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Wie hart(z) wird der Kölner Arbeitsmarkt? Politiker und Experten aus evangelischen Einrichtungen diskutierten.

Agenda 2010, Rürup-Kommission, Arbeitslosengeld II, Hartz 3 und 4 -­ wer soll bei dem derzeit wild wuchernden Reformeifer der Regierenden eigentlich noch durchblicken? Das Sozialwerk des Evangelischen Stadtkirchenverbandes und der Katholikenausschuss in der Stadt Köln hatten daher in Kooperation mit der Kölner Freiwilligen Agentur und dem Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ) zu einer Debatte ins Internationale Zentrum von Groß St. Martin eingeladen. Unter der Überschrift „Wie hart(z) wir der Kölner Arbeitsmarkt?“ sollten Kommunal- Landes- und Bundespolitiker sowie Fachleute aus der Verwaltung Licht ins Dunkel bringen und die Besucher über die konkreten Auswirkungen der geplanten Gesetzesänderungen informieren, die just am Tag darauf Bundestag und Bundesrat passieren sollten.


„Noch nie hatten die Leute solche Angst“
Wie wichtig solche Aufklärungsveranstaltungen sind, beschrieb Thomas Münch, Geschäftsführer des KALZ: „Seit 13 Jahren mache ich das schon, aber noch nie hatten die Leute solche Angst. Die kommen vorbei, weil sie befürchten, dass sie durch das Arbeitslosengeld II in die Armut getrieben und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.“ Die etwa 100 Besucher der Veranstaltung lauschten gespannt, als es Peter Welters, der Leiter des Arbeitsamtes, übernahm, die Schlagworte „Hartz III und IV“ zu erklären. Mit „Hartz III“ ist demnach die Umorganisation des Arbeitsamtes zu einer „Agentur für Arbeit“ gemeint. Künftig soll die Vermittlung von Arbeitslosen entscheidend verbessert werden, sollen sich die Mitarbeiter des Amtes intensiver um Beratung von Langzeitarbeitslosen kümmern, ihnen beispielsweise bei der Lösung ihrer sozialen Probleme helfen. So ist auch an eine Schuldnerberatung gedacht. Der verstärkte Einsatz von „manpower“ in der Vermittlung, so Welters, müsse allerdings geschultert werden, ohne dass das Personal aufgestockt werden kann: „Die Stimmung im Haus ist im Moment nicht gut, weil unsere Mitarbeiter qualifiziert werden müssen und keiner weiß, wie sein Job morgen aussieht.“ Das Jahr 2004 sei das „Jahr der Umstellung.“

Das Arbeitslosengeld wird empfindlich gekürzt
Ein „Jahr der Umstellung“ wird 2004 wohl auch für die bisherigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe – und nicht nur, weil sie sich nun auf eine intensivere Betreuung freuen dürfen. Denn ihre Arbeitslosenhilfe soll ebenfalls bis Anfang 2005 – so der Inhalt von „Hartz IV“ ­- mit der Sozialhilfe zum „Arbeitslosengeld II“ zusammengelegt und damit real gekürzt werden. Als „Sockelbetrag“, so Welters, seien 345 Euro vorgesehen, in Köln werde die Betreuung von Langzeitarbeitslosen voraussichtlich auch weiterhin gemeinsam von Arbeitsamt und Kommune übernommen. Was er nicht so ausführlich darlegte: Das Arbeitslosengeld II kann nach den in „Hartz IV“ festgelegten neuen „Zumutbarkeitsregeln“ empfindlich gekürzt werden, wenn ein Arbeitsloser einen Job, der ihm vom Arbeitsamt angeboten wird, ablehnt. Und als zumutbar gilt künftig jeder legale Job, auch wenn er unter Tarif bezahlt wird. Auf Rückfrage von Moderatorin Anke Bruns, wie viele Menschen in Köln davon betroffen seien, konnte Welters keine genauen Angaben machen. Etwa 42 000 Langzeitarbeitslose lebten hier, rund 40 Prozent würden von der Umstellung betroffen, aber „das ist schwierig, da bin ich überfordert.“

Es ist schwierig, Informationen zu bekommen
Schwierig ist das vor allem, weil die genaue Zahl der Erwerbsfähigen unter den Langzeitarbeitslosen – und selbstverständlich wäre nur diese Gruppe von eventuellen Kürzungen des Arbeitslosengeldes II bedroht – schwer zu bestimmen ist. Als erwerbsfähig gilt, wer mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten kann. Wie das im Einzelfall beurteilt werden könnte, ob etwa alle Langzeitarbeitslosen zum Arzt geschickt werden, das vermochte auch Stephan Santelmann, Leiter des Sozialamtes, nicht zu sagen: „Ich tue mich schwer, das zu beantworten, ich kann noch nicht über Details reden.“ Woraufhin aus dem Publikum bereits leichte Unmutsäußerungen wie „Katastrophe“, „Der soll nach Hause gehen“ zu vernehmen waren. Anke Bruns fasste zusammen, sie habe den Eindruck gewonnen, die anstehenden Umstellungen auf „Hartz II und IV“ seien „superkompliziert“. Dem widersprach Welters: „Das ist nicht ,superkompliziert‘, es ist nur schwierig, Informationen zu bekommen. Da wissen die Abgeordneten mehr.“

Ist ein Stundenlohn von unter fünf Euro sittenwidrig?
Wie gut, dass mit Ursula Heinen (CDU) und Dr. Rolf Mützenich (SPD) gleich zwei Bundestagsabgeordnete auf dem Podium standen, die immerhin am nächsten Tag über das Reformpaket mit zu entscheiden hatten. Heinen allerdings griff Anke Bruns‘ Wortwahl auf: „Kompliziert ist gar kein Ausdruck“, konnte aber in der Verabschiedung der Reformen „eine gute Chance“ erkennen, „Langzeitarbeitslose wieder richtig zu beschäftigen.“ Mützenich wollte über seine „persönliche Befindlichkeit lieber nicht diskutieren“, hoffte aber, dass sich die neuen Zumutbarkeitsregeln erträglich gestalten ließen, indem man eine Grenze nach unten zieht und einen Lohn von unter fünf Euro für „sittenwidrig“ erklärt. Die ebenfalls anwesende Landtagsabgeordnete Barbara Steffens (Grüne), die Hartz III und IV für „inakzeptabel“ hält, fuhr ihm in die Parade: „Fünf Euro? Das ist doch schon längst nicht mehr real. Ich kenne Leute, denen Jobs für vier Euro angeboten wurden, und die Spirale wird sich weiter nach unten drehen.“

Verschärfungen bringen noch lange keine zusätzlichen Arbeitsstellen
Auch Thomas Münch beschuldigte die Politiker, sie würden in Kauf nehmen, dass zahlreiche Menschen in die Armut gedrängt werden, denn: „Sie können die Vermittlung verschärfen, aber das bringt doch keine zusätzlichen Arbeitsstellen.“ Selbst wenn man „Fragen der Gerechtigkeit“ außer Acht ließe, seien die Kürzung der Bezüge von Arbeitslosen und das „Lohndumping“ ökonomisch kontraproduktiv: „Um aus der Krise zu kommen, müsste man im Gegenteil die Kaufkraft weiter Bevölkerungskreise stärken.“ Eine arbeitslose Mutter von zwei Kindern, demnächst Bezieherin des Arbeitslosengeldes II, meinte, die Durchführung der Reformen hätte auch erhebliche Folgen im psychologischen Bereich: „Es geht doch darum, den Arbeitslosen die Schuld für die Arbeitslosigkeit zu geben. Dann heißt es wieder: ,Die sind doch nur zu faul zum Arbeiten.'“

„Es wird Verschlechterungen geben“
Für Ursula Heinen war das dann doch „starker Tobak“. Sie erinnerte daran, dass man die Reformen in der Arbeitsmarktpolitik nicht isoliert sehen dürfe, sondern im Zusammenhang mit der Steuerreform: „Wir senken ja auch die Steuersätze und hoffen auf neue Unternehmensansiedlungen und damit neue Arbeitsplätze.“ Eine Kürzung der Bezüge von Arbeitslosen sei aber schon deshalb unumgänglich, weil die Kassen leer sind: „Es wird Verschlechterungen geben, aber das Geld ist einfach nicht da.“ Rolf Mützenich betonte, dass die Kürzung bei der Arbeitslosenhilfe auch eine Senkung der Lohnnebenkosten ermögliche, dass eine Beibehaltung des derzeitigen Niveaus bei einer derart hohen Arbeitslosigkeit nicht möglich sei: „Das Sozialversicherungssystem muss ja auch in den nächsten 25 Jahren noch finanziert werden. Wir müssen diese Änderungen jetzt vornehmen, sonst fliegt uns der Laden irgendwann um die Ohren.“

Ganz schlecht sieht es für Projekte lokaler Beschäftigungsförderung aus
Immerhin musste Stephan Santelmann aber einräumen, dass mit finanziellen Entlastungen sich für die schuldengeplagte Domstadt kurzfristig nicht zu rechen sei. Zwar würden die Kommunen die Kosten für die Sozialhilfe einsparen, die ab 2005 von der Bundesanstalt für Arbeit übernommen werden. Weil das Land dann aber nichts mehr zu den Kosten für die Unterkunft von Empfängern des Arbeitslosengeldes II beiträgt, kämen „eher zusätzliche Belastungen“ auf die Städte und Gemeinden zu. Ganz schlecht sieht es für die Vereine, Träger und Projekte der lokalen Beschäftigungsförderung aus. Dem Kalker Jugendbüro, dessen Mitarbeiter mit einer Gruppe von Jugendlichen zu der Veranstaltung gekommen waren, bestätigte Peter Welters, dass das Arbeitsamt, das die Vermittlungs- und Qualifizierungsmaßnahmen der Einrichtung bislang zu 100 Prozent finanziert hatte, künftig nur noch die Hälfte bezahlen wird: „Wir müssen da nach Ko-Finanzierungsmöglichkeiten suchen.“

Viele Einrichtungen christlicher Träger stehen jetzt schon vor dem Aus
Sollte das nicht gelingen, droht für viele solcher Einrichtungen das Aus, da ihre Personaldecke zu dünn ist. Im Internationalen Zentrum von Groß St. Martin kündigten Mitarbeiter der Jugendwerkstatt Klettenberg, der Holweider Selbsthilfe und der Lindenthaler Dienste, die selbst Langzeitarbeitslose beschäftigen, die baldige Schließung ihrer Einrichtungen an. Auch das Jugendbüro Kalk werde nicht überleben, sagte Leiterin Ute Esser: „Dabei haben wir eine Vermittlungsquote von etwa 75 Prozent. Andere Institutionen sollten doch mal ihre Zahlen offen legen und zeigen, ob sie besser sind.“ Peter Welters hielt sich da bedeckt, doch Dr. Wolfgang Uellenberg von Dawen vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) übernahm das für ihn und nannte eine derzeitige Vermittlungsquote des Arbeitsamtes, die bei etwa 6,8 Prozent liege. Eine Zahl, die unwidersprochen blieb.

Viele Fragen bleiben unbeantwortet
In seinem Schlusswort sagte Pfarrer Uwe Becker, Leiter des Evangelischen Sozialwerks im Stadtkirchenverband, denn auch, dass für ihn an diesem Abend viele Fragen unbeantwortet geblieben seien. Abgesehen von den sozialen Folgen befürchte er eine weitere Diffamierung der Arbeitslosen, vor allem weil in Voraussagen noch bis 2015 eine Arbeitslosigkeit von 4 bis 4,5 Millionen genannt werde. „In einer solchen Situation den Beschäftigungsträgern auch noch die Finanzmittel zu streichen, das ist für mich eine Paradoxie.“

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans