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Wie können biblische Inhalte heute an Schulen unterrichtet werden?

In unserer Gesellschaft schwinde das Wissen um biblische Inhalte, so Pfarrer Johannes Voigtländer, Bezirksbeauftragter für Berufskollegs. „Wir erleben auch an Berufsbildenden Schulen eine Situation, die uns sagen lässt: Die christliche Sozialisation vieler junger Menschen ist rudimentär. Das, was uns als Christen ausmacht, hat an Bindung verloren.“ Das Wissen und die Vorstellung davon, was die Bibel mit unserem Leben zu tun hat, gehe offenbar zurück. Angesichts dieser Entwicklung frage man sich (auch) im Team des Pfarramtes für Berufskollegs beim Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, „was wir als Christinnen und Christen den Schülerinnen und Schülern, Auszubildenden und Studierenden an unseren Berufskollegs mit auf den Weg geben können“. Wie man biblische Texte auf deren Alltag, deren Lebenswirklichkeit heute anwenden könne.

Erste Weiterbildung war 2010
Aus dieser Fragestellung resultieren zwei religionspädagogisch-sozialethische Tagungen für Religionslehrerinnen und -lehrer an Berufskollegs in Köln und Region. Zum Kreis der Veranstalter gehören neben dem evangelischen Pfarramt für Berufskollegs in Köln und Region (zu dem auch die Pfarrer Hans-Martin Brandt von Bülow und Jost Klausmeier-Sass gehören) das (katholische) Institut für Lehrerfortbildung (IFL) Mülheim/Ruhr sowie die katholischen Bezirksbeauftragten aus dem Erftkreis, Köln, Leverkusen, Rhein-Berg und Oberberg. Die erste Weiterbildung in dieser Reihe fand 2010 im Haus der Evangelischen Kirche in der Kölner Südstadt statt. Behandelt wurden die Bergpredigt und die konkrete Vermittlung ihrer heutigen Relevanz. Es referierte der emeritierte Neutestamtler Professor Dr. Klaus Wengst.

Blick auf den Dekalog
Zuletzt, Ende September, nahmen 50 Religionslehrerinnen und -lehrer an Berufskollegs an einer Tagung im Maternushaus in Köln teil. Diesmal lautete der Titel „Zehn Worte – die dem Leben eine Richtung geben?!“ Damit wollten die Veranstaltenden „den Blick auf den ‚Dekalog‘ öffnen und zu der Überlegung einladen, ob dieser biblische Text heute noch trägt, ob er noch zur Ausrichtung, Orientierung und Ermutigung dienen kann. Denn meistens steht unser Alltag quer zu den ‚Zehn Worten'“. Schließlich bekamen die Teilnehmenden Empfehlungen an die Hand, wie sich die Beschäftigung mit den Geboten konkret im Unterricht umsetzen lässt.

Neuen Zugang finden
„Bei bekannten Texten ist es wichtig, immer noch mal einen neuen Zugang zu finden“, stellte Professor Dr. Frank Crüsemann fest. Der emeritierte, bis 2004 an der Kirchlichen Hochschule Bethel lehrende Altestamentler, hielt das grundlegende Referat „Der Dekalog und die ‚Lust zu aller Gerechtigkeit'“. Darin vermittelte er, wie viel Freude die Beschäftigung mit den Zehn Geboten bereiten könne. Wie viel Freude, angesichts des tradierten Dekalogs, das Diskutieren über aktuelle rechtliche Probleme und Positionen. Der Gedanke, überlieferte Texte „neu in Schwingung zu bringen“, nehme eine jüdische Tradition auf, verwies der Theologe auf das jüdische Fest der Torafreude (Simchat Tora), das für das Feiern der Tora, der Gesetze Gottes, stehe. Damit betonte der Theologe, dass es spannend sei zu schauen, wo die Zehn Worte uns Christen heute begegneten, wo sie uns heute Freude bereiteten und wie wir uns durch sie im Leben zurecht finden könnten. Der Dekalog habe nichts an Aktualität verloren, konstatierte Crüsemann, und das lasse sich trefflich im Unterricht nachvollziehen.

Verbot der Falschrede
Wenn es etwa um die Frage der üblen Nachrede gehe, könne man den Umgang von Medien mit Bettina Wulff verfolgen. „Mittels der Internet-Suchmaschinen verselbständigen sich Gerüchte. Das alte Verbot der Falschrede bekommt einen neuen Sinn.“ Da könne man sich schon fragen, wie viel Lust es an der Verleumdung gebe? Verleumdung sei schon immer schlimm gewesen. Aber sie habe durch den technischen Fortschritt eine neue Qualität erhalten. Weiter gab Crüsemann zu bedenken, inwieweit die Tradition der alten Kirche, nach der Habgier eine Todsünde gewesen sei, neu gedacht werden müsse: Viele Menschen würden durch das Anhäufen von Schulden an den Rand ihrer Existenz gebracht. Doch sei die Idee, durch ein „immer Mehr“ könne Gesellschaft funktionieren und allgemeiner Wohlstand erreicht werden, gescheitert. Heute komme es mit dem „immer mehr rausholen“ noch mal neu; erweise sich in dieser Hinsicht etwa die Bankenkrise als hoch aktuell – als eine „Sünde mit tödlichem Ausgang“.

Verhalten darf nicht verletzen
Ebenso behandelte Crüsemann das Verbot des Ehebruchs. „Das ist eine Frage im ethischen Bereich, nicht im sexuellen“, betonte der gebürtige Bremer, Jahrgang 1938. Tatsächlich gehe es darum, Orientierung zu geben, niemand zu verletzen, nicht die Familie, nicht den Partner, nicht die Kinder. „Es geht nicht um Moral“: Damals habe es andere Ehe-Strukturen gegeben, die noch nicht in unserem Sinne traditionell bürgerlich gewesen seien. Zu erörtern sei stattdessen die Frage, „was es heißt, sich so zu verhalten, dass man in diesem Bereich niemand verletzt. Das Gebot handelt von der Verletzlichkeit des Lebens. Es will das Lebensrecht der Betroffenen geachtet wissen.“ Das Verbot des Tötens machte Crüsemann beispielhaft an dem Thema Sterbehilfe in verschiedenen Formen fest. Rechtlich sei alles geregelt. Aber er wünsche sich ethische Normen. „Wo ist da der Punkt, wo das Gebot, das Verbot des Tötens, neu zu hören ist?“ Sterbehilfe, Tötung, werde zu schnell zugestanden, als wenn sie richtig wäre. Es gehe auch um ein Sterben können, wies er hin auf die Möglichkeiten der palliativen, schmerzlindernden Medizin. „Wie ist das rechtlich zu lösen? Alles das lässt sich mit Schülerinnen und Schülern diskutieren“, sprach Crüsemann von der „Lust an der Gerechtigkeit, der Lust, sich mit ihr zu beschäftigen“. Letztlich davon, dass dabei alte Gebote insgesamt in neue Zuspitzungen kommen – auch im medizinischen Bereich.

Ideen für den Unterricht
Gestärkt durch ein Mittagsmahl, verteilten sich die Gäste nach dem Vortrag und Meinungsaustausch auf drei Workshops. In diesen wurden ihnen jeweils konkrete Angebote für die Behandlung des Themas, für einen zeitnahen Einsatz im Unterricht vermittelt. Klaus-Peter Henn, Dozent am Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) der Evangelischen Kirche im Rheinland in Bonn, stellte Ideen und Impulse vor, wie über die „Zehn Worte“ im Berufsschul-Unterricht gemeinsam gearbeitet werden kann. Dr. Georg Henkel, katholischer Religionslehrer an der Hulda-Pankok-Gesamtschule in Düsseldorf, behandelte mit „Dekalog – Das Bilderverbot“ ein beispielhaftes Projekt für die Arbeit mit dem Dekalog in der Oberstufe. In der dritten Gruppe präsentierten Mitarbeitende der Medienzentrale des Erzbistums Köln vier aktuelle Kurzfilme zum Thema und entwickelten Ideen für ihren Einsatz im Unterricht. Übrigens: Das Pfarramt für Berufskollegs bietet interessierten Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit, die Materialien der Workshops auf dem elektronischen Weg zu beziehen.

Orientierung geben in geeigneter Weise
„Die Teilnehmenden insgesamt zeigten sich sehr zufrieden“, fasste Voigtländer zusammen. Ebenso habe man sich im Pfarramt für Berufskollegs über die Resonanz gefreut. Die Tatsache, dass sich 50 Pädagoginnen und Pädagogen für diese Veranstaltung hätten freistellen lassen, belege ihr Interesse, sich diesem Thema einen Tag lang intensiv widmen zu wollen. Das mache deutlich, dass sie sich ernsthaft fragten, wie man den Schülerinnen und Schülern in geeigneter Weise Orientierung und eine stärkende „Wegzehrung“ mitgeben könne. „Wir finden es spannend und interessant, sich mit biblischen Texten auseinanderzusetzen“, erläuterte Voigtländer stellvertretend, „weil wir glauben, dass diese Texte, wie der Dekalog, auch in unserer Zeit die Lust entfachen und eine Dynamik entwickeln können, Gerechtigkeit in unserem Alltag Gestalt werden zu lassen und Raum zu geben.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich