You are currently viewing „Was macht einen evangelischen Unternehmer denn aus?“

„Was macht einen evangelischen Unternehmer denn aus?“

Herr Juchheim, Sie sind von Beruf Rechtsanwalt und im Ehrenamt Sprecher des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU) in der Region Köln: Was macht einen evangelischen Unternehmer denn aus?

Volker Juchheim:

Ein evangelischer Unternehmer unterscheidet sich nicht von einem katholischen Unternehmer. Ein evangelischer Unternehmer kann sich aber von einem Unternehmer unterscheiden, der nicht im christlichen Glauben verankert ist, der nicht an den elementaren christlichen Werten der Freiheit sowie der Liebes- und Gerechtigkeitsethik orientiert ist.

Wie kam es wann zur Gründung des AEU – mit welcher Zielsetzung?

Volker Juchheim:
Die Gründung des AEU erfolgte 1966 vor dem Hintergrund einer sich der Wirtschaft entfremdenden Kirche – als Gegenentwurf zu der kirchlichen Fixierung auf die Arbeitnehmer. Heute – also fast 50 Jahre später – versteht er sich als Mittler zwischen Wirtschaft und Kirche.

Herr Jacobs, Kirche und Wirtschaft, das geht dennoch für manche ja nicht immer zusammen… Sie sind theologischer Berater des AEU in der Region Köln, ich frage also den Pfarrer: Wie bringen Sie "Nächstenliebe und Profit" auf einen Nenner?

Wolfgang Jacobs:

Da gibt es keine unterschiedlichen Nenner, der Gegensatz Nächstenliebe / Profit ist konstruiert. Profit meint den Gewinn, den erzielten Überschuss eines Unternehmens nach Abzug aller Kosten. Ein Unternehmen, das keinen Gewinn macht, kann keine Rücklagen bilden und dauerhaft nicht bestehen, weil es zum Beispiel keine neuen Maschinen kaufen kann. Unternehmen müssen Gewinne machen, eine sog. „schwarze Null“ reicht nicht. Die Frage ist, wie die Gewinne erwirtschaftet werden: Wie werden die Mitarbeitenden bezahlt, wie werden sie behandelt, wie sind sie bei Krisen geschützt? Hier kommt die Haltung des Unternehmers und der Anteilseigner bei Kapitalgesellschaften ins Spiel und damit die Frage der Nächstenliebe, der Achtung der Menschen. Übrigens war Katharina von Bora, die Frau Martin Luthers, durchaus unternehmerisch tätig: Ohne den von ihr erwirtschafteten Gewinn hätte die Familie Luther und deren viele theologische Gäste nicht gut leben können, dazu reichte das Einkommen Luthers nicht.

Nachfrage an Sie, Herr Jacobs, konkret, in der Sprache der Wirtschaft: Was genau macht den evangelischen "Mehrwert" aus? Also über die ethischen Grundsätze einer sozialen Marktwirtschaft hinaus, die seinerzeit stärker von der katholischen Soziallehre mitgeprägt wurde?

Wolfgang Jacobs:

Seit der Reformation hat Arbeit die Funktion als Gottesdienst in der Welt. Damit wird der Beruf zum konkreten Ort der Verantwortungsübernahme für alle Christen. Luther hat das so gesagt: Wenn ein jeder seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdienst. Also: Im tätigen Leben bewährt sich christlicher Glaube. Und das gilt dann natürlich auch für Unternehmer. Das ist schon etwas, was evangelischen Mehrwert ausmacht.

Herr Juchheim, doch eher vereinzelt treten Unternehmer als "bekennende Christen", ich denke an den 2014 verstorbenen Schuhfabrikanten Heinz-Horst Deichmann, mit evangelischem Unternehmerprofil in die Öffentlichkeit: Was hält Manager ab, sich als Protestanten zu "outen"? Oder tun sie das vielleicht doch öfter als ich glaube?

Volker Juchheim:

Da müsste man die Unternehmer schon selbst fragen! Was ich auch selbst tun würde, wenn ich denn wüsste, um wen es ich handelt! Nein, es muss ein jeder selbst versuchen, einen Weg für seinen Glauben in seiner beruflichen Tätigkeit zu finden, egal ob er nun Unternehmer ist oder nicht.

Auch umgekehrt wird ein Schuh draus, der Kirche sagt man bisweilen Berührungsängste zur Wirtschaft nach: Können Sie das als AEU so bestätigen, oder müssen wir inzwischen von einem veralteten Klischee sprechen?

Volker Juchheim:

Die Kirche hat sicherlich keine ausgeprägten Berührungsängste gegenüber der der Wirtschaft; aber sie befindet sich einem erheblichen Umrüstungsprozess der ihre personellen Ressourcen sehr in Anspruch nimmt. Dies ist bei den einzelnen Landeskirchen aber unterschiedlich; hier bei der EKIR arbeiten wir an einem ständigen Dialog.

Herr Jacobs, die jüngste evangelische Denkschrift zum Thema "Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt" (2015) wurde vielfach dafür kritisiert, zu verhalten und wenig originär Stellung zu den drängenden Fragen des globalisierten und digitalisierten Wandels zu beziehen…

Wolfgang Jacobs:

Wenn man im Vorwort liest, dass die Denkschrift im Dialog mit Gewerkschaften und Arbeitgebern Maßstäbe zur Gestaltung der Arbeitswelt erarbeitet hat, dann ist klar: Die Denkschrift gibt einen Kompromiss wieder. Und wie bei jedem Kompromiss sind beide Seiten berücksichtigt mit ihren Positionen. Da ist Eindeutigkeit und Klarheit schwierig. Und was ist eine „originäre Stellung“? Die Kirche hat nicht den Stein der Weisen zur Lösung der Probleme in der sich wandelnden Arbeitswelt. Aber die Denkschrift benennt die Probleme der Arbeitswelt und setzt sich für eine öko-soziale Marktwirtschaft ein. Dabei betont sie die Rolle der Gewerkschaften.

Schlussfrage an Sie, Herr Juchheim, zur Mitgliederentwicklung und Ihren Wünschen für den AEU: Wie stark sehen Sie den "evangelischen Unternehmerverein" in den kommenden Jahren in der Kirche, in der Gesellschaft positioniert? Was sind die wichtigsten Themen, mit denen der AEU und vielleicht auch die Kirche als Ganze punkten könnte?

Volker Juchheim:

In einer sich ändernden Gesellschaft, in der altbekannte Strukturen einem erheblichen Auflösungs- und Erosionsprozess ausgesetzt sind, wird es auf die gelebten Werte mehr und mehr ankommen. Für das Finden von Lösungen wird deshalb auf die Kirchen als Institutionen nach wie vor – wenn auch anders als derzeit – ankommen. Wenn im Rahmen der Beantwortung der Freiheits- und Gerechtigkeitsfrage die richtigen Fragen gefunden und gestellt werden sollen, wird es auf eine Ethik ankommen, die unseren Kulturraum lange geprägt hat. Die Prägung wird zuallererst von den Kirchen transportiert. Es geht um unsere eigenen Wurzeln, wie Jürgen Habermas es einmal nannte, und diese Wurzeln sind der christliche Glaube. Die Kirche wird mit den Wurzeln punkten. Der AEU soll und wird dabei zur Seite stehen.

Herr Juchheim, Herr Pfarrer Jacobs, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Text: Günter A. Menne
Foto(s): Günrter A. Menne