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Weihnachten 2008: Aller Finanzprognosen zum Trotz: Der evangelische Stadtsuperintendent spricht in seiner Weihnachtspredigt von einem Gold, ganz ohne Werteverfall

Fröhlich soll mein Herze springen
Str.1: Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen. Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren!
Str.2: Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, Gottes Kind, das verbindt sich mit unserm Blute.
Str.3 :Sollt uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt über alle Maßen? Gott gibt, unserm Leid zu wehren, seinen Sohn aus dem Thron seiner Macht und Ehren.
Str.6: Ei so kommt und laßt uns laufen, stellt euch ein, groß und klein, eilt mit großen Haufen! Liebt den, der vor Liebe brennet; schaut den Stern, der euch gern Licht und Labsal gönnet.
Str.9: Die ihr arm seid und elende, kommt herbei, füllet frei eures Glaubens Hände. Hier sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben.
Text: Paul Gerhardt 1653, Melodie: Johann Crüger 1653

Liebe Gemeinde,
eines der schönsten – wie ich finde – und strahlendsten Weihnachtslieder haben wir gerade miteinander gesungen: „Fröhlich soll mein Herze springen …“ – Und…? Konnten Sie sich der bewegten und stimmungsvollen Melodie so ganz hingeben und schon aus voller Brust mitsingen? Hat das Lied Ihre Herzen alle erreicht und „springen“ lassen vor Freude? Ich wünsche Ihnen, dass Wort und Klang Sie in dieser Weise berühren konnten, hier in dieser Kirche, heute an Heiligabend… Wann sonst kann es wohl geschehen, dass wir ganz von innen heraus so ein Jubeln aufsteigen fühlen, das unsere Herzen zum Springen und unsere müden Seelen zum Klingen bringt? Lassen Sie sich das nicht entgehen, wenn Sie dafür offen sind.

Manchmal spüren wir sogar etwas davon, dass in dieser Nacht der Nächte auch die Engel mit uns singen, immer noch! Ach, Sie glauben das nicht? Und doch sind es ganze Heerschaaren. Dichter und Kinder haben die Engel schon immer gehört und gesehen, durch alle Zeiten, wie die Propheten und alle paar Jahre wieder ein Filmregisseur – „Stadt der Engel“…, aber das ist eine andere Geschichte, das ist nur Kino. In dieser Nacht liegt der Gesang der Engel förmlich in der Luft wie ein feiner Duft, leise und manchmal schon lauter, bisweilen hell und klar. Da passiert es unmerklich und auch wir fühlen mit einem Mal eine Präsenz und sind ergriffen und stimmen dann einfach mit ein und singen: „Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren!“ Da ist die klare und helle Frohbotschaft an diesem heutigen Abend wieder. „Christus ist geboren“ – das ist eine Engelsbotschaft. Und das ist auch die Botschaft von Paul Gerhardt, geboren 1607, dem großen evangelischen Liederdichter, gestorben 1676 und in seiner frommen und leidenschaftlichen Poesie bis in unsere Zeit unsterblich. Mit großer Begeisterung hat er vor rund 360 Jahren auch dieses Weihnachtslied – „Fröhlich soll mein Herze springen!“ – gedichtet. Wenn wir dieses Lied heute singen, dann spüren auch wir etwas von seiner großen Hingabe und dieser tiefgläubigen Leidenschaft, mit der Paul Gerhardt die Botschaft des Engels in sein Lied aufgenommen hat: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

Doch meinen wir nicht etwa, dieser Paul Gerhard habe vielleicht noch „gut Singen gehabt“ vor 350 Jahren, denn erinnern wir uns an das, was wir seit unserer Schulzeit wissen: Das 17. Jahrhundert, das war das Jahrundert des Dreißigjährigen Krieges… – einer der ganz großen Not- und Krisenzeiten der Menschheit. Unvergleichbar mit dieser Zeit ist unsere Zeit zu Anfang des 21. Jahrhunderts, in der wir immer noch (wenn auch nur an Weihnachten) dieses Lied singen – und uns heute wieder in einer der schlimmsten Krisen wähnen – vollkommen ohne Geschichtsbewusstsein, meine ich ! – doch eben so heißt es landauf, landab: Wir stecken in einer Finanz- und Wirtschaftskrise, in der den Meisten von uns das Herz nur schwerlich springen möchte, im Ohr die Hiobsbotschaften und schlechten Zukunftsprognosen und so gar kein Vertrauen mehr in die unsichtbare Hand des Marktes…

Jahrzehnte lang haben wir als Gesellschaft im Zuge der Globalisierung der Vergötzung materieller Werte gehuldigt, ob Geld ob Gold, ob Aktien, alles schien möglich. Immer neue Ideen der sogenannten Finanzdienstleister kamen auf, um Finanzwerte zu steigern – ohne Mühsal und Arbeit. Eine Art Goldgräberstimmung hatte weite Teile der Finanzbranche erfasst – aber nicht nur diese. Und dann wurde offenbar, auf welch‘ tönernen Füßen der Koloss stand… Finanzwerte in der Höhe ganzer Landeshaushalte – von einem Moment auf den anderen in sich zusammen gestürzt, verbrannt. Doch die Bank- und Fondsmanager sind wahrlich nicht allein die allein Schuldigen, auf die rasch mit spitzen Fingern gezeigt wurde, nein: Auch wir Anleger haben doch immer höhere Renditen gefordert und auf „Risikobereitschaft“ gesetzt… Dann war „die Blase geplatzt“.

Da mag die Frau Bundeskanzlerin schon gut daran tun, uns in ihrer Weihnachtsvideobotschaft nun dazu zu raten, sich trotz alledem einmal wieder zu entspannen und Kraft zu schöpfen. Denn das Jahr 2009 soll ein Jahr voller Herausforderungen werden, ja, da ist es – bei aller Skepsis und düsterem Realismus – durchaus vernünftig, das sorgenvolle Geschehen einmal ganz bewusst auszublenden und Kraft zu schöpfen; doch aus welcher Quelle?

Ich vermute, unsere Frau Bundeskanzlerin würde Ihnen als Pastorentochter selbst Manches aus dem Leben Paul Gerhardts erzählen können und vielleicht auch von den Quellen, aus der er Kraft schöpfen konnte, sein eigenes Schicksal zu tragen: In seinen 69 Lebensjahren lagen alle jene 30 Jahre der verheerenden Kriegsjahre (1618-1648), vier Kinder sind ihm gestorben und auch die Frau: „Fröhlich soll mein Herze springen…?“ Zu seinen Lebzeiten durchzogen Pest und andere Seuchen ganze Landstriche und hinterließen Tod und Verderben. Paul Gerhardt hat seine Kraft wohl aus einer Weisheit geschöpft, die er in einem anderen seiner Lieder mit den Worten bedichtet hat: „Wir sind nur Gast auf Erden.“ Und darum, trotz alledem: „Fröhlich soll mein Herze springen!“ – in dieser Hoffnung, in dieser Gewissheit, in solcher Gelassenheit…

Darum wären die Lieder Paul Gerhards heute auch keine anderen gewesen, und ihre neuen und frischen Interpretationen der Berliner Jazzsängerin Sarah Kaiser – zuletzt in Köln gehört auf dem Kirchentag 2007 in der evangelischen Trinitatiskirche – sie scheinen wie erdacht und gesungen für unsere Zeit „Fröhlich soll mein Herze springen“ – wie lautete da noch die letzte Strophe, die wir vorhin miteinander gesungen haben? “ Die ihr arm seid und elende, kommt herbei, füllet frei eures Glaubens Hände. Hier sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben.“ Liebe Gemeinde, lernen wir doch aus diesen Worten und lassen wir uns durch sie befreien!
Damals wie heute sind wir zu Weihnachten eingeladen, uns von Gott die Hände füllen zu lassen. Deshalb soll niemand aus unseren Gottesdiensten mit leeren Händen nach Hause gehen. Gott selbst füllt uns unseres „Glaubens Hände“ mit so reichen Gaben und mit einem Gold, das seine Wertbeständigkeit durch alle Zeiten hindurch erwiesen hat. Diesen Schatz Gottes bekommen wir einfach in die Hände gelegt. Jede Feinunze dieses geläuterten Goldes ist mehr wert als die Warenbörsen dieser Welt jemals festlegen könnten. Diese Wertanlage unterliegt auch keinen Zeichnungsfristen. Gott selbst ist der Emittent.

Dieses Gold kennt keine Wertschwankungen, und für Spekulanten ist es völlig ohne Interesse. Dieses Gold ist Gottes unverbrüchliche Gnade, es ist Gottes Liebe, die uns geschenkt ist im Kind in der Krippe. Dort liegt das Gold, das Gott gezeichnet hat: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute!“ Wie sollten wir das nicht heute – so wie zu Paul Gerhardts Zeiten – mit voller Freude singen: „Denn uns ist heute der Heiland geboren“… – der Retter, der Erlöser, unscheinbar und nah, in Niedrigkeit gekommen, zur Welt gebracht durch Maria. Wie den Hirten auf dem Felde, so ist es auch uns gesagt: „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“

Liebe Gemeinde,
Wenn wir diesen Hirten heute wieder, an diesem Hiligen Abend, nahe kommen, indem wir ihnen folgen, dann gelangen auch wir zur Krippe. Das ist das Geheimnis, wie es kundgetan wurde: Nur die Hirten, die selbst im Dunkel lebten, nahmen wahr, welcher Goldglanz damals in jener Nacht der Nächte da in der Krippe schimmerte… Die Hirten erwarteten keine anderen Schätze, kein Gold der Welt, auch keine unverhofften Wertsteigerungen. Sie, die als Hüter der Tiere auf dem Felde und Tagelöhner wohl kaum Aussicht auf Wohlstand und sattes Leben hatten, entdeckten, dass dieses Kind Gottes das Schicksal der Armen, der Unbedachten und der Flüchtlinge und dieser ganzen Welt teilt. Das war, das ist seine Würde, sein besonderer Glanz. Wie viel Gespür finden wir hier für die Dunkelheit der Welt und den ganz anderen Glanz Gottes: kein Raum in der Herberge, eine Futterkrippe als erste Schlafstätte des Gotteskindes. Das ist das Faszinosum der Weihnachtsgeschichte, wie sie uns Lukas überliefert hat. Das ist das, was die Menschen durch die Jahrhunderte berührt und ihre Sehnsucht nach Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit immer wach gehalten hat. Das ist auch keine Vertröstung auf ein besseres Leben in einem anderen Leben. Mitten ins Leben brechen Güte und Liebe Gottes herein und verändern alle Maßstäbe, alle Werte, bis zum heutigen Tag. Können wir den Hirten folgen, können wir ihnen nachkommen? Können wir den finden, den sie gefunden haben? Auch wir brauchen diesen anderen Goldglanz Gottes.

Wir wissen es doch längst, wie gering die Nachhaltigkeit der Werte unserer Welt ist. Das System, auf dem wir all unsere Sicherheit und unseren Wohlstand aufgebaut haben ist brüchig und fragil geworden – war es schon immer. Wir brauchen Gottes Verheißung nicht etwa als einen billigen Trost, ja schon gar nicht als Vertröstung. Wir brauchen sie als neue – alte – und für uns Menschen zu allen Zeiten gültige Wertorientierung unseres Handelns und Lebens.

An Weihnachten möge der ganz andere Glanz wieder unsere Herzen erfüllen, auf dass wir diesem wunderbaren Glanz der Liebe Gottes Raum schaffen. An Weihnachten wollen wir uns öffnen für das Wirken dieser Liebe und Gnade Gottes: Lassen wir uns entzünden und im Glanz dessen verwandeln, „der vor Liebe brennt“. Darum konnte Paul Gerhardt zu seiner Zeit dichten und singen: „Fröhlich soll mein Herze springen!“
Amen!

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