnmacht, dann kann es Weihnachten werden – in dieser Welt – denn darum hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, der mit uns geht, in dieser Welt und durch diese Welt und über diese Welt hinaus.

Daran glauben wir.
Daran zweifeln wir.
Daran wollen wir doch festhalten, wenn wir verzweifeln und manchmal allen Glauben verlieren und doch hoffen wollen und handeln müssen – auch wenn uns die Kraft dazu fehlt.

In solchen Momenten ist es vielleicht mit uns, wie mit Jacob in seinem Kampf mit dem Engel: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“. In solchen Momenten spricht der Engel Gottes zu uns, wie damals zu den Hirten auf dem Felde: „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.“

Christus ist der Herr über unsere Angst, wenn diese Angst zu groß wird in uns allein.
Christus ist die Sehnsucht in uns nach einem anderen Leben, in dem nicht länger Kälte und Egoismus das Handeln von immer mehr Menschen bestimmen.
Christus ist das Vertrauen in uns, wenn in uns Misstrauen, Hass und Gewalt zuzunehmen drohen.
Christus ist der Mut in uns, mehr zur Verantwortung füreinander zu tun.
Christus ist das Kind in uns: Auf dem Weg zu seiner Krippe finde ich Antwort auf die Widersprüche unserer Welt, die ich ertragen muss, so lange ich lebe, das ist mir aufgetragen.

Es bleibt das Geheimnis des Glaubens. Darauf dürfen wir vertrauen.

Auch Denis, Michelle, Jessica, Kevin und Hannah – die gequälten Kinder – sind in Gottes Hand, sie sind nicht aus seiner Liebe gefallen, sondern durch Not und Tod in seine Hand gefallen. Wir fallen niemals tiefer als in Gottes Hand, Gott wird abwischen alle Tränen … und der Tod wird nicht mehr sein…

Das ist die Weihnachtsbotschaft aus der wir leben können, und lieben und handeln – jetzt und in dieser Welt. Wo wir in diesem Geist Frieden und Gerechtigkeit schaffen, in Familien, Schulen, Unternehmen und dort, wo immer wir sind, da finden wir Gott und in uns das Kind in der Krippe. Da erfahren wir immer aufs Neue, dass wir von Gott geliebt sind.

Gott vertraut auf uns, und in diesem Vertrauen stehen wir zugleich unter seinem Schutz, auf dass wir friedlicher, versöhnlicher und gerechter miteinander zu leben versuchen, mitten in diesem Leben.

Diese Weihnachtsgeschichte möchte ich zusammen mit Ihnen festhalten und sie bewahren miteinander in unseren Herzen: „Frohe Weihnachten!“

Amen.

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