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Weihnachtspredigt des Stadtsuperintendenten

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Liebe Gemeinde!
Wir leben in unsicheren Zeiten. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe mich in den letzten Monaten immer wieder gefragt, ob die Welt nächstes Jahr noch dieselbe sein wird. Das Jahr, das nun hinter uns liegt, war ein Jahr des Umbruchs. Vieles ist in Bewegung geraten. Was uns lange begleitet hat, was verlässlich erschien, steht plötzlich in Frage: Was passiert mit der EU nach dem Brexit? Was passiert mit der Welt nach den Wahlen in Amerika? Wie entwickelt sich die Situation in Syrien und der Türkei, welche Auswirkungen hat das alles für die, die auf der Flucht sind? – Im letzten Jahr waren es mehr Menschen als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Und zuletzt dann die furchtbare terroristische Amokfahrt in Berlin, fünf Tage vor dem Heiligen Abend heute.

Nach alledem: Wie wird Deutschland nach dem Wahljahr 2017 aussehen? Erleben wir einen ähnlichen Erdrutsch wie die USA? Erst recht, nachdem bei dem Täter von Berlin so vieles falsch gelaufen ist, manche schon von Staatsversagen sprechen. Erst recht, nachdem diejenigen, die für eine offene und hilfsbereite Flüchtlingspolitik eingetreten sind, nun für die Toten in Berlin verantwortlich gemacht werden: „Es sind Merkels Tote.“ Sie kennen das Zitat.

Wird unsere offene und tolerante Gesellschaft, die wir so schätzen, bleiben können wie sie ist? Wird das Weihnachten, das wir lieben, bleiben können wie es ist? Ein friedvolles Weihnachten bisher, zumindest hier bei uns? Mit welchem Gefühl sind Sie hierhergekommen? Also, ich finde es zunächst mal sehr gut, dass Sie hier sind. Auch wenn es jetzt schwerfällt, unbekümmert und vielleicht auch ohne Angst und Wut das Weihnachtsfest in diesem Jahr zu feiern. Aber lassen Sie sich das nicht nehmen! Bitte! Dann hätten sie gewonnen, die Terroristen nicht weniger wie die Rechtpopulisten, die jetzt wieder polarisieren mit ihren menschverachtenden Parolen.

Man kann schon irre werden an dieser Flut von Fragen und an den Nachrichten, die uns stündlich auf den neuesten Stand bringen. Wie geruhsam und entschleunigend klang das doch: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging….“

Die Digitalisierung der Nachrichten versorgt uns in irrsinniger Geschwindigkeit mit den neuesten Erkenntnissen und Verlautbarungen und manchmal auch mit Befürchtungen, so dass wir uns vor den gesammelten Umbruchszenarien unseres Lebens und der Welt im Allgemeinen manchmal gar nicht mehr retten können.
Was bleibt, was ändert sich?

Die Sterndeuter, wir haben ihre Geschichte wieder gehört, sind dem Stern der Weihnachtsbotschaft in einer für unsere Verhältnisse geradezu unerträglichen Langsamkeit gefolgt. Und trotzdem blieben sie auf Kurs, hielten durch und kamen zum Ziel. Und sie wurden Zeuge einer Weltveränderung: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden….“. Das ist die Nachricht, die Menschen seit rund zwei Jahrtausenden bewegt und verändert: Gott liebt diese Welt und niemand soll verloren sein, weder im zerbombten Aleppo noch in den Untiefen des Mittelmeeres, noch bei uns.

Große Veränderungsprozesse sind in der Geschichte nichts Neues, häufig beginnen sie mit der revolutionären Kraft des Wortes. Also schauen wir nach vorne!

Auch für uns als Evangelische Kirche ist das Jahr 2017 ein besonderes Jahr. Denn am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine Thesen und löste damit einen Umwälzungsprozess aus, der Europa bis heute prägt. Daran erinnern wir uns, das wollen wir gebührlich feiern. Mit dem Abstand von 500 Jahren sehen wir in Luther einen Vorboten unserer Zeit: Einen Reformator, der unsere Sprache maßgeblich formte; einen Ethiker, dessen Ideen bis in unser Grundgesetz hineinreichen; einen Visionär, dessen Bibelübersetzung das erste gedruckte Buch und damit das erste Massenmedium der Menschheit war. Aber wenn wir als Kirche 500 Jahre zurückblicken, können wir gar nicht anders als die Frage nach unserer Zukunft zu stellen: Stehen wir heute wieder an einem Scheitelpunkt der Weltgeschichte? Werden unsere Kinder in einem neuen Zeitalter leben? Und vor allem: Von wem gehen die Veränderungsimpulse aus? Was prägt die nächsten Jahre?

Ach, lassen wir das mit den ganzen Fragestellungen, jetzt ist Weihnachte, auch wenn es mir in diesem Jahr schwergefallen ist, so richtig in Adventsstimmung zu kommen. Es war diese, sagen wir mal „revolutionäre Unruhe“, die mich in den letzten Wochen immer wieder von Weihnachten abgelenkt hat. Bis mir irgendwann klar geworden ist, dass Weihnachten, so wie wir Christen es eigentlich feiern sollten, auch eine Revolution ist. Wir haben uns vielleicht zu sehr an eine, nennen wir es mal, romantisierte Weihnachtsbotschaft gewöhnt und wir verbinden damit glänzende Kinderaugen und fetten Braten, was verständlich ist. Aber wenn wir genau zuhören, nehmen wir auch bei dem Evangelisten Johannes eine Welt wahr, die auf dem Kopf steht.

Haben Sie den Text noch im Ohr? Das klang doch gar nicht so wirklich nach Weihnachtsromantik und alle Jahre wieder. In diesem Wort wird zwar das weltliche Gericht abgelöst durch eine Rettung aus Gnade. Aber da geht es auch um ein Licht der Wahrheit, das die Finsternis der sozialen Ungerechtigkeit erhellt. Da wird von guten und bösen Mächten erzählt, die aufeinandertreffen. Das hat durchaus etwas umstürzlerisch Revolutionäres. Lesen Sie Johannes mal aus der Sicht eines antiken Tyrannen wie Herodes Antipas, der seine Macht über geschickte Heiratspolitik und politische Intrigen ausgebaut hat und ständig befürchten muss, dass zu viel Licht auf seine Person fällt. Wie klingt die Ankündigung eines Gottesreiches in den Ohren eines höheren Beamten wie Pontius Pilatus, der als Vertreter der römischen Besatzungsmacht ständig mit einem Aufstand der jüdischen Bevölkerung rechnen muss?

Das Nachdenken über Revolutionäres passt also durchaus in eine Weihnachtspredigt, auch wenn es nicht gerade gemütlich klingt.

Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, war allerdings: Was hat diese Art Weihnachtsrevolution mit den Umwälzungen zu tun, die wir derzeit in Europa erleben? Gibt es ein Revolutions-Gen, das Jesus mit Luther oder gar mit Donald Trump verbindet? Muss ich mir Jesus etwa als Wutbürger vorstellen, der mit hektischen Flecken im Gesicht gegen das politische Establishment poltert? Was meinen wir also, wenn wir von Revolution sprechen? Und was meinen wir, wenn wir von Weihnachten sprechen?

Wenn wir Johannes folgen, müssen wir Weihnachten vor allem als Gegenentwurf verstehen: Licht steht gegenüber Dunkelheit, verlorenes Leben gegenüber ewigem Leben, Wahrheit gegenüber Bosheit. Johannes, der Evangelist erzählt von etwas, das ganz und gar anders ist. Etwas, das sich nicht aus der Erfahrung heraus erschließen lässt, sondern nur in der Abgrenzung zu dem, was wir bereits kennen. Weihnachten ist eine Revolution im Umkehrschluss – es ist nicht mit dem vergleichbar, was ist.

Der antike Leser des Johannes-Evangeliums hatte beim Text sicher andere Bilder im Kopf, als wir postmodernen Leserinnen. Aber auch für uns ist Weihnachten eine Überraschung, die sich radikal von unserem Alltag unterscheidet. Ein revolutionäres Kontrastprogramm zu dem, was uns aus den Nachrichten entgegenschlägt. Ich möchte Ihnen drei Beispiele nennen, die die Weihnachtsrevolution etwas besser beschreiben und dazu drei Thesen:

1. Weihnachten ist nicht wütend!
Revolutionen entzünden sich für gewöhnlich an der Unzufriedenheit über den Status Quo, aus der Erkenntnis heraus, dass es so nicht weitergehen kann. Das sagt schon der Name revolutio, der so viel wie Umwälzung bedeutet. Wer sich heute in der Welt umsieht, kann nicht ignorieren, dass diese Wut zu einer neuen Grundtonalität geworden ist: Die „Lock her up“- Rufe in Amerika schrillen uns noch in den Ohren, das Leave-Votum in Großbritannien, der Hass auf die Lügenpresse bei den Pegida-Märschen – die Wut über den Status Quo ist derzeit der Stoff, aus dem sich Politik machen lässt. Die Weihnachtsgeschichte beginnt allerdings mit einem schlafenden Kind in der Krippe. Und wenn Kinder schlafen, werden aus groben Hirten zärtliche Träumer und Könige gehen auf Zehenspitzen. Dabei hätten Maria und Joseph allen Grund, laut zu werden. Ein erschöpftes Paar am Rande der Gesellschaft, strukturell benachteiligt von den Mächtigen – die AFD würde hier ihre Kernwählerschaft identifizieren. Aber da ist keine Wut, keine Bitterkeit, nur Staunen und Dankbarkeit über das Wunder des Lebens. Und so auch wir, bei allem was uns beunruhigt, nicht die Vernunft verlieren: differenzieren, genau hinsehen, nicht bagatellisieren aber auch nicht dramatisieren, auch nicht nach dem furchtbaren Terroranschlag in Berlin.

2. Weihnachten ist kein Fake!
Vor einigen Wochen hat die Gesellschaft für die deutsche Sprache das Wort „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gewählt. Wir hängen Amerika mal wieder hinterher – hier wurde das synonyme Wort truthiness schon 2005 zum Wort des Jahres. Postfaktisch sagen wir jetzt immer dann, wenn wir uns keinen Reim mehr auf die politischen Entwicklungen machen können; wenn Fehlinformationen politische Fakten schaffen und sich Fake-News in den sozialen Medien schneller verbreiten, als die Wahrheit. Aber was heißt schon falsch? Im Internet gilt das als wahr, was viele geteilt haben. Seit November wissen wir immerhin, dass Falschmeldungen politische Systeme umstürzen können. Die Botschaft, die die Wahlen in Amerika an die Populisten dieser Welt gesendet haben, war auch: Es lohnt sich, andere mit falschen Beschuldigungen zu attackieren. Die Weihnachtsgeschichte beinhaltet im Kern keine Fake-News – dafür wäre sie auch viel zu schlecht platziert: Auf einem Acker im Bethlehem und mit einer Handvoll Menschen lässt sich schlecht Geschichte schreiben. Dass wir uns diese Geschichte bis heute erzählen, dass sie uns immer noch berührt und Leben verändern kann, sollten wir nicht als Zufall auffassen.

3. Vor Weihnachten müssen Sie keine Angst haben.
Gesellschaftswissenschaftler diagnostizieren schon seit einigen Jahren ein wachsendes Klima der Angst. In einer Zeit, in der alles möglich ist, fehlen uns zunehmend die Verlässlichkeiten: Keine Karriere ohne plötzliches Karriereaus; keine Lebensabschnittsbeziehung ohne Verlassensängste, kein Gesundheitssystem ohne die Angst vor Arbeitsunfähigkeit, kein Wirtschaftsaufschwung ohne die Angst vor der Krise. Darin steckt eine grundsätzliche Absurdität: Amerika, das Land, das den Kapitalismus global exportiert hat, sieht sich als Gobalisierungsopfer; Deutschland, dessen Wirtschaftsaufschwung nur durch Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter möglich war, fürchtet sich vor Überfremdung. Diese Angst ist längst zum politischen Kapital geworden. Dabei wissen wir aus unserer Geschichte, wie ein Staat aussieht, der auf den Ängsten seiner Bürger aufbaut. Und fragen wir uns doch einmal ehrlich: wovor sollten wir mehr Angst haben, vor den Terroristen oder vor denen, die deren Taten missbrauchen, um Angst zu schüren und einen nationalen Rechtsruck herbeiführen wollen?

Wenn wir die Weihnachtsgeschichte lesen, sehen wir auch ein Paradoxon: Da sind Menschen, die Angst haben aber dennoch ihrer Hoffnung folgen. Menschen, die das Letzte, was sie besitzen, teilen. Menschen, denen niemand den Glauben an das Gute nehmen konnte.

Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der wir der Idee von Weihnachten wieder mehr Raum geben würden? Wie würde sich unser Alltagsleben verändern, wenn wir uns nicht mehr von Ängsten leiten lassen würden? – seien sie berechtigt oder unberechtigt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dieses Moment mitnehmen, dass es über die Feiertage hinaus in Ihren Alltag hinein wirkt. Und weil Weihnachten nicht als triumphale Show begonnen hat, weil es ohne große Gesten und Wahlkampf-Getöse auskam, wünsche ich Ihnen dieses Jahr eine Revolution im Kleinen. Still wie ein schlafendes Kind, sanft wie ein Hoffnungsschimmer. Eine Revolution, die sich auf einem Nebenschauplatz ereignet. Das könnte ein Feld in Bethlehem sein, oder genauso gut Ihr eigenes Zuhause.
Amen.

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