You are currently viewing „Wir entfernen uns immer weiter von einer gerechten Welt“

„Wir entfernen uns immer weiter von einer gerechten Welt“

Eine wunderbare Vision. Ein beeindruckender partizipatorischer Prozess. Diese Kommentare zur „Erd-Charta“ waren beim jüngsten „Abendgespräch zur Sache“ zu hören. Das Abendgespräch findet jährlich an bis zu acht Sonntagen im Sülzer Tersteegenhaus der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Klettenberg statt. Sie und die katholische Gemeinde in den Stadtteilen Sülz und Klettenberg tragen das für alle offene ökumenische Projekt mit. Mitglieder der „Ökumenischen Initiative EINE WELT“ (ÖIEW) bereiten die Treffen vor.

Über die ermutigende Erd-Charta tauschten sich die Gäste intensiv aus. Moderatorin Hannelore Ruppert konnte mit Barbara Ruthard-Horneber eine der Charta-Botschafterinnen begrüßen. Die Diplompädagogin und Sozialtherapeutin referierte die Entwicklung, Inhalte und Absichten der 2000 durch die Erd-Charta-Kommission verabschiedeten Erklärung und der Charta-Bewegung. Diese zielt auf eine zukunftsfähige, gerechte, friedfertige Weltgesellschaft. Auf die Bewusstseinsbildung „für gemeinsame Verantwortung und gegenseitige Abhängigkeit zum Wohl aller Lebewesen“.

„Von unten entwickelt worden“
Es gelte, dieses beeindruckende internationale Werk in die Alltagswirklichkeit hineinzuholen, so Ruthard-Horneber. Angestoßen innerhalb der Vereinten Nationen, sei es in einem zehnjährigen Prozess insbesondere von entwicklungspolitischen Organisationen, zivilgesellschaftlichen Gruppen, Naturschutzverbänden, Menschenrechts-Initiativen, Nicht-Regierungsorganisationen, Kirchen sowie Tausenden von Einzelpersonen in einem interkulturellen und interreligiösen Dialogprozess „von unten“ entwickelt worden. „Hergeleitet aus Völkerrecht, Wissenschaft, Philosophie und Religion.“

Kirchen sind der Politik voraus
Mit der Frage, wie das Dokument sinnvoll genutzt, konkret gestaltet und Zusammenhänge sichtbar gemacht werden können, beschäftigten sich laut Ruthard-Horneber sehr intensiv auch christliche Kirchen, ökumenische Initiativen sowie zahlreiche andere religiöse Richtungen. Damit seien sie der Politik um einiges voraus. „Wir wissen nie, wie viele Organisationen und Regierungen dabei sind“, sagte die Referentin. Aber dies sei ein Teil der Vielfalt. Ein Büro koordiniere deren globale Vernetzung. Neben vielen anderen hätten weltweit bislang über 500 Städte die Erd-Charta unterzeichnet. Sie nähmen das Dokument als Grundlage für die Weiterentwicklung ihrer Kommune. Zu den Unterzeichnenden gehörten auch die baden-württembergische Landeskirche und Schulen.

Erd-Charta für Kinder und Jugendliche
Der Aufbau der Erklärung sei sehr lange diskutiert worden, sprach die Botschafterin von einem einzigartigen Entstehungsprozess. Die Texte, darunter weitreichende Selbstverpflichtungen, seien auch unter Mitwirkung von Hunderten von Experten für internationales Recht entstanden. Sie hätten mitentschieden, „was in die Charta rein muss“, damit sie ebenso als Grundlage für nationale und internationale Gesetzgebungen dienen könne. Es existiere sogar eine Erd-Charta für Kinder und Jugendliche in sinnlicher Sprache.

„Es braucht ein großes Bündel an Gruppen“
Die Referentin riet davon ab, besondere Erd-Charta-Gruppen zu gründen. Sie schlug vor, das Bewusstsein für Vielfalt und Zusammenhänge zu schärfen. Je mehr einzelne Gruppen und Bewegungen wie etwa Fairer Handel, regionale Naturschutzgruppen, Welt- und Bioläden die Ziele der Erd-Charta vertreten und sich miteinander vernetzen würden, desto stärker wachse dieses Bewusstsein. „Es braucht ein großes Bündel aus den verschiedenen kleinen Gruppen. Das ist ein Fenster, das gerade aufgeht“, sagt Ruthard-Horneber. Doch der Weg zu einer breiten internationalen Anerkennung der Erd-Charta bleibe mühsam.

Themen betreffen alle Menschen
„Wir entfernen uns immer weiter von einer gerechten Welt“, meinte ein Gast. Ein anderer mahnte, nicht nur auf die Politik zu schauen. Die Charta sei für jeden einzelnen von uns gedacht – für Nicht-Regierungsorganisationen, für Kirchengemeinden. „Ihre Themen betreffen jeden Menschen. Und wir sind es, die diese Themen voranbringen“, sprach er die Notwendigkeit an, beispielsweise das Konsumverhalten zu ändern.

Nächstes Abendgespräch: Offene Gesellschaft
Das nächste „Abendgespräch zur Sache“ am Mittwoch, 20. September, 19.30 Uhr, findet ausnahmsweise im Domforum, Domkloster 3, statt. „Unsere Entscheidung! Offene Gesellschaft oder nationale Verhärtung?“ ist der Abend mit dem Sozialpsychologen Dr. Stephan Grünewald überschrieben. Fortgesetzt werden die Abendgespräche am Sonntag, 19. November, 19.30 Uhr, wie gewohnt im Tersteegenhaus, Emmastraße 6. Der Arbeitstitel lautet „Marshallplan für Afrika – Wer finanziert? Wer profitiert?“. Zu Gast ist Dr. Boniface Mabanza. Der Literaturwissenschaftler, Philosoph und Theologe arbeitet als Koordinator in der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich