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Weihnachtsoratorium von Carl Heinrich Graun

Ein außergewöhnliches Weihnachtsoratorium erklang in der Trinitatiskirche in der südlichen Kölner Altstadt. Nicht das beliebte Werk von Johann Sebastian Bach, sondern eine weitgehend unbekannte Komposition von Carl Heinrich Graun führte die evangelische Kantorei Porz mit ihrem Leiter Thomas Wegst, dem Porzer Kammerorchester und Solisten auf.

„Stilistisch steht das Werk der Händelschen Tonsprache näher als der eines Bach, weist aber auch schon darüber hinaus. Es sind erste Züge des sogenannten empfindsam-galanten Stils zu erkennen“, konnten die Konzertbesucher im Programmheft lesen. Zu Lebzeiten von Carl Heinrich Graun (1704-1759) hatte der damals tonangebende Musikkritiker Johann Adolf Scheibe den barocken Stil von Bach als „altmodisch, verschnörkelt, schwülstig“ bezeichnet. Vom Komponisten ist wenig bekannt, außer dass Graun als Kapellmeister beim preußischen König Friedrich II. (Friedrich der Große) in Dienst stand.

Partitur galt als verschollen
Im Original lautet der Titel des Graun'schen Werks „Oratorium in Festum Navitatis Christi“. Die Musikwelt kennt den Hofkapellmeister eher als Komponisten des Passionsoratoriums „Der Tod Jesu“ (1755). Vermutlich schrieb er sein Weihnachtsoratorium 1725, was bedeuten würde, dass Graun zum Zeitpunkt der Komposition 21 Jahre alt war. Die Partitur galt bis zur Wiederentdeckung 1972 in einer Bibliothek in Washington als verschollen. Seit der Herausgabe als Erstdruck 1998 steht das Werk für die neuzeitliche Aufführungspraxis zur Verfügung.

Warten auf einen König
Grauns Oratorium erzählt vom sehnsüchtigen Warten auf die Geburt Jesu Christi, von der Weihnacht und den Hoffnungen, die Menschen an das Leben und Wirken des Heilands auf Erden knüpfen. Jedoch ist der Grundton weniger verinnerlicht als bei Bach, stattdessen mehr weltlich-höfisch wie bei Händel. Die eher prunkvolle denn andächtige Musik vermittelt, dass ein König kommt. Lediglich in zwei der wenigen Zitate von Bibeltexten, hier aus der Weihnachtsgeschichte bei Lukas 2,7 und 2,16, ist von einem Kind in der Krippe die Rede, zu dem Hirten eilen. Als „Held“, „Friedefürst“, „Kind des Höchsten“, schließlich „Herr“ wird Jesus Christus bezeichnet, der das „hochbetrübte Heer“ aus „Gram und Schmerze“ führen soll.

Libretto ist überwiegend Dichtung
Grauns Weihnachtsoratorium beginnt mit dem Weckruf „Mache dich auf, werde Licht“. Der kurze Text ist der Bibelstelle Jesaja 60,1 entnommen. Überwiegend löst sich das Libretto von den Evangelien, es ist die freie Dichtung eines bis heute nicht ermittelten Verfassers. Dagegen ist ein Choral im Mittelteil des anderthhalbstündigen Oratoriums bestens bekannt. Das Lied „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11) schrieb Paul Gerhardt, evangelisch-lutherischer Theologe im 17. Jahrhundert und bedeutender Dichter deutschsprachiger Kirchenlieder.

Gemeinsamkeiten mit Bach
Den Choral von Paul Gerhardt (1607-1676) verwendete auch Bach in seinem Weihnachtsoratorium. Eine weitere Gemeinsamkeit von Bach und Graun ist, dass sie die Inhalte von Texten eins-zu-eins in lautmalerische Musik übersetzten. Trotz der unterhaltsamen eleganten Leichtigkeit in der Klangsprache verlor Graun nicht den theologischen Gehalt seines Werks aus dem Ohr. Dass den Gesängen durchweg Empfindsamkeit anstelle tiefer Frömmigkeit entströmt, macht die besondere Qualität seines Werks aus.

Vorzügliche Darbietungen
Bei der Auswahl der Solisten bewies der Porzer Kantor Thomas Wegst eine glückliche Hand. In den Stimmfarben und Gestaltungen harmonierten Sopranistin Anna Herbst, Altistin Eva Nesselrath, Tenor Nikolaus Borchert und Bassbariton Raimund Nolte vortrefflich. Die evangelische Kantorei von der rechten Rheinseite stand in der Darbietung auf hohem Niveau keineswegs nach.

Chor kommentiert die Ereignisse
Dem Chor kommt im Graun'schen Weihnachtsoratorium die klassische Rolle zu, den geistlichen Inhalt zu erzählen, Geschehnisse zu reflektieren, sie zu kommentieren und dem Volk eine Stimme zu geben. Vielstimmig und voluminös gelang die Verbreitung der Kunde von der Geburt des Erlösers in dem Coro mit den Zitatzeilen aus der Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Die Bläser im Porzer Kammerorchester verstärkten die beeindruckend vorgetragene frohe Botschaft mit Fanfaren, die Rhythmusinstrumente gaben Paukenschläge dazu.

Graun verlangt Sopran, Alt, Tenor und Bass enormen Stimmumfang und langen Atem bei den Koloraturen ab. Voll tönend in den Höhen und Tiefen, stark im Ausdruck der Fülle musikalischer Verzierungen und Lautmalereien meisterten Dirigent, Solisten und Kantorei die Herausforderungen dieses hörenswerten Weihnachtsoratoriums.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert