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Wenn „Steine schreien“: Gedenkstunde am 27. Januar für die aus Köln deportierten jüdischen Kinder an der Gedenkstätte Löwenbrunnen

Drei Steine liegen frisch auf dem Rand des Löwenbrunnens. Hauptschüler aus Kommern-Mechernich haben sie an der Kinder-Gedenkstätte der Kölner Innenstadt, hier am Erich-Klibansky-Platz, abgelegt. Die Steine stammen aus dem Garten eines Hauses in Kommern. Dieses Gebäude wurde von den Nazis als so genanntes Judenhaus genutzt: Die jüdischen Bewohner des Ortes wurden dort hingebracht und mussten zusammengepfercht auf engstem Raum leben. Am 19. Juli 1942 mussten sie auf Lastwagen steigen, die sie zu Bahnhöfen transportierten, von wo aus sie in den Osten deportiert und ermordet wurden. Unter den Opfern befanden sich auch drei Kinder im Alter von drei, beziehungsweise vier Jahren. Als Spielplatz diente ihnen in besseren Zeiten sicher einmal eben jener Garten, aus dem die Schüler heute die Steine geborgen und zur Gedenkstunde nach Köln gebracht haben. Die Namen der drei Kinder aus Kommern sind wie über 1100 weitere in die Bronzetafeln des Löwenbrunnens eingestanzt.

Tradition der Erinnerung
Anlass der Gedenkstunde für die aus Köln deportierten jüdischen Kinder am Löwenbrunnen war der Holocaust-Gedenktag, der Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Veranstaltet wurde die Gedenkstunde auch dieses Jahr wieder vom Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, von der Synagogen-Gemeinde Köln und dem Katholischen Stadtdekanat in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“.
Wo seit 1997 das Mahnmal Löwenbrunnen auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße in Köln steht, war einst ein Zentrum jüdischen Lebens und Lernens. Neben einer 1884 eingeweihten Synagoge befanden sich auf dem angrenzenden Areal ein Lehrerseminar mit einer jüdischen Volksschule sowie die „Jawne“, das erste jüdische Reformrealgymnasium im Rheinland. Insbesondere der Erinnerungsarbeit der inzwischen verstorbenen Eheleute Dieter und Irene Corbach ist es zu verdanken, dass die Geschichte dieses Ortes und seiner Einrichtungen, das Schicksal vieler der Schüler und Lehrer nicht in Vergessenheit geriet. Die Corbachs, beide waren nacheinander Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im evangelischen Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, haben den achteckigen Löwenbrunnen mit Hilfe privater Spenden gestiftet..

Wer versucht, den Holocaust zu leugnen oder zu verharmlosen – dem muss „stark und entschieden entgegen getreten werden“
Pfarrerin Ulrike Gebhardt, Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Mitte, sowie Dr. Ursula Reuter, Koordinatorin des Arbeitskreises „Lern- und Gedenkort Jawne“, begrüßten unter den Gästen mit Ruth-Rebecca Fischer-Beglückter und Henry Gruen auch ehemalige „Jawne“-SchülerInnen. Fischer-Beglückter las den Psalm 79 auf Hebräisch, Stadtsuperintendent Rolf Domning die deutsche Übersetzung. Er bezeichnete diesen Gedenktag, das Gedenken an den Holocaust überhaupt, als wichtig und unerlässlich für die Erinnerung. In der Nachfolge von Ernst Fey habe er diesem wichtigen Termin mit Überzeugung zugesagt. Es sei notwendig, Menschen und Denkansätzen, die den Holocaust zu leugnen oder zu verharmlosen versuchen, stark und entschieden entgegen zu treten. Domning freute sich darüber, dass auch so viele junge Menschen die Erinnerung an den Holocaust wach halten.

Über 130 Menschen gerettet
So stellten neben Schülern aus Mechernich auch Schülerinnen des 10. Jahrgangs des Kölner Ursulinen-Gymnasiums Projekte vor, in denen sie sich mit der NS-Vergangenheit beschäftigt haben. Eines ihrer Themen bildeten die Stolpersteine, die Gunter Demnig zum Gedenken an Nazi-Opfer verlegt. Auch und insbesondere in Köln. Ein weiteres Thema war die Biographie von Erich Klibansky, dem letzten Direktor der „Jawne“. Weitsichtig hatte Klibansky versucht, möglichst viele seiner Schüler vor dem Zugriff der Nazis nach England in Sicherheit zu bringen. Über 130 Kinder und etliche Lehrpersonen konnten so gerettet werden. Er selbst wurde im Juli 1942 mit seiner Familie deportiert und ermordet.

Wenn „Steine schreien“
Bürgermeister Josef Müller dankte den Veranstaltenden für ihren „unermüdlichen Einsatz“, die Erinnerung wach zu halten. „Neun von zehn jüdischen Kindern, die 1939 in Europa lebten, waren sechs Jahre später tot“, versuchte er anhand nackter Zahlen, die Dimension des Verbrechens zu verdeutlichen. „Ich finde es wichtig, dass junge Menschen sich für die jüngere Geschichte interessieren“, dankte Stadtdechant Johannes Bastgen den Schülerinnen und Schülern für ihr Engagement, bevor er sich im Schlussgebet „an den Schöpfer von uns allen“ wandte. Die Nazis hätten den deportierten und ermordeten Kindern zuvor noch ihre Namen genommen und sie zu Transportnummern degradiert. Statt ihrer würden jetzt „Steine schreien“. Auch die von Demnig verlegten Stolpersteine würden schreien. „Lasst uns nicht abstumpfen. Lasst uns immer wieder aufstehen gegen Gewalt und Ungerechtigkeit, insbesondere, wenn Kinder davon betroffen sind“, so Bastgen.

Für den neuen Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln war es die erste Gedenkveranstaltung am Löwenbrunnen
Nachdem Rabbiner Yaron Engelmayer den Psalm 110 und „El male rachamim“ (Gott voller Barmherzigkeit), das Seelengebet für die Opfer des Holocaust gesprochen hatte, betonte auch er den Wert und die Notwendigkeit von Erinnerung. Zur Verdeutlichung bediente er sich des aktuellen Wochenabschnitts, der den Auszug aus Ägypten behandelt. In Gebeten erinnerten sich Juden zwei Mal täglich an den damaligen Auszug aus der Gefangenschaft, so Engelmayer. Jedoch nicht, um neue Schuldgefühle zu produzieren, sondern um das Ereignis im Bewusstsein wach zu halten: „Damit es nicht wieder passiert.“ Damit es nie mehr passiere, sei die Erinnerung an den Holocaust, an die Verfolgung und Vernichtung von Juden in der NS-Zeit umso unerlässlicher. Erinnerung daran, wozu der Mensch fähig sei; sich erinnern, damit niemand niemals mehr nur zusehe, sondern mit Mut und Engagement aktiv gegen Unrecht vorgehe. Im Nachgespräch forderte der Rabbiner, dass aus den Lektionen in der Vergangenheit für die Zukunft gelernt werden müsse. „Das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner sehr gut betont.“ Für Engelmayer, der vor fünf Monaten aus Aachen in die Synagogen-Gemeinde Köln kam, war es die erste Gedenkveranstaltung am Löwenbrunnen.

„Vertrauensvolles Verhältnis“
„Ganz frisch“ in Köln, hat Engelmayer sich bislang mit der Arbeit nach innen, in seine Gemeinde hinein, beschäftigt. Fragen zum lokalen jüdisch-evangelischen Verhältnis kommen für ihn daher zu früh. „Mit Stadtsuperintendent Rolf Domning habe ich schon eine gute Chemie aufgebaut. Gerade haben wir uns für ein persönliches Treffen verständigt“, so der Rabbiner. Domning bezeichnet das Verhältnis zwischen dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region und der Synagogen-Gemeinde Köln als sehr vertrauensvoll. „Es gab und gibt regelmäßig Begegnungen, wir pflegen einen guten Austausch.“ Was theologische Fragen betreffe, sei seitens des Kircheverbands mit dem entschiedenen Nein zur Judenmission eine wichtige Standortbestimmung erfolgt. „Sie basiert auf Beschlüssen unserer Landeskirche, die besagen, dass wir gemeinsam mit Israel auf einen neuen Himmel, eine neue Erde warten.“

Irene und Dieter Corbach haben das Gedenken an das erste jüdische Gymnasium im Rheinland und die Geschichte seiner Menschen vorbereitet
Nach der Gedenkstunde nutzten zahlreiche Teilnehmende die Gelegenheit zum Besuch des „Lern- und Gedenkortes Jawne“ in der angrenzenden Kreishausgalerie. Dort wird derzeit unter anderem die Ausstellung „Die Kinder auf dem Schulhof nebenan“ gezeigt. Die behandelt die Geschichte der Jawne in Köln, dem ersten jüdischen Gymnasium im Rheinland, und das Wirken seines letzten Direktors Dr. Erich Klibansky. Die Urfassung dieser Ausstellung wurde von Irene und Dieter Corbach erarbeitet. Der Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ hat sie nach einem Konzept von Dr. Cordula Lissner modernisiert und neu gestaltet. Gefördert wird die Ausstellung unter anderem durch die Evangelische Kirche im Rheinland.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich